Freitag, 4. Februar 2011

Mutter

Anruf bei Peter. Sein Sohn geht ran: Peter ist gerade in der Küche. – Ich rufe morgen noch mal an. Wenn du da bist, will ich nicht stören. – Sohn: In 15 Minuten kannst du wieder anrufen. – Bist du dann wieder weg? – Sohn: Ja. – Wie geht es deinem Vater? – Sohn. Den Umständen entsprechend gut. – Hm. Und wie geht es dir? – Sohn: Ich wohne jetzt in Neukölln. – Ich weiß. Und sonst? – Sohn: Klausuren im Moment. – Dann hast du viel zu tun? – Sohn: Ich schreibe dieses Semester nicht so viele Klausuren. - Ja, dann. Alles Gute … . – Den Umständen entsprechend gut. Er ist so spröde. Er kann aber auch ganz anders sein. Wenn ich wüsste, wie ich es anstellen muss, damit er ganz anders ist. – Im Dezember wollte ich mit R., dem Sohn Peters, reden. Über seinen Auszug und warum es ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt sein musste, in einer Phase, in der sein Vater Beistand nötig gehabt hätte, und sei es nur, dass jemand da ist, dass er, der Sohn da ist. – Ich bin damals nicht rangekommen an R., habe es auch nicht energisch genug versucht. Weil ich eine Scheu hatte. Weil ich wie sein Vater nicht wollte, dass er sich schlecht fühlt bei seinem Entschluss, von zu Hause auszuziehen. Mit 25 Jahren längst überfällig. Aber wenn er es so lange ausgehalten hat, warum konnte er nicht ein, zwei Monate warten, bis sein Vater sich wieder berappelt haben würde? Wollte ich ihn fragen. Nicht nur aus Neugier, sondern weil ich dachte, ich könnte zur Verständigung zwischen den beiden beitragen, wenn ich mit R. ins Gespräch komme. Weil ich auch annahm, dass Peter den Helden spielt vor seinem Sohn und ihm nicht zeigt, wie sehr ihn sein Auszug schmerzt. – Sie sind ohne mich klar gekommen. R. wird schon wissen, warum er keinen Tag länger bleiben wollte. Und Peter reißt sich zusammen: Am Neujahrstag hat er R. angerufen. Wegen der Hintergrundgeräusche hatte Peter den Eindruck, R. sitzt mit seinem Laptop in einem Café. Er hat ihn gefragt, wo er gerade ist. Darauf hat er geantwortet: Zu Hause. – Also in seiner Wohnung in Neukölln, in der WG, in der er untergekommen ist. – Zu Hause! - Während sie weiter redeten hat Peter sich noch zusammengerissen. Aber nachdem sie sich verabschiedet hatten, da hat er zu weinen angefangen. Zu Hause, hatte R. gesagt und damit seine neue Wohnung gemeint, in der er gerade mal seit 14 Tagen lebte, nachdem er 25 Jahre bei ihm, bei Peter zu Hause war. - Von diesem bitteren Moment hat Peter mir immer wieder erzählt. Gerührt von sich selbst (verstehe ich gut. ich bin manchmal auch gerührt von mir selbst). Vielleicht wollte er auch, dass ich darüber schreibe. Aber es hat nie gepasst. - Peter ordnet seit Wochen sein Foto-Archiv und blickt dabei zurück auf sein Leben. Ab und zu schickt er mir Fotos – Jugendfotos von sich, Fotos seiner Ex-Freundinnen, die immer noch Freundinnen sind. – Gestern hat er mir ein Foto von Susanne geschickt und dazu geschrieben: R.`s  Mutter, in meinen Armen 1993 elend an AIDS gestorben. – Ich schaue das Foto lange an und schreibe dann ehrlich, aber etwas hilflos zurück: Sehr, sehr schönes Foto von der beeindruckenden Frau. Ich habe sie nur einmal gesehen. Wann war das? - 1981, 82? – Aber Peter: R.´s  Mutter, in meinen Armen elend an AIDS gestorben. - Manchmal bist Du schon sehr melodramatisch. - Ich gucke mir an, was ich gerade geschrieben habe. Ich lösche das mit melodramatisch ab Aber Peter und beschließe, das Foto in den anderen Blog zu stellen, weil es mich so beeindruckt - und um Peter eine Freude zu machen. - Hier das Foto.