Sonntag, 13. Februar 2011
Filmfestspiele 2
Also noch mal rein zum Empfang. Anja im Gespräch mit Steffen. Ich will nicht stören, stelle mich hinter sie und warte, bis alles besprochen ist. Dann erst mache ich mich bemerkbar, indem ich von hinten an Anjas Oberarm tippe. – Anja: Hey! - Begrüßung. - Toller Empfang, sagt sie. Gute Leute. Gute Gespräche, die sie hatte. Ob ich auch gute Gespräche hatte? – Ich murmele etwas im Sinne von: wider Erwarten ja. Ich fühle mich gerade schwerfällig und es ist mir lieber, wenn sie redet. Sie sagt, dass sie sich sehr gefreut hat über das, was ich ihr geschrieben habe. In meiner Mail. Oder hat sie gesagt: was ich ü b e r sie geschrieben habe? In dem Post Treffen? – Ich verstehe sie so schlecht. Es ist laut da vorne am Eingang und stickig und zu warm außerdem. – Ich setze zu einer Erklärung an, warum ich auf ihre Antwort-Mail nicht reagiert habe. Wir sehen uns beim Pegasus-Empfang zu den Filmfestspielen, hatte sie geschrieben. Na gut, habe ich mir da gedacht, dann also erst im Februar. – Sie sagt: Du bist auch so einer, der sich zu viel denkt. – Das stimmt. sage ich und hätte hinzufügen können: Aber so viel auch wieder nicht. Ich will nur unser Gespräch vom September fortsetzen, das mir so gut gefallen hat. Ich könnte auch sagen: Alles, was ich will, ist etwas mit ihr zu tun zu haben. – Für eine solche Grundsatzerklärung kennen wir uns jedoch nicht gut genug. Ich sage, dass ich ihr gerne noch ein paar Fragen stellen würde zum Hotel Michelberger und was sie dort genau macht. Plus: Sie hat doch erzählt, dass sie schreiben möchte. Und wenn es so sein sollte, dass sie fürs Fernsehen schreiben will, dann ist das ein großes Thema: das Hotel Michelberger. Da könnte sie was draus machen - fiktional ausgesponnen - und dabei könnte ich ihr helfen. – Aber Anja hat sich schon etwas anderes überlegt. Ob ich den Fragebogen von Max Frisch kenne? – Von wem? – Max Frisch. Kennst du doch, – Klar. – Kennst du seine Tagebücher? – Nur die ersten beiden. - Da gibt es den Fragebogen, den er entworfen hat. – Muss im dritten Tagebuch sein, das ich nicht kenne. - Diesen Fragebogen will sie verteilen an die Mitglieder des Michelberger-Teams. – Verstehe. – Ihre Art, was darüber zu machen. Nicht so etwas Stereotypes wie der Plan, die Michelberger-Geschichte in einem Serienkonzept zu verwerten. Reicht, wenn sie in Fernsehproduktionen als Schauspielerin mitwirkt , da will sie nicht auch noch fürs Fernsehen schreiben. Ich will das eigentlich auch nicht mehr. Ich dachte nur, weil das ein schöner Berlin-Stoff ist: die Leute aus kreativen Berufen, die sich mit dem Hotel einen Nebenjob mit sicherem Verdienst verschafft haben, und dann das Hotel selbst, Warschauer Straße, spannende Gegend, die Gäste aus aller Welt, Musiker, Künstler, der Chelsea-Hotel-Touch. – Vorstellung vom letzten September, nachdem Anja so begeistert von dem Hotel erzählt hatte. Jetzt merke ich, das einzig Gute an dem Plan war, dass ich so das Gespräch mit Anja hätte fortsetzen können und was mit ihr zu tun gehabt hätte. – Anja ist mal eben weg für kleine Mädchen, wie sie sagte. Ich warte auf sie und weiß jetzt auch nicht. – Als sie zurückkommt, ich: Das ging ja schnell. – Sie: Ich bin schnell. – So wird das nichts mit der Fortsetzung des Gesprächs, das mir so gut gefallen hat im September. - Auftritt einer sehr süß aussehenden blonden jungen Frau. Kollegin von Anja, die sie gerade kennengelernt hat. iPhones; Austausch von Telefonnummern. Nehme ich mal an. Denn ich höre nicht zu. Ich sehe mich um, fühle mich schwerfällig, weiß nicht. Anja fragt mich, ob ich eine Zigarette für die Kollegin habe. Ich halte der sehr süß aussehenden jungen Frau die Packung hin und sie bedankt sich so sehr für die Zigarette, dass es zu viel ist. Ich schlage Anja vor, auch rauchen zu gehen. – Anja sagt: Rauchen? Na gut. – Doch vorher muss sie sich noch von Ute verabschieden, ihrer Ansprechpartnerin bei Pegasus. Jetzt erst wird mir klar, dass Anja am Gehen ist. Sie hat nämlich noch drei Einladungen an diesem Abend. Alle ihre Berlinale-Einladungen sind an diesem Abend. - Draußen die sehr süße blonde Frau mit ihrem Freund. Die sehr süße blonde Frau heißt Carla und es zeigt sich, dass sie auch sonst so ist wie sie sich zuvor für die Zigarette bedankt hat. Nein, nicht zu sehr, nicht zu viel. Sie ist einfach so. Eindringlich? - Schweizerin aus Locarno. Muttersprache daher Italienisch. Ihr Englisch ist besser als ihr Deutsch. Sie muss ihr Deutsch verbessern. Einer der Gründe, warum sie in Berlin lebt seit Oktober. Hoffentlich verbessert sie ihr Deutsch nicht zu sehr, denn ihr Akzent ist hinreißend. – Ich bin ein Bergkind, sagt sie. – Das sieht man dir nicht an, sage ich. – Aber ich bin es, sagt sie. Innen drin bin ich es. – Wir sprechen über Rätoromanisch. Der für mich typische Gesprächsbeitrag: Das ist das eigentliche Schweizerisch, hat Jean-Luc Godard neulich einmal in einem Interview gesagt. – Das stimmt, sagt Carla. Unbedingt. - Sie spricht Rätoromanisch und sie liebt es. – Zweimal ein strenger Blick von Anja zu mir und Carla. Anja unterhält sich mit dem Freund Carlas. Vielleicht immer noch darüber, wie schwer es ist, Karten für die Berlinale zu bekommen, wie er am Anfang des Gesprächs beklagt hat. Am Morgen haben sie sich angestellt; 250. Warteposition; sie haben Leute mit Schlafsäcken gesehen, die da übernachtet hatten; schließlich haben sie aufgegeben. – Es an einer der kleinen Theaterkassen in den Bezirken versuchen, habe ich vorgeschlagen. Anja hat darauf hingewiesen, dass man meist vor der Vorstellung an der Abendkasse noch Karten bekommt. - Die Zigaretten sind zu Ende geraucht. Anja beginnt sich zu verabschieden. Wenn Carla und ihr Freund wollen, im Michelberger findet um 23 Uhr die Party zu dem Film über die Band 1000 Robota statt, der am Abend auf der Berlinale gezeigt wird – da kann sie die beiden mitnehmen. Dich auch, sagt sie mit Blick zu mir. Die Band wird bei der Party spielen. Mittags war sie beim Soundcheck dabei. Hat sich gut angehört. Sie wiederholt die Einladung. Carla soll sie anrufen, wenn sie und ihr Freund kommen wollen. Und noch mal: Ich soll auch kommen. – Aber ihr skeptischer Blick weiß schon: das ist mir als Frühaufsteher zu spät oder ich bin zu faul. – Das auch. Aber vor allem muss ich nachher noch Blog schreiben. Den Textentwurf vom Nachmittag überarbeiten. – Am nächsten Morgen werde ich auf SPON den Artikel über 1000 Robota lesen und es doppelt bedauern, dass ich mich mal wieder wie auf Schienen bewegt und die Einladung nicht angenommen habe. – Jetzt muss Anja aber dringend los. – Ich gehe auch, ich begleite dich noch ein Stück. – Ich bin mit dem Auto da. Das steht direkt gegenüber. – Dann begleite ich dich auf die andere Straßenseite (Andere Straßenseiten sind zentraler Bestandteil meines Lebens. Insiderwitz. Entschuldigung!). – Das Auto Anjas ist ein Smart. Ich frage: Hat es dich wirklich gefreut, was ich über dich geschrieben habe? – Ja, sehr. – Im Nachhinein kam es mir so plump und aufdringlich vor. – Ach was! – Bei der Begrüßung, als ich ihr die Hand gegeben habe, da hatte ich das Gefühl, dass sie das als förmlich empfunden hat. Jetzt verabschiede ich mich mit Wangenküssen und habe danach das Gefühl, dass sie das überrascht hat und es ihr unangemessen vorkam. - Tschüss, Anja! Ich schreibe dir. – Aber was? überlege ich, als ich durch die Knesebeck Richtung Kudamm gehe. – Antwort: Steht alles im Posting von heute. Deshalb ist es so lang geworden.