Mittwoch, 30. November 2011

Kassierer

Ideologie muss keine Theorie sein und dann wird die propagandistisch behauptet, bis eines Tages alles zusammenbricht unter den Tatsachen. Ideologie kann auch sein, dass alle das Gleiche denken und sich nichts anderes vorstellen können, bis es kracht wegen der Tatsachen.

Während ich mir schon den ganzen Tag Sorgen mache wegen meiner persönlichen Angelegenheiten, bilde ich mir (auf einem zweiten Kanal) schon den ganzen Tag eine Meinung zur Euro-Krise, obwohl ich gar keine Meinung haben will, weil ich es vulgär finde, eine Meinung zu haben, erst recht wenn man so wenig weiß wie ich, da ich nicht fernsehe und schon vor mehreren Jahren mein Abonnement der Frankfurter Allgemeinen gekündigt habe. 

Angefangen hat es damit, dass ich beim Verlassen des Hallenbades noch was zum freundlichen Kassierer sagen wollte. Da haben wir sie also, die Krise, habe ich zu ihm gesagt und meinte das fußballerisch. Bayern München auf den dritten Tabellenplatz zurückgefallen. Das ist auch für ihn normalerweise eine Krise. Doch als ich jetzt Krise sagte, da verstand er Geldkrise und davon war er nicht mehr wegzukriegen. Um ihn zu beruhigen, habe ich behauptet: In diesem Fall wird es einmal nicht die Armen treffen. Darüber hat er  kurz gelacht, doch danach gleich wieder beklommen geguckt. Dann ist er also gar nicht so arm, hätte ich darauf denken können. Stattdessen habe ich, als ich in Richtung S-Bahnhof Schöneberg gegangen bin, darüber gebrütet, dass die wichtigste Person in dem Krisengeschehen eine Frau aus der ehemaligen DDR ist, die allerdings auch in Hamburg hätte aufgewachsen sein können, wenn ihr Vater nicht in die DDR übergesiedelt wäre mit seiner Familie, doch meines Wissens nicht, weil er mit dem Staat dort sympathisierte, sondern weil es dort an Pastoren fehlte. Nachdem dieses Brüten zu nichts geführt hatte und ich nun vom S-Bahnhof in Richtung Hauptstraße ging, habe ich mir klar gemacht, dass der freundliche Kassierer nur ein kleiner Angestellter der Berliner Bäderbetriebe sein mag, über Sommer am Wannsee eingesetzt, in der Wintersaison im Hallenbad am Sachsendamm, aber der Mann ist nicht dumm und er kommt aus der ehemaligen DDR. Der hat das schon einmal erlebt, wie das ist, wenn etwas Ideologisches zusammenbricht. Da muss der nicht eine Banklehre gemacht haben und in mehreren Aufsichtsräten sitzen, um zu erkennen, wenn es gleich kracht. Und das hat dann dazu geführt, dass ich mir eine Meinung gebildet habe über den Zusammenbruch, obwohl ich es nicht wollte, weil ich mir zu fein bin für eine Meinung. Aber manchmal geht es nicht anders.

Dienstag, 29. November 2011

Frechheit



Die ist gut. Richtig gut, meint Uliane und kriegt sich nicht mehr ein wegen der Farben, dem Licht und der Frechheit. Nicht ihr Fall von Malerei. Doch das spielt keine Rolle. Das Ocker und das Grau, das Rot und das Blau und der Lichteinfall, der seitliche Lichteinfall: es ist nicht nur, wie die Hansen es macht, es ist auch, wie sie hinschaut. Die Kunstpädagogin spricht. Was sie ihren Schülern wieder und wieder sagt: bei Ulrike Hansen ist es alles da. Und dazu noch die Frechheit, immer wieder lobt sie die Frechheit von Ulrikes Malerei.  – Schreib ihr das doch, wie sehr du ihre Arbeit bewunderst, sage ich, weil ich das Thema wechseln möchte, nachdem ich gerade vorher die Bildunterschriften vervollständigt habe und mich nun schon den fünften Tag mit Ulrike Hansen beschäftige. Und dann merke ich, was für eine gute Idee das ist: Schreib ihr, dass du meinen Blogeintrag über sie gelesen hast und meinem Hinweis folgend dann auf ihre Website gegangen bist, damit sie mitkriegt, wie gut das ankommt, was ich über sie geschrieben habe, und sich nicht nur beschwert darüber, dass ihr dies und das zu persönlich und jene Ausdrucksweise ihr unangemessen erscheint. – Warum sollte sie das tun? – Ich erzähle Uliane von der Mail, in der Ulrike mir schrieb, wie sie das Farben-Posting amüsiert hat, nur das Wort fade für den Ei-Terpentingeruch, das klinge so nach langweilig, da würde mir doch bestimmt noch etwas Besseres einfallen. Ich erzähle Uliane nicht, dass ich von diesem Vorschlag so deprimiert war, dass ich dachte, wenn sie mir bei dieser Sendung-mit-der-Maus-Bildgeschichte schon glaubt reinreden zu sollen, wie wird es dann erst, wenn ich das Biest auf sie los lasse. Ich erzähle das Uliane nicht, weil ich ihr dann auch erzählen müsste, wie schlecht es mir am Sonntag ging, noch viel schlechter als die Vorbemerkung zum Gott-des-Gemetzel-Posting es vermuten lässt. Und weil ich deswegen so verzagt war und am Sonntag sowieso schon das Gefühl hatte, dass ich Frauenspersonen zur Zeit besser aus dem Weg gehen sollte, habe ich mir überlegt, dass ich es bei der Sendung-mit-der-Maus-Bildgeschichte über Ulrike Hansen gut sein lasse, vorläufig lieber über Männer schreibe und am besten nur über einen: mich, so lange nur über mich schreibe, bis es mir wieder besser geht, was ich mir am Sonntag allerdings nicht vorstellen konnte, so schlimm war es. Doch dann ging es mir schon gestern viel besser und ich wollte wenigstens erklären, warum ich über Ulrike Hansen nicht mehr schreiben will, als was im Farben-Posting steht. Der Rest der Geschichte ist hier nachzulesen.

Geschäftsbedingungen
Um korrekt zu sein, muss ich noch erzählen, wie Ulrike dazu gekommen ist, mir in meine Wortwahl reinzureden - wie sie wahrscheinlich dazu gekommen ist. Zu Beginn unseres Gesprächs am vergangenen Freitag hatte sie gesagt: Bevor du veröffentlichst, was du über mich geschrieben hast, gibst du es mir doch bestimmt vorher zu lesen. Darauf habe ich geantwortet: Nein. Das mache ich nicht. Aber ich schicke dir das Link zu dem Text und wenn ich etwas geschrieben habe, was nach deiner Ansicht auf keinen Fall da stehen darf, dann streiche ich das. Mein Fehler: Ich hätte hinzufügen sollen, was für Fälle ich mir dabei vorstelle. Nicht fad oder nicht fad. Schwere Fälle. Zum Beispiel, wie hier schon gehabt: Jemand fürchtet, seinen Krankenversicherungsschutz oder seinen Job zu verlieren.  Sonst gilt: Ich schreibe über mein persönliches Erleben (was ich gesehen habe und was mir gesagt wurde) auf meine persönliche Art. Und da kann ich mich nur immer wieder wundern, wenn Leute, über die ich geschrieben habe, dann hinterher völlig entgeistert sind, habe ich zu Uliane gesagt. Denn sie hätten vorher nur zwei, drei Texte in diesem Blog zu lesen brauchen, dann hätten sie gewusst, was sie zu erwarten haben. Alleine schon der Blogtitel: Biest zu Biest! Der steht da oben doch nicht als Schnörkel. – Das jetzt aber nicht mehr wegen Ulrike Hansen, sondern damit es einmal erklärt ist und ich künftig darauf verweisen kann: auf die Geschäftsbedingungen. Bei Ulrike Hansen kann es gut sein, dass sie sich über das Posting von gestern noch mehr amüsiert als über die Bildgeschichte. Und an der zentralen Wortwahl –  hingerotzt – wird sie bestimmt nichts zu bemängeln haben, die hat sie gestern bereits gutgeheißen mit ihrer eigenen Wortwahl.  

Das Foto von dem Tisch in Ulrikes Atelier steht da, weil ich es weder am Samstag noch gestern unterbringen konnte. Im Grunde genommen habe ich den Text nur geschrieben, um von Ulianes Lob zu berichten und den Tisch zeigen zu können. 

Montag, 28. November 2011

Hansen




Rote Strandkörbe   Eitempera auf Leinwand   60 x 100 cm   2009 


Wenn ich heute nicht weiter schreibe über Ulrike, lasse ich es ganz. Wenn ich nicht weiter über sie schreibe, muss ich wenigstens erklären, warum ich es nicht tue. Die einfachste Erklärung ist: Mit dem Posting Farben ist alles gezeigt und gesagt. Das Link zu dem Text habe ich Ulrike gestern gemailt und ihr dazu geschrieben:
Hier die Verarbeitung meines Atelierbesuchs bei Dir: 
Bin ich zu sehr meinem Farbrausch erlegen? - Das Posting zeigt auf jeden Fall, wie sehr es mir gefallen hat in Deinem Atelier. Jetzt der zweite Teil über Deine scheußlichen Bilder. Schaue mir gleich an, was Du mir geschickt hast. Mit dem Text kann es noch dauern. Vielleicht will ich Dir auch noch ein paar Fragen stellen und würde dann in den nächsten Tagen anrufen. Deshalb nehme ich das auch gleich wieder zurück mit "Deine scheußlichen Bilder". War ein Humortest. Die Wahrheit ist, dass ich ein Fan Deiner Malerei bin.  
Hoffe, Du bist einverstanden mit "Farben".  

Scheußlich, das ist mir beim Schreiben eingefallen, ich habe gezögert, es hinzuschreiben, aber weil es mir nun mal eingefallen war, habe ich es hingeschrieben und gedacht, ich kann es später auch wieder streichen. Doch nachdem es da stand, fand ich es witzig, und da es sonst gerade nichts zu lachen gab, habe ich es stehen lassen und eine Vorsicht-Humor!-Erklärung hinzugefügt, die es mir dann ermöglicht hat zu formulieren, was sonst allzu treuherzig rübergekommen wäre: dass ich ein Fan von Ulrikes Bildern bin. Wenn auch nicht von allen. Nicht von den Bildern, die sie ausgewählt hatte, wie ich nun gleich bemerkte. Zu konventionell, zu gefällig. Nur gefällig. Denn gefällig sind alle ihre Arbeiten, aber in denen, die mich zu Ulrikes Fan gemacht haben, erreicht sie das Gefällige mit einer Rohheit und einem Ungestüm, die dem Gefälligen alles nimmt, was es sonst unerträglich macht: die Banalität, den Kitsch, das Niedliche, Nette, Harmlose.   


Läufer Nr. 5   Eitempera auf Leinwand   30 x 40 cm   2009 


Die Wildheit und Grobheit, mit der Ulrike das Gefällige vorträgt, mit der sie die Farbereignisse schafft, die ihre Bilder sind, die hatte ich im Sinn, als mir das Attribut scheußlich eingefallen ist. Also nicht nur ein Witz, scheußlich ernst gemeint. Oder noch mal anders gesagt: Die Arbeiten von ihr, die mir am besten gefallen, haben etwas Hingerotztes und Ulrikes Kunst ist für mich, dass der Rotz bei ihr so leuchtet, das ich gar nicht mehr wegschauen mag.

Feuriger Strand   Eitempera auf Leinwand   60 x 200 cm   2011

Urlaub in Ahrenshoop   Eitempera auf Lw.   80 x 100 cm   2009

Habe ich mich damit jetzt verstiegen? Lässt sich meine Sehweise denn belegen? Und was ist mit ihren Sujets? Den Strandszenen zum Beispiel: immer wieder die heiteren Strandszenen, die Sonne, das Meer, der Sand, die fröhlichen Badegäste und die lustigen Möwen, von denen sie für ihre anderen Fans gar nicht genug malen kann. Dazu kann ich nur sagen: Die Sujets sind mir egal. Das Gegenständliche bei dir ist nur ein Vorwand, um das Farbereignis zu schaffen, habe ich zu ihr gesagt. – Aber das Gegenständliche ist schon auch wichtig für mich, hat sie geantwortet. Ich will immer auch etwas erzählen. - Erzählen? Dieser Aspekt ihrer Bilder entgeht mir. Weil ich von Malerei nichts erzählt bekommen will. 

Das Haus im Grünen   Öl auf Leinwand
 30 x 40 cm   2009 

Nachdem ich das geschrieben hatte, habe ich Ulrike angerufen, um mit ihr über die Bildauswahl zu sprechen und noch einmal darüber, was sie über den Malvorgang erzählt hatte. Sie kam gerade vom Einkaufen mit ihrem Mann und wollte mit dem Malen anfangen. Vorläufig letzter Nachmittag, an dem sie sich konzentrieren kann darauf. Denn ab morgen macht sie vier Wochen lang einen Job. – Du machst einen Job? Du bist doch gut im Geschäft mit deinen Bildern. – Aber auch erst seit eineinhalb Jahren und gerade im Moment nicht so sehr. – Der Job ist bei einem Auktionshaus. Da arbeitet sie als Packerin. Viermal im Jahr vier Wochen, seit 20 Jahren. Anspruchslose Tätigkeit, gerade das schätzt sie daran, weil sie bei ihren eigenen Gedanken bleiben will und nicht hineingezogen werden in was anderes wie damals, als sie unterrichtet hat. – Und das in deinen Katalogen immer wieder erwähnte Haus an der Ostsee? – Das gehört meinem Mann. Haus mit Ferienwohnungen. Wir bauen gerade ein neues. – Und viermal im Jahr arbeitet sie als Packerin. Aber immerhin in einem renommierten Auktionshaus. Name bitte nicht erwähnen. Sonst rufen da gleich 20, 30 andere Künstler an und wollen auch da arbeiten, hat sie gesagt. Das war am Freitag. Jetzt sagt sie, dass sie nicht so einen großen Aufwand treiben wollte mit der Bildauswahl, deshalb hat sie in irgendeinen leicht zugänglichen Ordner auf der Festplatte gegriffen und das waren dann eben Landschaften von vor zwei Jahren. –  Die gefallen mir nicht, sage ich, Und vielleicht sagt sie deshalb gleich noch einmal, dass sie nicht so einen großen Aufwand treiben will. Für mich, meint sie. Verstehe. Zweite Frage: Was sie gesagt hat über den Malvorgang, das Abstellen des Denkens, das Suchen eines Ergebnisses, das nicht geplant ist, das neu ist und überraschend, und deshalb das Abstellen des Denkens, denn, was sie sich denken und vorstellen kann, das gibt es schon. Alles, was sie da gesagt hat, ist mir bekannt. Genauso würde ich es auch sagen, genauso habe ich es auch schon von anderen gehört. – Das sage ich ihr und frage sie: Woher haben wir das? Haben wir das irgendwo gelesen? Keine rhetorische Frage. Ich weiß es wirklich nicht, ob ich es irgendwo gelesen habe und dann habe ich es mir so zu eigen gemacht, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann. Und sie? Sie tut alles erst mal ab oder spielt herunter, was ich vorbringe. Ich sage: Bei der Ausstellungseröffnung bei Gondwana ist mir aufgefallen, dass du eine richtige Fangemeinde hast. Das weist sie erst weit von sich, erzählt mir dann aber in den nächsten dreißig Minuten, was sie alles tut, welchen Aufwand sie treibt, um die Kontakte zu ihrer Fangemeinde zu pflegen. Auch das war am Freitag. Jetzt kann sie das mit dem Abschalten des Denkens und dem nicht geplanten Ergebnis nicht von sich weisen, denn das hat sie selbst gesagt. Sie beschränkt sich also darauf, unwillig darüber zu reden; vielleicht auch deshalb unwillig, weil  es gleich 14 Uhr ist und sie mit dem Malen anfangen will. Nein, gelesen hat sie es nicht, sagt sie. Da kommt man eben irgendwann drauf. – Aber nicht jeder kommt darauf, so draufgängerisch ergebnisoffen zu arbeiten, denke ich, will sie aber nicht tiefer ins Gespräch verwickeln und noch länger vom Malen abhalten. Und weil ich nun nur noch darauf aus bin, sie nicht aufzuhalten, höre ich ihr gar nicht mehr richtig zu, weiß auch gar nicht, warum sie immer noch weiterredet, sie will doch malen. Und dann höre ich sie sagen, auf die für sie typische achselzuckende Art sagen: dass sie die Lockerheit nicht immer hat, alles Unnötige wegzulassen. Und dass das dann eben schon ein Geschenk sei, wenn das klappt, ein Bild einfach nur so hinzurotzen. – Das sagt sie wörtlich: Ein Bild einfach nur so hinzurotzen. Und das freut mich sehr, dass sie das sagt, denn vom Hingerotzten der Arbeiten, die mir von ihr  am besten gefallen, habe ich gerade am Vormittag geschrieben.


Junge Frau vor Grün  Eitempera auf Leinwand
 40 x 30 cm    2009 

Saskia  Eitempera auf Leinwand
50 x 40 cm    2007
 
Drei Möwen im Sand  Eitempera auf Leinwand
60 x 80 cm   2009


Mehr Bilder von Ulrike Hansen auf ihrer Website.
Abbildungen: © Ulrike Hansen

Sonntag, 27. November 2011

Maniacs

Ist das Schüttelfrost? Werde ich krank? Oder muss ich nur den Thermostat höher stellen? Bei der für November so milden Außentemperatur? Und warum fühle ich mich, als würde jede Nacht ein Vampir an mir trinken? Keine Bissstellen. Es gibt keine Vampire. Es gibt auch keine Feen. Siehe Text dazu in Das innere Biest, Lebenskunst. Hinweis mit Warnung: Nur für die Hartgesottenen unter denen, die es ganz genau wissen wollen. 

Roman Polanski, Der Gott des Gemetzels (Carnage). Film nach dem Theaterstück von Yasmina Reza. Im Odeon um 16 Uhr unerwartet großer Besucherandrang. War gestern Wetten, dass ... ? und Christoph Waltz war zu Gast, frage ich mich, um mich mit meinen eigenen schlechten Witzen zu unterhalten, während ich in der Schlange stehe. Und etwa 45 Minuten später erinnere ich mich an meinen Kalauer, weil er so abwegig gar nicht war. Der Film ist ZDF-kompatibel – oder ich bin einfach nur schlecht drauf, obwohl ich viel gelacht habe und mich 79 Minuten nicht gelangweilt, aber auch gelitten unter der vorgeführten These: wie schnell die Zivilisationskruste aufbricht und zum Vorschein kommen gewaltbereite Maniacs. Zwei Ehepaare treffen sich, nachdem der Sohn des einen Ehepaars dem Sohn des anderen zwei Zähne ausgeschlagen hat, und am Ende gehen die Erwachsenen auf einander los wie zuvor ihre Kinder. Ach ja. Das ist auf jeden Fall die These und das ZDFige. Gut allerdings ist, wie Kate Winslet schwallartig auf den Couchtisch kotzt und den Kuchen erbricht, den Jodie Foster gebacken hat und auf den sie sich so viel einbildet. Noch besser ist, wenn Jodie Foster entsetzt ausruft: My Kokoschka! und den Kokoschka-Katalog aus Kate Winslets Erbrochenem fischt und die nächsten zehn Minuten fieberhaft damit beschäftigt ist, das unersetzliche Stück (Londoner Ausstellung von 1957) zu retten, indem sie es trocknet und parfümiert. Aber am besten ist, wenn die inzwischen betrunkene Kate Winslet das iPhone von Christoph Waltz in das Tulpenwasser wirft und Christoph Waltz darauf völlig fertig mit der Welt ist. Da lacht Kate Winslet sich schief: Wie ein im Park ausgesetzter Hamster sitzt er da, feixt sie. Schnitt und Blick auf Christoph Waltz, der nun tatsächlich so verloren auf dem Boden kauert wie ein im Park ausgesetzter Hamster. Damit die große Komödie dieses Moments losgehen kann, bedarf es langwieriger Vorbereitungen: dass der Mann von Jodie Foster, John C. Reilly , den Hamster der Familie am Vortag im Park ausgesetzt hat, muss erzählt werden (gute Geschichte) und Christoph Waltz muss ständig abgelenkt sein von Anrufen. Das ist nervig - ach, aber auch witzig und ich war wirklich nur schlecht drauf: übellaunig, griesgrämig, enttäuscht von der Harmlosigkeit des Films, aber einer der lautesten Lacher im Publikum. Gefroren habe ich nicht mehr, der Kinosaal war völlig überheizt. 

Samstag, 26. November 2011

Farben



Gegen Schwermut helfen die leuchtenden Farben von Ulrike Hansen in ihrem Atelier. Am Freitagmittag auch noch sonnendurchflutet. Das ist schon fast wieder zu viel.


Die Wände vollgehängt mit Arbeiten in unterschiedlichen Phasen der Vollendung. So wie Ulrike über ihre Arbeit spricht, könnte man auch sagen: in unterschiedlichen Phasen des Gelingens und Misslingens.


Vom Misslingen und vom Prozess, der zum Gelingen führt, im zweiten Teil. Jetzt nur die Farben. Eitempera, Ölfarben, Acryl. Es ist eine Frage des Temperamentes, mit welchen Farben man malt, sagt Ulrike Hansen. Sie malt mit Eitempera und so sieht sie auch aus.  


Eitempera hat den Vorteil, dass ich die Farben trotz der öligen Bestandteile mit Wasser verdünnen kann und sie schnell trocknen. - Kein tagelanges Warten, bis die Farbe trocken ist wie bei Ölfarben. Mit Eitempera kann sie schnell malen und auch schnell wieder übermalen.


Die Eier liegen schon bereit. Und dann geht es auf einmal so fix, dass ich es verpasse, als sie die Eier aufschlägt.




Zum Ei kommt Leinöl. Wässriges und Öliges verbinden sich durch Schütteln zu einer Emulsion und der wird dann noch ein in Terpentinöl gelöstes Dammarharz  zugesetzt. Hier die genaue Rezeptur und hier das gelöste Dammarharz beim Umfüllen. Nur mal, um zu zeigen, wie es da zugeht. 


In die als Bindemittel wirkende Eitempera kann jetzt ein Pigment eingerührt werden. Die teuren und die nicht so teuren Pigmente. Die teuren sind die giftigen. Vorsicht! Da ist Cadmium drin. 








Ein fader Geruch nach Ei und Terpentin erfüllt den Raum. Und danach riechen auch die Leinwände, wenn man ganz nah an sie ran geht.


Ich möchte hinter das Geheimnis deiner Farbgebung kommen, sage ich zu Ulrike. Deswegen bin ich zu ihr in den Wedding gefahren, um danach erzählen zu können, wie sie das hinkriegt, diese Farbereignisse zu schaffen, die ihre Bilder sind. Eine raffinierte Farbmischerin sei sie, habe ich geschrieben, beeindruckt und ahnungslos habe ich mir das buchstäblich so vorgestellt. Jetzt hat sie mir gezeigt, wie sie ihre Farben herstellt. Wenn es dabei ein Geheimnis gäbe, würde sie es mir nicht verraten. Aber es gibt kein Geheimnis. Keinen Ansatzpunkt für Raffinement beim Herstellen der Eitempera und dem Verrühren der Pigmente. Das Verfahren, das sie mir vorgeführt hat, ist uralt und bekannt. Jeder kann sich so seine Farben anrühren. Jeder kann sie verdünnen. Jeder kann eine Farbe mit einer anderen übermalen. Es ist nicht, wie Ulrike Hansen die Farben macht. Es ist, was sie mit ihnen macht. Raffinierte Farbmischerin ist sie. Aber das Mischen der Farben findet auf der Leinwand statt. Beim Malen.







Arbeiten in unterschiedlichen Phasen der Vollendung

Kunst: © Ulrike Hansen
Fotos: © w.g.

Freitag, 25. November 2011

Schere

Als ich in den Laden gekommen bin, hat Friederike  gefragt: Na, was macht die Lebenskunst? – Das war mal eine gute Frage. Die hätte ich gerne beantwortet, doch just in dem Moment kam eine Freundin Friederikes herein und ich habe schon gedacht, dann eben ein andermal. Die Freundin ist dann jedoch gar nicht lange geblieben. Trotzdem war es zu spät, um auf die Frage zurück zu kommen: Ähm, weil du mich vorhin gefragt hast, was die Lebenskunst bei mir macht … .  Das ging natürlich nicht. Vielleicht fragt sie es mich beim nächsten Besuch wieder. 

Folgt etwas über die Freundin von Friederike, Künstlerin, die sich KAA nennt. - Wie KAA, die Schlange aus dem Dschungelbuch? - Genau. - So ein Text war das, Text von gestern, verschoben wegen Kuschelkätzchen auf heute. Aber heute habe ich ihn mir nicht mehr abgenommen und Überarbeiten hat nicht geklappt. Bis auf diese Stelle: 

Weil ich es mir nicht mit Friederike verderben will, habe ich nicht rumgemault, als ich das von ihr entworfene rote Abendkleid im Schaufenster nicht fotografieren durfte und nicht das Blatt mit den von ihr gezeichneten Brautkleider-Skizzen und nicht das Jäckchen, das sie modelliert hat aus Tüll, während wir uns unterhielten, und sie durfte ich schon gar nicht fotografieren. Das war bei unserem letzten Treffen schon klar, dass sie das nicht will.  Ich hätte das rote Kleid von draußen durch die Schaufensterscheibe fotografieren können. Dagegen kann ich mich nicht wehren, hat sie gesagt. Doch wenn sie das schon so sagt, dann lasse ich es lieber, habe ich darauf gedacht. Obwohl es alleine schon schade ist um die Bildunterschrift. Die hat sie selbst formuliert, als sie stolz über das rote Kleid sagte: Das trägt bestimmt mal jemand bei einer Oscar-Preisverleihung. - Dann wird ein Blitzlichtgewitter über es hereinbrechen und die ganze Welt kann Bilder des Kleides sehen. Doch das ist dann in Ordnung. Dann ist das Kleid verkauft.

Fotografiert habe ich Friederikes Schere und ihre Hände. 


Tolle Schere hast du. – Das ist eine japanische.  – Wie kommst du zu einer japanischen Schere? – Das ist ein gebräuchliches Schneiderwerkzeug. – Japaner können gute Scheren fertigen? – Das kommt aus der Tradition der Schwertschmiedekunst. – Samuraischwerter. – Genau.  


An den Händen sieht man das Alter, hat Friederike gesagt. Du hast schöne Hände, habe ich gesagt.



Donnerstag, 24. November 2011

Kuschelkätzchen

Während ich an der Apostel-Paulus-Kirche vorbeigehe und überlege, ob das denn stimmt, dass die Enge noch schlimmer ist als die Not, kommt mir Katharina Hacker entgegen, an jeder Hand ein Kind und meinen Blick vermeidend oder auch nur ihm nicht begegnend singt sie Lalalalalalalalala, während wir an einander vorbei gehen. Gleich darauf finde ich das Kuscheltier. In meiner einfachen Art denke ich, dass eine der beiden Töchter von Frau Hacker das Kätzchen verloren haben könnte. Doch das ist nicht der Grund, weshalb ich es aufhebe. Später denke ich noch, dass so die LeserInnen von Frau Hackers Literatur aussehen dürften wie die große Frau mit dem kleinen Jungen, die allerdings nicht ganz so groß war wie Frau Hacker, die so groß ist, dass es gerechtfertigt wäre, von lang zu sprechen. 


Ich: Das lag da vorne neben dem Papierkorb. Ich habe es auf den Poller gelegt, damit das Kind, das es verloren hat, es gleich sieht, wenn es zurückkommt. Und jetzt will ich meine gute Tat fotografieren. 
Kleiner Junge mit Wollmütze gibt Laute des Entzückens von sich.
Frau Zeitgeist: Warte noch, der Mann will fotografieren. 
Ich: Es könnte natürlich auch ein anderes Kind das Kätzchen entdecken und es mitnehmen. 
Frau Zeitgeist: Ich muss dann mal an mein Auto. 
Ich: Bin gleich so weit. 
Kleiner Junge will jetzt endlich das Kuschelkätzchen anfassen und drängt zum Poller.
Frau Zeitgeist gebieterisch: Aber Sie werden nicht das Kind fotografieren! 
Ich: Hören Sie, ich habe diese ganze Aktion nur gemacht, um ihr Kind fotografieren zu können.
Frau zieht das Kind von dem Poller mit dem Kätzchen weg: Ich habe nur gesagt, dass ich nicht will, dass sie das Kind fotografieren.
Ich: Es ist nicht zu glauben, mit was für einer Scheiße ich hier konfrontiert werde.
Frau Zeitgeist ringt empört nach Worten. Die Worte sind: Na. So. Was.
Ich: Ich bin ausfallend und bösartig.
Frau Zeitgeist: Und das vor dem Kind!
Das Kind weint. Aber nicht, weil ich keine treffendere Formulierung als Scheiße gefunden habe und seine Mutter verachte. Das Kind weint, weil es nicht an das Kätzchen rankommt, da seine Mutter es am Arm festhält, während sie mit ihrer anderen Hand die Heckklappe ihres PKW öffnet. Die Szene verliert sich in aggressivem Schweigen. Ich schalte die Kamera ab und gehe weg.  


Katharina Hacker hat zuletzt die Erzählung Eine Dorfgeschichte veröffentlicht. 

Mittwoch, 23. November 2011

Bilderbuchfamilie

Tatsachenroman. Heute wollte ich mal so tun, als ob es schon einen gäbe, und sehen, wohin das führt. Plan war, den in Gemeinde nicht genannten Sponsor vorzustellen: Sponsor Nr. 2, eine Sponsorin. Vorstellen wollte ich sie mit einer Szene von gestern, in  der sie an ihrem PC sitzt und eine Werbeanzeige entwirft für die Weihnachtsausstellung in ihrer Galerie. Zur Illustration wollte ich die Anzeige hier reinstellen. Text sollte sein eine Sympathieerklärung für die Sponsorin und mit der Anzeige wollte ich nebenbei hier Werbung für sie machen. Aber dann konnte ich die Vorlage für die Anzeige nicht bekommen und so gehen die 100 Sympathiepunkte von heute wieder einmal an das Kaiser Kiosk. Nachdem ich bei der Galeristin vor einer verschlossenen Tür gestanden hatte, bin ich nämlich dorthin gegangen, um rauszufinden, was ist schief gelaufen mit Oguzhans und Serhats Einladung bei Sandmann?
Ich: Ist Oguzhan da?
Er blickt hoch zur Wanduhr: Der kommt um 15 Uhr. Ich hoffe, er ist pünktlich.
Ich bin immer auf dem Sprung, wenn es gilt, Oguzhan zu verteidigen, und jetzt ist es 13.30 Uhr: Da hat er ja noch reichlich Zeit, um pünktlich zu sein, sage ich.   
Er: Ist es wegen der Illustrierten?
Ich: Nichts Geschäftliches. Oguzhan und ich sind so gut wie Freunde. Ich will ihn was Privates fragen.
Er: Um 15 Uhr kommt er.
Ich: Am Montag habe ich dich und deine Frau bei Reichelt gesehen. Ihr habt ein Kind?
Er strahlend: Ja.
Ich: Ihr seid eine richtige kleine Bilderbuchfamilie.
Er: Ist nicht immer so leicht.
Ich horche auf: Warum ist es nicht leicht?
Er: Na ja … . – Unterbricht sich, blickt mich an. Du weißt schon, will der Blick sagen.
Ich: Bist du ein Mann oder eine Frau?
Sie: Eine Frau.
Ich: Und ihr seid beide türkisch?
Sie: Ja.
Ich: Soll ich dir mal sagen, was ich gedacht habe, als ich dich hier vergangene Woche zum ersten Mal mit deiner Frau gesehen habe? 
Sie: Dass ich ein Mann bin?
Ich: Dass du eine Frau bist und dass sie deine Freundin ist. Aber dann habt ihr zwischendurch ein paar Sätze auf Türkisch gewechselt. Da habe ich gedacht, nein, das kann nicht sein. Und dann habe ich dich beobachtet und je länger ich geguckt habe, desto sicherer war ich mir, du bist ein Mann. Ein hübscher junger Mann. Und so habe ich dich dann auch gesehen bei Reichelt. als ihr da mit eurem Kind wart.
Sie weiß nicht, was sie sagen soll. Doch die Situation ist überhaupt nicht peinlich.
Trotzdem bemühe ich mich um eine Erklärung. Ich schaue ihr ins Gesicht und sage: Jetzt, da ich es weiß, ist es völlig klar. Jetzt kann es gar nicht anders sein, als dass du eine Frau bist. Was man sieht, hängt eben immer auch davon ab, was man denkt.
Kunden kommen rein. Sie bedient sie.
Ich: Und ihr kommt zurecht mit euren Leuten?  Euren Familien, meine ich. 
Sie: Ja.
Ich: Na dann, Herzlichen Glückwunsch!
Wieder Kunden. Viele Kunden.
Ich: Kann ich dich mal mehr fragen?
Sie nickt, muss sich jetzt aber auf die Zigarettenkäufer konzentrieren.
Ich: Wie heißt du?
Sie hört die Frage nicht wegen der Kunden. Und ich muss ihren Namen nicht wissen, um diese kleine Geschichte zu erzählen, die mir in dem Moment so viel bedeutete. Auch deshalb, weil ich nun nicht über eine verschlossene Tür schreiben musste. 100 Sympathiepunkte für das Kaiser Kiosk! Und dass die Jungs da sich manchmal verwirrend verhalten? Ich meine jetzt die vergeigte Einladung bei Sandmann. Na und?!    

Dienstag, 22. November 2011

Gemeinde

Abschied von Brigitte Stamm. Vielen wird sie nicht fehlen, mir schon. Wie es kam und dass es dabei nicht bleiben muss, siehe Das innere Biest: Harmlos 2. Wenn nun ihre galerie für junge künstler vom rechten Rand des Blogs verschwindet, dann hat das nichts mit ihrem Rückzug aus dem Kreis der Mitspieler zu tun. Ich werde die Rubrik Links komplett rausnehmen. Sie wird ersetzt durch Gesponsert von. Dort werden zwei alte Freunde aus den Links stehen und der endlich gefundene dritte Sponsor. Diskussion mit Uliane, die meinte, ich solle Links beibehalten mit der Nennung derjenigen, die ich unterstütze. Das tue ich weiter mit meiner Sympathie und indem ich über sie schreibe. Aber hervorgehoben nennen werde ich ab jetzt nur noch diejenigen, die auch mich unterstützen. Ist doch klar, kann doch gar nicht anders sein, sagt mir meine Intuition und meint auch die dritte Sponsorin, Brigitte Held von art rahmen, mit der ich heute verhandelt habe, was nach mehr klingt, als war, denn überzeugen musste ich sie nicht. Das hatte schon Uliane getan, die Birgit allerdings auch nicht überreden musste; es reichte ihr zu sagen, dass die Möglichkeit besteht, Sponsor von Biest zu Biest zu werden. Uliane, die erste Sponsorin. Das aus eigenem Antrieb geworden: Ich finde das gut, was du machst, hat sie gesagt. Und deshalb werde ich das unterstützen. Wenn es dir nichts einbringt, wirst du eines Tages aufhören damit und das will ich nicht. So wie sie es sieht, mache ich mit dem Blog das, was sie mit ihrer Galerie immer machen wollte: Leute zusammenbringen, die anders nie von einander erfahren würden. Familie hat sie es mal genannt. Das ist mir zu eng. Community war immer mein Begriff, inzwischen spreche ich von der kleinen Gemeinde, die allmählich entsteht durch die Blog-Aktivitäten und die sich im Blog abbildet. Wie in einem kleinen Tatsachenroman, habe ich gestern zu Adelheid Gehringer gesagt, als ich mich ihr mit dem Blog vorgestellt habe. Sie ist selbst so etwas wie eine Bloggerin mit dem Akazienblatt, das sie monatlich über ihr Café und seine Nachbarschaft herausgibt. Das Café ist das Café Bilderbuch. Dort war ich gestern, um mir einen Platz reservieren zu lassen für Mittwochabend, wenn Oguzhan und Serhat in der Talkshow von Frank Sandmann (Wer ist Gabi?) zu Gast sind. Und dann stand ich ganz schön dumm da vor den drei Frauen: Adelheid Gehringer, ihrer Geschäftsführerin und der Event-Managerin des Café Bilderbuch. Sie saßen zusammen im Entrée des großen Veranstaltungsraums. Der heißt Beletage und sieht auch so aus. Die Event-Managerin dachte, ich wolle den Raum buchen und hat das Saallicht für mich eingeschaltet. Dabei war ich nur der Typ, dem die drei Frauen nun mühsam erklären mussten, dass am Mittwoch keine Talkshow stattfindet. – Aber Serhat hat mir doch gesagt … . Satz blieb unvollendet, denn die Drei müssen es schließlich wissen: Franks Wer ist Gabi? findet jeweils am ersten Dienstag eines Monats statt, nur im nächsten Monat wegen Weihnachten erst am dritten Dienstag, dem 20. Dezember, aber auf keinen Fall am Mittwoch, dem 23. November. Mein Glück, dass Adelheid Gehringer bestätigen konnte, dass Oguzhan und Serhat tatsächlich eingeladen waren – am Dienstag vor drei Wochen. Warum sie da nicht erschienen sind und weshalb Serhat denkt, er sei morgen dran, während Oguzhan den Kopf senkt und wegguckt, wenn er auf der Straße Adelheid Gehringer begegnet, die er sonst immer freudig begrüßte - ich würde es zu gerne wissen, ich werde es rauszukriegen versuchen, aber ich ahne es schon: ich werde es nie erfahren. Dafür habe ich jetzt Adelheid Gehringer kennengelernt. Sie hat mir die November-Ausgabe des Akazienblatts mitgegeben.  Ich habe ihr von Biest zu Biest erzählt, und da ich bis zum Schluss nicht über meine Verstörtheit hinweg kam, nicht den besten Eindruck gemacht. Gut war allerdings, dass ich seit langem einmal wieder von Tatsachenroman gesprochen habe, als ich den Blog erklärte - und dass ich bemerkt habe, wie Adelheid Gehringer aufgehorcht hat, als ich Tatsachenroman sagte. 

Sinnlich



Quelle: Website Toilet Paper Magazine
Über Maurizio Cattelan´s Toilet Paper

Montag, 21. November 2011

Unsinnlich

Eine Frau, die nicht alkoholisiert ist, weil sie keinen Alkohol trinkt, macht, was sonst nur Betrunkene machen (oder jemand, der etwas unbedingt will: aber das glaube ich nicht), sie sagt immer wieder das Gleiche: unsinnlich, unsinnlich, unsinnlich, unsinnlich, höre ich sie immer wieder sagen, während sie neben mir steht und sich - ich weiß gar nicht mehr mit wem - unterhält, während ich mich mit einer ihrer besten Freundinnen unterhalte, die mir gerade von Indianern erzählt, die nicht krank werden vom Tabakrauchen. Sie erzählt mir das, weil wir draußen stehen und rauchen. Sie eine Zigarette, eine Indianer-Zigarette, American Spirit. Ich E-Zigarette. Die Frau, die immer das Gleiche sagt, raucht nicht. Sie raucht nur gelegentlich und dann pafft sie nur. Sie hat keine Ahnung vom Rauchen (Herzlichen Glückwunsch!), aber das Rauchen mit der bis auf reines Nikotin schadstoff-freien E-Zigarette findet sie unsinnlich, wie ich sie immer wieder zu ihrem Gesprächspartner sagen höre mit meinem rechten Ohr, während ich ihrer Freundin erzähle, wie froh ich bin, auf das Rauchen mit der E-Zigarette gekommen zu sein und dabei mehr, als ich es sonst getan hätte, betone, dass man die wesentliche Suchtbefriedigung, die mit dem Nikotin, also den entscheidenden Kick durch das Rauchen, weiterhin hat, dass zwar die Schädigung der Atmungsorgane verringert wird, aber dafür das volle Risiko von Gefäßverengung und Koronar- oder Hirninfarkt bestehen bleibt. Doch die Frau rechts neben mir hört das entweder nicht oder es geht ihr nicht ein. Später sagt sie es noch mal, jetzt zu mir, das E-Zigaretterauchen sei unsinnlich. Wegen des Plastikteils, das man dafür benutzt. Ach du liebe Zeit! Wenn es eine sichere Methode wäre, dem Suchtverlangen nach Nikotin zu widerstehen, indem man jedes Mal, wenn es auftritt, sich den Mittelfinger in den Anus steckt und gleichzeitig in eine Trillerpfeife bläst, ich würde es tun. Ist sie so dämlich und oberflächlich und blasiert, dass sie den suchttherapeutischen Effekt nicht erkennt, der sich mit dem Plastikteil erzielen lässt, das so hässlich jetzt auch wieder nicht ist und nur geringfügig weniger qualmt als eine Zigarette. Nein, sie ist nicht dämlich, oberflächlich und blasiert. Es muss einen anderen Grund geben für die Unsinnlichkeits-Bemerkung, die sie zu oft wiederholt hat, um sie für bedeutungslos zu halten. Pars pro toto?  Spricht sie über die E-Zigarette, die ich rauche, und meint mich? Ich sei unsinnlich. Mein Verhalten ihr gegenüber sei unsinnlich? –  Das schließe ich aus. Ich kann mir nicht vorstellen,  dass ihr sinnlich etwas fehlt, was ich ihr geben könnte. – Also meint sie mich: wie ich auftrete, wie ich  mich mitteile? Meint sie den Blog, die Art, wie ich schreibe, die sei unsinnlich?  - Danach kann ich sie fragen. Das werde ich tun. Dann wird sie das vielleicht als überempfindliche Unterstellung von mir lachend zurückweisen. Doch dann sind wir schon beim Thema und wenn es so ist, wie ich es aufgefasst habe, wird sie sich erklären im Laufe des Dialogs. Obwohl sie es eigentlich gar nicht meinte, wird sie mir dann sagen, wie sie es gemeint hat.


Rauchen mit E-Zigarette


Sinan: Händler 

Tabakwaren S. Muslu
Grunewaldstraße 71A/Eisenacherstraße
10823 Berlin
030 7 81 72 49

Sonntag, 20. November 2011

Wenn

Heute was zum Mitmachen.

Frage:
Was würdest Du tun, wenn Du keine Angst hättest? 

What would you do if you weren’t afraid? Steht auf einem Plakat, das in der Unternehmenszentrale von Facebook in Palo Alto hängt. Erwähnt in einem Artikel über Sheryl Sandberg, die Frau, die Mark Zuckerberg aus dem Google-Management abgeworben hat, als er mit dem weltweiten Hit, den er mit seinem Social Network gelandet hatte, endlich auch Geld verdienen wollte. Die Geschichte von Sheryl Sandberg ist, dass sie es geschafft hat, Facebook profitabel zu machen – und dass sie Mutter zweier Kinder ist. Beweis, dass es möglich ist, ein Frauenschicksal zu haben und trotzdem bei den ganz großen Jungs mitzuspielen. – Hier die deutsche Fassung des Artikels: Material Girl. Hier die Originalfassung aus The New Yorker: A Woman´s Place by Ken Auletta

Hier jetzt aber nur die Frage:
Was würdest Du tun, wenn Du keine Angst hättest?

Es einfach mal versuchen: Nicht darüber hinweg lesen oder nur mit den Achseln zucken oder nur schief grinsen und sagen, da fiele mir schon einiges dazu ein. – Was fällt Dir dazu ein? Und ist es wirklich das, was Du machen würdest? Und wenn es das ist: Was sind das für Ängste, die Dich davon abhalten? Die Frage benutzen, um an der Scheiße in Deinen Hosen zu riechen. Oder Du findest heraus, dass da nichts ist: Keine Scheiße, keine Ängste, nichts, was Du tun würdest, wenn Du könntest. Du willst nicht mehr tun, als Du ohnehin schon tust, weil Dein Leben gut ist, weil Du gut bist? Oder weil Dich Deine Angst längst besiegt hat und Du nicht einmal mehr in der Lage bist, Dir vorzustellen, was Du tun würdest, wenn Du keine Angst hättest?

Gute Frage. Am besten gleich mal ausprobieren:
Was würdest Du tun, wenn Du keine Angst hättest?    

Samstag, 19. November 2011

Abgelesen

Von der 18m Galerie in der Akazienstraße schnell in die Belziger zu subjectobject: Eröffnung der Kreutzberger-Ausstellung. Viele Bekannte, viele Gespräche. Zum Fotografieren komme ich erst, als ich mich langweile. 


Wer hat die Kunsthistorikerin eingeladen? 


So wie die Frauen gucken, war es keine von ihnen.  


Von links nach rechts: Unbekannte, Petra, Liljana (die Galeristin) und Uliane. Hätte Liljana gesprochen. wäre die Rede sicher kürzer und nicht vom Blatt gewesen. 


Gisa und Julia: Langweilen die sich nicht? Oder lassen sie es sich nur nicht so anmerken wie ich?  

MAOPOP




Dazu trug sie einen kurzen grauen Rock, einen engen roten Pullover und darunter eine weiße Bluse, deren zugeknöpften Kragen sie über den Pulloverkragen gelegt hatte. Auffallende Erscheinung alleine schon wegen ihrer Größe: Frau Mitte 40 mit kurzgeschnittenen blonden Haaren. Eine ganze Serie von Fotos hätte ich unbemerkt knipsen können von ihren Schuhen, so konzentriert hörte sie der Rede zu, mit der Julie August die Künstlerin Stephanie Senge und ihre Arbeiten vorstellte.









Der Mann, für den Stephanie Senge die Zuhörgesichter macht, ist nicht Bazon Brock. Der war vor dem offiziellen Beginn um 18 Uhr schon da, um sich ihre Ausstellung anzuschauen. Stephanie Senge kooperiert mit ihm bei dem Projekt Asketen des Luxus und wird auch bei Bazon Brocks Berliner Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen mitmachen. Fluxus, Fluxus, Fluxus. – Stephanie Senges Kunst ist Pop Art. Deutsche Pop Art: Bewusstsein soll geschärft werden. Das Bewusstsein von Konsumenten. Mein Bewusstsein als Konsument ist schon geschärft. Trotzdem habe ich ihre Arbeiten gerne gesehen, weil sie gewitzt sind und geistreich und wirken auch ohne Gebrauchsanweisung.



Eben noch versunkene Betrachterin. Jetzt Fotografin.




Schießt ihr euch jetzt gegenseitig ab? fragte Julie August, als sie das sah. Hinterher wollte ich die gegnerische Fotografin in die Phantasie hineinziehen, dass alle Besucher einer Ausstellung einen Fotoapparat haben und sich gegenseitig fotografieren, wie wir es gerade getan hatten. Doch sie ließ mich stehen, kaum dass ich den Mund aufgemacht hatte. Ich habe meinen Satz dann trotzdem zu Ende gesagt und habe einen Satz lang im Raum gestanden als ein Mann, der mit sich selbst spricht. Beim Aussprechen der Phantasie habe ich allerdings auch gemerkt, wie albern die Vorstellung ist, die ich mit der gegnerischen Fotografin ausspinnen wollte. Ohne zu wissen, was ich sagen wollte, war ihr klar, dass ich Unsinn reden würde. Jetzt sieht man es mir also schon an.

Konsumkonstruktivismus
Malerei, Collagen, Zeichnungen
von Stephanie Senge








18m Galerie
Julie August
Akazienstr. 30
10823 Berlin
030 88 70 29 04
0163 88 70 29 0
look@18m-galerie.de
www.18m-galerie.de
Die Ausstellung ist wieder geöffnet am 18. Dezember 2011 ab 18h sowie am 8. Januar 2012 von 12–15h. Telefonisch oder per Mail können zusätzliche Besichtigungstermine vereinbart werden.
Kunst: © Stephanie Senge
Fotos: 
© w.g.

Freitag, 18. November 2011

Kreutzberger



Das Ich ist vor allem ein körperliches, es ist nicht nur ein Oberflächen­wesen, sondern selbst die Projektion einer Oberfläche. – Satz aus Das Ich und das Es von Sigmund Freud. Aus dem wird bei Eva: Das Ich ist beileibe ein körperliches. Und das ist ein wichtiger Satz aus dem Überbau ihrer Kunst. Kunst hat nämlich auch einen Überbau, hat sie gestern zu mir gesagt: Das ist schon ein bisschen mehr als nur Nerz und so. Womit sie anspielte auf die Nerz-der-Großmutter-Anekdote, die ich in meinem ersten Text über sie  vielleicht etwas zu breit angelegt habe.



Eva wollte ihrer heute eröffnenden Ausstellung bei subjectobject den Titel leiblich geben. Doch schließlich hat sich die Galeristin mit ihrem Vorschlag durchgesetzt. Mit dem umfassenderen Titel, weil er Evas Arbeiten nicht nur thematisch, sondern auch künstlerisch beschreibt mit dem Plural: Identitäten. Verwandlung und Verfremdung, Maskierung, Verkleidung, Übermalung sind die Haupthandlungen in Evas Kunst. Inszenierung von Weiblichkeit. Rollenspiel mit dem Frausein. Und die Frau, die verwandelt wird, maskiert mit dicker Schminke, verkleidet mit einem grotesken Hut, fotografiert und dann werden die Fotos verfremdet durch Serialisierung, Collage und Übermalung – die Frau ist fast immer sie selbst: Eva-Marie Kreutzberger. Weil sie so selbstverliebt ist? Nicht auszuschließen. Aber das geht dann niemand etwas an. Das werte Publikum möge sich zur Erklärung halten an einen ganz einfachen, praktischen Grund, den sie selbst nennt: schließlich kann man sich ein Modell nicht jeden Tag leisten.



Eva hat viel Ausbildung gemacht. Nachzulesen auf ihrer Website. Von all den Einflüssen, die sie dabei auf- und mitgenommen hat, der künstlerisch entscheidende: das Studium der Malerei an der HDK bei Fred Thieler, einem Protagonisten der Informellen Kunst, der europäischen Parallelbewegung zum Abstrakten Expressionismus in den USA. Aktionistisches Gestalten = der Weg ist das Werk; das Bild, der Siebdruck, die Collage ein Dokument der schöpferischen Aktion, auf die alles ankommt. Was dabei entsteht, muss zugelassen, angenommen werden. Was da nicht gelingt, ist nur zu ändern durch einen neuen Versuch. Kein Hinbiegen, kein Beschönigen, keine Tricks.  Denn das ist Kitsch und (Selbst)Betrug. – Das die reine Lehre. Bei Eva findet sich einiges davon. Am besten zu sehen in einer Arbeit, die ich hier nicht dokumentieren kann, weil ich kein jpg des Bildes habe: Eine gestische Übermalung einer Fotomontage, die vom Bild eines Frauenkopfes (wie immer der Evas) nur die Augenpartie, den Blick durch die Übermalung frei lässt. Auch nicht dokumentieren kann ich eine Collage mit der Gestalt der Kolumbine aus der Commedia dell´arte, eingehüllt in durchsichtiges Papier, umgeben von Nerzbesatz und bestrumpft wie eine Edelkurtisane. In der Abteilung von Evas gefälligen Arbeiten für mich die schönste. Das als Kaufempfehlung an die Sammler: der Blick und die Kolumbine. Und fürs werte Publikum schon mal zwei gute Gründe in den nächsten beiden Wochen mal bei subjectobject reinzuschauen.



Eva-Marie Kreutzberger
Identitäten
Malerei, Collage, Grafik 
18. November - 3. Dezember 2011
Belziger Str. 25
10823 Berlin
030 78 00 60 01
Di-Fr: 11-14 Uhr und 16-19 Uhr, Sa: 11-16 Uhr


Abbildungen: © Eva-Marie Kreutzberger