Tim eine Mail geschickt mit dem Betreff: Danke für nicht mit gemacht zu haben. Keine Bitterkeit. Überhaupt nicht. Gute Laune, weil ich so schlank rausgekommen bin aus dieser Geschichte, weitere Geschichte eines Neinsagers. Ziehe ich die an, die Neinsager? – Womit? Dass ich es versuche mit ihnen, obwohl ich weiß, dass es nichts wird. Denn in Wahrheit will ich doch nur erzählen davon, wie es nicht geklappt hat. Weil das ist die viel interessantere Geschichte, wie einer sich stur stellt, und was ich dann daraus mache. Interessanter als zum Beispiel mit dem Tim am Sandkasten zu sitzen, seinen Kindern beim Spielen zuzuschauen und dann ist das ein ganz normaler, auch ein bisschen langweiliger Mann mit zwei Kindern und einer Frau und einem Talent, aber über das will er nicht reden, weil das ist ihm zu intim. Das ist nicht mein Ernst. Natürlich wäre das die interessantere Geschichte gewesen, wie er über alles zu reden bereit ist, aber nicht über sein Talent, bloß nicht über sein Talent, weil er nämlich keines hat, denkt er, und deshalb macht er seit einem Jahr eine Ausbildung als Bibliothekar, um in der Nähe der Bücher zu bleiben, aber bloß keines mehr schreiben wollen müssen. So zum Beispiel. Oder noch mal ganz, ganz anders. Alles ist interessanter als das, was ich mir denken oder ausdenken kann über ihn.
Säufer-Varizen
Krampfadern in Speiseröhre oder Magen, entstanden durch schweren Alkoholmissbrauch über viele Jahre hinweg. Und eines Tages, wenn sie platzen, ertrinkt der Säufer in seinem eigenen Blut, wenn die Varizen sich in der Speiseröhre befinden, oder er erbricht es schwallartig und/oder scheidet es aus als Teerstuhl, wenn es aus dem Magen kommt; kotzt und scheißt sein Blut aus sich heraus bis zum finalen Schwächeanfall, der freilich immer noch der schönere Tod ist als das langsame Verrecken, das ihn erwartet, wenn der Verdacht auf Leberzirrhose sich bestätigt. Und das, obwohl er nie betrunken war, nie einen Kater hatte. Ach, Peter. Aber eines muss ich ihm lassen bei all seiner Lügerei, er ist dabei nicht schmierig. Und nur die Schmierigkeit ist das wirklich Verachtungswürdige beim Lügen. Das, noch gar nicht lange her, erlebt mit jemandem. Da konnte der noch so ein guter Freund gewesen sein, er wurde mir so eklig, dass es nicht mehr ging. Weil er es nicht einmal für nötig hielt, sich anzustrengen und überzeugend zu lügen, sein Lügen hingeschludert hat, hingeschmiert. Wenn die Lüge hingegen gut gemacht ist, das habe ich neulich gelernt, da mag der Lügner alles Mögliche sein, aber schmierig ist er nicht. Und bei Peter ist die Verlogenheit nicht schmierig, weil er in dem Moment, da er lügt, selbst daran glaubt. Was ihm um so leichter gelingt, als er sich ständig selbst belügt, und so überhaupt kein Verhältnis zur Wahrhaftigkeit hat. Aus Rücksichtnahme darauf habe ich von mir verlangt, ihm nicht böse zu sein wegen seiner Lügerei. Das ist lange gut gegangen, aber gestern konnte ich nicht mehr: da habe ich ihm geschrieben, dass ich den Kontakt zu ihm abbrechen werde, wenn er die ihm bevorstehenden Operationen überleben wird (Verödung seiner Magen-Varizen, harmlos; Entfernung der geschwollenen Lymphknoten, riskant wegen Nähe zur Halsschlagader). Und für den Fall, dass er den riskanten Eingriff nicht überlebt, soll er es vorher wissen, dass ich den Kontakt zu ihm abbrechen werde, damit er nicht dumm stirbt, habe ich ihm geschrieben, und dass ich in Gedanken bei ihm sein werde. Dass ich immer sein guter Freund sein werde, hätte ich ihm auch noch schreiben können, aber das kann er sich denken, und bestimmt denkt er auch, dass ich mich wieder einkriegen werde, spätestens in zwei, drei Wochen, wenn er medizinisch alles überstanden hat. Doch ich kann nur hoffen, dass er sich da täuscht. Denn es ist der Fall von das eine Mal zu viel. Ich erzähle den Fall nicht. Nur für Peter, damit er es schriftlich hat: Das mit der Bestrahlung und der Chemo war es. Da hast du entweder vorher gelogen, als Du mir erzählt hast, sie hätten Dir gesagt, dass die Schwellung der Lymphknoten gutartig ist, oder Du lügst jetzt, um Dich wichtig zu machen, und dieses Schmierentheater, das spiel mal lieber Deinen Skypegespenstern vor, aber nicht mehr mir. So oder so, es war das eine Mal zu viel. Ich kann Dich nicht mehr ernst nehmen und auch nicht mehr über Dich lachen. Es geht nicht gegen Dich, es geht gegen das, was Du aus Dir machst mit Deinem Suff. Also nimm es nicht persönlich. Witz! Kein Witz!
Dienstag, 31. Mai 2011
Montag, 30. Mai 2011
Idiomatisch
Wie komme ich raus aus der Nummer mit Tim, ohne zum Stalker zu werden? Denn er hat auch auf meine dritte Mail nicht reagiert, in der ich ihn noch einmal um ein Interview gebeten und ihm erklärt habe – falls er es nicht gemerkt hat -, dass meine vorige Mail mit dem Betreff: Blackmail selbstverständlich als Witz gemeint war.
Wie bin ich rein gekommen in die Nummer? – Die Vorgeschichte lasse ich weg. Ergebnis der Vorgeschichte war: Er wollte mir seinen Roman nicht zu lesen geben; konsequent, denn er will ihn auch nicht veröffentlichen. Warum nicht? Weil er ihm misslungen ist oder er ihn für zu wertvoll hält für diese Welt? Das hätte ich ihn gerne mal gefragt. Doch zu dem Treffen, zu dem wir uns einmal vage verabredet hatten, ist es nie gekommen. Er hat mir nur jedes Mal, wenn wir uns zufällig begegnet sind, von dem Zettel mit meiner Mail-Adresse an seinem Pinboard erzählt und ich habe dann gedacht: ja, ja, du mich auch. – Mitte letzter Woche wieder so ein zufälliges Treffen. Er schiebt sein Fahrrad und hat gerade seine Kinder aus der Kita abgeholt. Der kleine Junge hat einen Lutscher in der Hand, den er mir stolz zeigt, weil er den gerade von seinem Papa bekommen hat. Seine ältere Schwester hat ein weißes Kleid mit einem Matrosenkragen an, in dem sie sehr süß und schon wie ein richtig großes Mädchen aussieht. Ich mache ihrem Vater deswegen gerade ein Kompliment, da tritt eine dunkel gekleidete junge Frau an ihn heran, sagte etwas zu ihm, scheint dann aber die Traute zu verlieren, und geht schnell wieder weg. Was war das denn? – Tim schaut ihr entgeistert hinterher. – Hat sie dich angebettelt? – Sie hat mich gefragt, ob ich etwas Kleingeld für sie habe. – Und dann hat sie der Mut verlassen. Da gehört nämlich ganz schön Mut dazu, zum Betteln, sage ich. – Mut? Diese Vorstellung ist Tim neu. Aber er widerspricht mir nicht. Hey, das ist doch was für die Zeitung, sagt er, immer noch fasziniert der jungen Frau hinterher blickend, die gerade einen Passanten anspricht, nun mehr Mut hat, stehen bleibt, nachdem sie um Kleingeld gebeten hat. und jetzt, so wie es aussieht, auch erfolgreich ist. - Es gibt noch eine andere Bettlerin hier in der Akazienstraße, erzähle ich unterdessen. Die verzieht immer das Gesicht, wenn sie einen anbettelt, um ihre Unsicherheit zu überspielen. Darüber habe ich mal geschrieben. – Tim wendet sich von der Szene mit der Bettlerin ab und sagt: Ich schreibe jetzt für die Stadtteilzeitung. - Das hat er schon mehrfach erwähnt. Und ich hätte ihn jetzt gerne mal gefragt, was es mit dieser Stadtteilzeitung auf sich hat - warum er so stolz darauf ist, dass er für eine Zeitung schreibt, von der ich außer von ihm noch nie zuvor gehört habe. Aber aus Rücksicht auf die sich langweilenden Kinder erinnere ich ihn nur daran, dass wir uns mal treffen wollten. Worauf er wieder das mit dem Zettel mit meiner Mail-Adresse an seinem Pinboard sagt. Doch dieses Mal denke ich nicht: ja, ja, du mich auch. An seiner Reaktion auf die Bettlerin habe ich gemerkt, dass er genau so unterwegs ist im Kiez wie ich – mit dem gleichen Blick, mit der gleichen Schreibabsicht. Er ist jemand, der so drauf ist wie ich. Wie heißt das Lokalblatt, für das Du schreibst? Gibt es das nur auf Papier oder finde ich es auch im Netz? frage ich ihn in einer Mail am nächsten Tag. - Keine Antwort. Ich google Stadtteilzeitung Schöneberg und finde dort einen Text, in dem er sich den Lesern vorstellt, erfahre nun seinen vollen Namen und kopiere eine Passage aus dem Text (kursiv), um sie in meiner Mail mit dem Betreff: Blackmail zu verwenden:
Warum antwortest Du nicht, Timothy William Donohoe?
Eine meiner Fähigkeiten ist es, mit fremden oder unbekannten Menschen ohne großen Aufwand ins Gespräch zu kommen; mich ziehen ihre (erstmals) fremde oder unbekannte Lebenserfahrungen oder -ansichten sehr an, von denen ich dann gut für mein eigenes Schreiben – sei es Prosa oder Journalistik – Gebrauch machen kann.
Du kannst mit mir ohne großen Aufwand ins Gespräch kommen. Lass uns ein Interview machen. Ich mit Dir, und wenn Dir das zu wenig ist, dann machst Du auch eins mit mir.
Wenn Du Dich nicht meldest, lese ich alle Deine Beiträge im Archiv der Stadtteilzeitung und schreibe über Dich, ohne mit Dir gesprochen zu haben.
Keine Antwort. Dafür am Samstag Recherchegespräch mit H.: siehe Unvollständig. Und gestern dritte Mail:
Lieber Tim, das war natürlich ein Witz mit der Erpressung. Aber das mit dem Interview ist ernst gemeint. Szenisches Interview könnte es sein - ich begleite Dich auf einem Deiner Streifzüge, die Du erwähnst in Deiner Selbstpräsentation in der Stadtteilzeitung, oder ich setze mich zu Dir, wenn Du mit Deinen Kindern auf dem Spielplatz bist. Wir quatschen über alles Mögliche. Aber im Mittelpunkt steht Deine Person. Warum willst Du Deinen Roman nicht veröffentlichen? Wie kommst Du finanziell zurecht, wenn Du Deine Literatur nicht veröffentlichst und für eine Zeitung arbeitest, bei der Du nur symbolisches Honorar bekommst, und stimmt das überhaupt? Das kein indiskretes Interesse, sondern empathische Neugier, da ich mich auch täglich frage, wie ich finanziell zurechtkomme. Und nur eine von vielen anderen Fragen. Lass uns einfach mal quatschen. Meine Interviews sind so chaotisch wie meine Texte. Du wirst Dich nicht langweilen.
Doch auch heute wieder: Timothy William Donohoe antwortet nicht. Unterdessen ist mir klar geworden, warum er so stolz darauf ist, für die Stadtteilzeitung zu schreiben. - Warum reden mit den Leuten? Reicht doch, über sie nachzudenken. Witz! – Ergebnis: Wäre ich nicht auch stolz darauf, wenn ich als Deutscher in New York für das New York Magazine schreiben würde, so wie er nun als Amerikaner für die Stadtteilzeitung Schöneberg schreibt?
Ich habe Tim mal ein Kompliment gemacht wegen seines guten Deutschs. Er hat damals gesagt, so gut sei sein Deutsch gar nicht. Er habe ein gutes Gedächtnis und plappere nur nach, was er bei seinen Gesprächspartnern aufschnappt. Seine Bescheidenheits-Masche, habe ich damals gedacht (er will ja auch seinen Roman nicht veröffentlichen, an dem er jahrelang gearbeitet hat). Als ich dann heute Früh zwei Artikel von Tim (*) gelesen habe aus dem Archiv der Stadtteilzeitung, ist mir jedoch klar geworden, dass da schon etwas dran ist, was er damals gesagt hat: Er hat ein Ohr für die deutsche Sprache, für das Idiomatische, für das Redensartliche und für plastische Ausdrücke (z.B. ergattern). Das allerdings stimmt nicht, dass er das Aufgeschnappte nachplappert, zumindest stimmt es nicht für seine Artikel. Da kreiert er mit dem Aufgeschnappten einen Stil. Der Stil ist, dass er Deutsch als Fremdsprache schreibt - dass er das Gehörte virtuos anwendet - aber er wendet es amerikanisch an. Wie soll ich es nur erklären? Er schreibt idiomatisches Deutsch - aber mit einem amerikanischen Sprachgestus. - Ich kriege es nicht zu fassen. Am besten selbst mal Tim Donohoe lesen und sehen, was ich meine. Macht Spaß!
(*)
Tim Donohoe:
Die Schönebergerin Inge Freifrau von Wangenheim
Parkumgestaltung erregt Anwohner-Protest
Wie bin ich rein gekommen in die Nummer? – Die Vorgeschichte lasse ich weg. Ergebnis der Vorgeschichte war: Er wollte mir seinen Roman nicht zu lesen geben; konsequent, denn er will ihn auch nicht veröffentlichen. Warum nicht? Weil er ihm misslungen ist oder er ihn für zu wertvoll hält für diese Welt? Das hätte ich ihn gerne mal gefragt. Doch zu dem Treffen, zu dem wir uns einmal vage verabredet hatten, ist es nie gekommen. Er hat mir nur jedes Mal, wenn wir uns zufällig begegnet sind, von dem Zettel mit meiner Mail-Adresse an seinem Pinboard erzählt und ich habe dann gedacht: ja, ja, du mich auch. – Mitte letzter Woche wieder so ein zufälliges Treffen. Er schiebt sein Fahrrad und hat gerade seine Kinder aus der Kita abgeholt. Der kleine Junge hat einen Lutscher in der Hand, den er mir stolz zeigt, weil er den gerade von seinem Papa bekommen hat. Seine ältere Schwester hat ein weißes Kleid mit einem Matrosenkragen an, in dem sie sehr süß und schon wie ein richtig großes Mädchen aussieht. Ich mache ihrem Vater deswegen gerade ein Kompliment, da tritt eine dunkel gekleidete junge Frau an ihn heran, sagte etwas zu ihm, scheint dann aber die Traute zu verlieren, und geht schnell wieder weg. Was war das denn? – Tim schaut ihr entgeistert hinterher. – Hat sie dich angebettelt? – Sie hat mich gefragt, ob ich etwas Kleingeld für sie habe. – Und dann hat sie der Mut verlassen. Da gehört nämlich ganz schön Mut dazu, zum Betteln, sage ich. – Mut? Diese Vorstellung ist Tim neu. Aber er widerspricht mir nicht. Hey, das ist doch was für die Zeitung, sagt er, immer noch fasziniert der jungen Frau hinterher blickend, die gerade einen Passanten anspricht, nun mehr Mut hat, stehen bleibt, nachdem sie um Kleingeld gebeten hat. und jetzt, so wie es aussieht, auch erfolgreich ist. - Es gibt noch eine andere Bettlerin hier in der Akazienstraße, erzähle ich unterdessen. Die verzieht immer das Gesicht, wenn sie einen anbettelt, um ihre Unsicherheit zu überspielen. Darüber habe ich mal geschrieben. – Tim wendet sich von der Szene mit der Bettlerin ab und sagt: Ich schreibe jetzt für die Stadtteilzeitung. - Das hat er schon mehrfach erwähnt. Und ich hätte ihn jetzt gerne mal gefragt, was es mit dieser Stadtteilzeitung auf sich hat - warum er so stolz darauf ist, dass er für eine Zeitung schreibt, von der ich außer von ihm noch nie zuvor gehört habe. Aber aus Rücksicht auf die sich langweilenden Kinder erinnere ich ihn nur daran, dass wir uns mal treffen wollten. Worauf er wieder das mit dem Zettel mit meiner Mail-Adresse an seinem Pinboard sagt. Doch dieses Mal denke ich nicht: ja, ja, du mich auch. An seiner Reaktion auf die Bettlerin habe ich gemerkt, dass er genau so unterwegs ist im Kiez wie ich – mit dem gleichen Blick, mit der gleichen Schreibabsicht. Er ist jemand, der so drauf ist wie ich. Wie heißt das Lokalblatt, für das Du schreibst? Gibt es das nur auf Papier oder finde ich es auch im Netz? frage ich ihn in einer Mail am nächsten Tag. - Keine Antwort. Ich google Stadtteilzeitung Schöneberg und finde dort einen Text, in dem er sich den Lesern vorstellt, erfahre nun seinen vollen Namen und kopiere eine Passage aus dem Text (kursiv), um sie in meiner Mail mit dem Betreff: Blackmail zu verwenden:
Warum antwortest Du nicht, Timothy William Donohoe?
Eine meiner Fähigkeiten ist es, mit fremden oder unbekannten Menschen ohne großen Aufwand ins Gespräch zu kommen; mich ziehen ihre (erstmals) fremde oder unbekannte Lebenserfahrungen oder -ansichten sehr an, von denen ich dann gut für mein eigenes Schreiben – sei es Prosa oder Journalistik – Gebrauch machen kann.
Du kannst mit mir ohne großen Aufwand ins Gespräch kommen. Lass uns ein Interview machen. Ich mit Dir, und wenn Dir das zu wenig ist, dann machst Du auch eins mit mir.
Wenn Du Dich nicht meldest, lese ich alle Deine Beiträge im Archiv der Stadtteilzeitung und schreibe über Dich, ohne mit Dir gesprochen zu haben.
Keine Antwort. Dafür am Samstag Recherchegespräch mit H.: siehe Unvollständig. Und gestern dritte Mail:
Lieber Tim, das war natürlich ein Witz mit der Erpressung. Aber das mit dem Interview ist ernst gemeint. Szenisches Interview könnte es sein - ich begleite Dich auf einem Deiner Streifzüge, die Du erwähnst in Deiner Selbstpräsentation in der Stadtteilzeitung, oder ich setze mich zu Dir, wenn Du mit Deinen Kindern auf dem Spielplatz bist. Wir quatschen über alles Mögliche. Aber im Mittelpunkt steht Deine Person. Warum willst Du Deinen Roman nicht veröffentlichen? Wie kommst Du finanziell zurecht, wenn Du Deine Literatur nicht veröffentlichst und für eine Zeitung arbeitest, bei der Du nur symbolisches Honorar bekommst, und stimmt das überhaupt? Das kein indiskretes Interesse, sondern empathische Neugier, da ich mich auch täglich frage, wie ich finanziell zurechtkomme. Und nur eine von vielen anderen Fragen. Lass uns einfach mal quatschen. Meine Interviews sind so chaotisch wie meine Texte. Du wirst Dich nicht langweilen.
Doch auch heute wieder: Timothy William Donohoe antwortet nicht. Unterdessen ist mir klar geworden, warum er so stolz darauf ist, für die Stadtteilzeitung zu schreiben. - Warum reden mit den Leuten? Reicht doch, über sie nachzudenken. Witz! – Ergebnis: Wäre ich nicht auch stolz darauf, wenn ich als Deutscher in New York für das New York Magazine schreiben würde, so wie er nun als Amerikaner für die Stadtteilzeitung Schöneberg schreibt?
Ich habe Tim mal ein Kompliment gemacht wegen seines guten Deutschs. Er hat damals gesagt, so gut sei sein Deutsch gar nicht. Er habe ein gutes Gedächtnis und plappere nur nach, was er bei seinen Gesprächspartnern aufschnappt. Seine Bescheidenheits-Masche, habe ich damals gedacht (er will ja auch seinen Roman nicht veröffentlichen, an dem er jahrelang gearbeitet hat). Als ich dann heute Früh zwei Artikel von Tim (*) gelesen habe aus dem Archiv der Stadtteilzeitung, ist mir jedoch klar geworden, dass da schon etwas dran ist, was er damals gesagt hat: Er hat ein Ohr für die deutsche Sprache, für das Idiomatische, für das Redensartliche und für plastische Ausdrücke (z.B. ergattern). Das allerdings stimmt nicht, dass er das Aufgeschnappte nachplappert, zumindest stimmt es nicht für seine Artikel. Da kreiert er mit dem Aufgeschnappten einen Stil. Der Stil ist, dass er Deutsch als Fremdsprache schreibt - dass er das Gehörte virtuos anwendet - aber er wendet es amerikanisch an. Wie soll ich es nur erklären? Er schreibt idiomatisches Deutsch - aber mit einem amerikanischen Sprachgestus. - Ich kriege es nicht zu fassen. Am besten selbst mal Tim Donohoe lesen und sehen, was ich meine. Macht Spaß!
(*)
Tim Donohoe:
Die Schönebergerin Inge Freifrau von Wangenheim
Parkumgestaltung erregt Anwohner-Protest
Sonntag, 29. Mai 2011
Scherzo
Ein schlechtes Gefühl durch ein gutes ersetzen. Lange keine Musik mehr gehört am Morgen. Noch viel länger keinen Mahler mehr gehört. Gustav Mahler, Fünfte Sinfonie, Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Leonard Bernstein. Die ersten drei Sätze. Mit einem Trauermarsch beginnen: In gemessenem Schritt. Streng. Wie ein Kondukt. Dann zurück ins Leben: 2. Satz Stürmisch bewegt, mit größter Vehemenz. 3.Satz Scherzo. Kräftig, nicht zu schnell. Das Leben ist nie schöner als am frühen Morgen. 4. Satz Adagietto. Sehr langsam. Und totgehört durch die Verwendung als Filmmusik: Luchino Visconti, Tod in Venedig. Trotzdem, das Leben ist nie … . Nur im 5. Satz – Rondo-Finale. Allegro – Allegro giocoso. Frisch -, da hat er keine Lust mehr gehabt. Das kann nicht sein, es liegt an mir, da höre ich nicht mehr richtig hin, heute wieder nicht.
Mail an Tim mit dem Link zum Posting von gestern. Meine dritte Mail an ihn innerhalb weniger Tage. Der lässt sich vielleicht bitten. Stellt sich stur. Gibt so Leute. Wollen sich damit interessant machen? Oder haben Angst, als uninteressant erkannt zu werden? Weil sie selbst denken, dass sie uninteressant sind? Kann doch gar nicht sein, ihr Leute! Jeder Mensch ist interessant, wenn er sich zeigt. So zeigt, wie er ist. Und wie komme ich dann gestern zu dem schnöseligen Spruch, der Tim sei interessant und so viele interessante Menschen begegnen mir nicht? – War nicht schnöselig, war taktisch. Habe ich nur gesagt, weil ich wusste, dass ich das später zitieren werde im Posting und dass ich Tim aufmerksam machen werde auf den Text. Gesagt, um ihm zu schmeicheln, um ihn zu locken. Wie interessant er ist, wie offen er sein kann, das muss sich erst noch zeigen. Wenn er auf die Mail von heute wieder nicht reagiert, dann schreibe ich über die Geschichte der drei Mails und vielleicht noch über seine Artikel in der Stadtteilzeitung, wenn sie interessant sind (Ha!). Die Artikel von Tim gesucht im Archiv der Website der Stadtteilzeitung. Noch nicht gelesen. Heute Morgen gelesen Auszüge aus dem zweiten (unveröffentlichten) Roman von Colette. Colette S., die entfernte Nachbarin. Jetzt bin ich sehr gespannt auf die Auszüge aus ihrem anderen Roman und freue mich darauf, mit ihr über ihre Texte zu reden. Sie hat sich nicht lange geziert. Nur ein bisschen. Das ist normal.
Später mein (öffentlicher) Roman. Begonnen als Hallenbadroman. Jetzt Dachwohnungroman. Keine Fortschritte. Überlegt, ob es nicht am besten wäre, ich würde umziehen. Witz!
Mail an Tim mit dem Link zum Posting von gestern. Meine dritte Mail an ihn innerhalb weniger Tage. Der lässt sich vielleicht bitten. Stellt sich stur. Gibt so Leute. Wollen sich damit interessant machen? Oder haben Angst, als uninteressant erkannt zu werden? Weil sie selbst denken, dass sie uninteressant sind? Kann doch gar nicht sein, ihr Leute! Jeder Mensch ist interessant, wenn er sich zeigt. So zeigt, wie er ist. Und wie komme ich dann gestern zu dem schnöseligen Spruch, der Tim sei interessant und so viele interessante Menschen begegnen mir nicht? – War nicht schnöselig, war taktisch. Habe ich nur gesagt, weil ich wusste, dass ich das später zitieren werde im Posting und dass ich Tim aufmerksam machen werde auf den Text. Gesagt, um ihm zu schmeicheln, um ihn zu locken. Wie interessant er ist, wie offen er sein kann, das muss sich erst noch zeigen. Wenn er auf die Mail von heute wieder nicht reagiert, dann schreibe ich über die Geschichte der drei Mails und vielleicht noch über seine Artikel in der Stadtteilzeitung, wenn sie interessant sind (Ha!). Die Artikel von Tim gesucht im Archiv der Website der Stadtteilzeitung. Noch nicht gelesen. Heute Morgen gelesen Auszüge aus dem zweiten (unveröffentlichten) Roman von Colette. Colette S., die entfernte Nachbarin. Jetzt bin ich sehr gespannt auf die Auszüge aus ihrem anderen Roman und freue mich darauf, mit ihr über ihre Texte zu reden. Sie hat sich nicht lange geziert. Nur ein bisschen. Das ist normal.
Später mein (öffentlicher) Roman. Begonnen als Hallenbadroman. Jetzt Dachwohnungroman. Keine Fortschritte. Überlegt, ob es nicht am besten wäre, ich würde umziehen. Witz!
Samstag, 28. Mai 2011
Unvollständig
Auf der Facebook-Seite für das Biest bekräftige ich den Entschluss: É finita la commedia. Und das Biest nimmt es mir nicht ab. Doch ich halte daran fest, obwohl ich weiß, wie oft ich schon abschließen wollte mit dem Blödsinn dieser Geschichte und dann ging sie doch weiter, weil sie eben nicht nur Blödsinn ist, sondern auch Schicksal, sagen die einen, pure Verzweiflung, sagen all die anderen, die mir wünschen, es wäre endlich mal gut damit. Das wünsche ich mir auch, und nachdem ich die Statusmeldung in Facebook abgesetzt habe, merke ich auch schon, wie befreit ich mich jetzt fühlen könnte. Ist aber nicht so, denn zugleich merke ich auch, welche Leere mich in dieser Freiheit erwartet. Es ist ein Vorurteil von Intellektuellen, dass man alles verstehen muss, habe ich gestern zu Peter gesagt. Armer Peter, was der sich alles anhören muss von mir. Letzten Endes, habe ich zu ihm gesagt, geht es doch nur darum, ein schlechtes Gefühl durch ein gutes zu ersetzen, eine Erzählung durch eine andere. Daran erinnere ich mich jetzt und dazu fällt mir nichts anderes ein, als dass ich eine Begebenheit in dieser Woche noch nicht erzählt habe. Im anderen Blog habe ich die Begebenheit erwähnt und meine heftige Reaktion darauf dokumentiert. Über einen wichtigen Punkt bin ich dabei hinweg gegangen. Die andere Seite, nenne ich sie jetzt mal, hatte nämlich eine Begründung gegeben für ihr Verhalten, das zu meiner Reaktion geführt hat. – Nein, ich will nicht den Rätselcharakter der Begebenheit nachbilden mit diesen allgemeinen Formulierungen und ich höre auch schon auf damit. So rätselhaft war das auch gar nicht, was da vorgestern Abend von der anderen Seite gekommen ist. Wegen der Vollständigkeit und weil es mir nicht aus dem Kopf geht, werde ich die Begebenheit in den nächsten Tagen schildern. Wenn im anderen Blog, dann werde ich hier darauf hinweisen.
Trailer Tim
Kennst du die Stadtteilzeitung? frage ich Günter, der gerade seinen Mittagsgästen Bier serviert an den vor dem Felsenkeller stehenden Tischen. – Stadtteilzeitung? Nee. – Nie was damit zu tun gehabt? – Nee, wirklich nicht. – Sabrina kennt die Stadtteilzeitung, sie liest sie gerne und regelmäßig. Liegt bei ihr jede Woche im Briefkasten. - Dann kann das aber nicht die Stadtteilzeitung sein, Sabrina. Denn die erscheint nur einmal im Monat, wenn ich das richtig verstanden habe. – Der Mann kommt vorbei, der der Mann ist aus dem Posting Umarmung; ich könnte wissen, wie er heißt, obwohl wir uns nie mit unseren Namen anreden. Er hat mir einmal seine Visitenkarte gegeben; verlegt. Ich laufe ihm hinterher: Hey! Ich nenne ihn jetzt mal H. Beim zweiten Hey dreht sich H. um, begrüßt mich und setzt sich dann an einen Tisch des vietnamesischen Restaurants, vor dem wir stehen geblieben sind. Ich setze mich nicht zu ihm und frage, ob er die Stadtteilzeitung kennt. – Er kennt und liest sie. – Wird die verteilt? Müsste ich die aus meinem Briefkasten kennen? – Nein, sagt er, das ist nicht so ein Anzeigenblatt. Ist aber kostenlos und liegt aus in Läden (Verteilstellen). – Aber zum Beispiel nicht bei Norbert im Schönebag, wo ich gleich hinterher mal gucke, weil ich bei dem ohnehin vorbei schauen wollte. - Ich vergesse H. zu fragen, wie die Stadtteilzeitung sich finanziert, wenn nicht durch Anzeigen oder Verkauf. Stattdessen frage ich, ob die Leute, die da schreiben, bezahlt werden. – Keine Ahnung. Wenn, dann bestimmt nur symbolisch, meint er und will wissen, warum ich ihn das alles frage. – Weil ich über jemanden schreiben will, der mir schon mehrfach stolz erzählt hat, dass er für die Stadtteilzeitung schreibt, und mich interessiert, was die Zeitung für einen Status hat, dass er so stolz ist darauf. – Und wer ist das? will H. wissen. – Tim heißt er. Amerikaner. - Und warum willst du über den schreiben? – Weil er eine interessante Person ist. Und weil mir nicht so viele interessante Personen begegnen, also wirklich interessante Personen, nicht nur aus Höflichkeit als interessant bezeichnete Personen … (fasel, fasel). Er hat einen dicken Roman geschrieben jahrelang und will ihn nicht veröffentlichen, erläutere ich die Interessantheit von Tim an einem Beispiel und könnte hinzufügen, dass er nicht mal bereit ist, mir den Roman zu lesen zu geben, und dass das einer der Gründe ist, warum ich über Tim schreiben will. - H. beantwortet mir weitere Fragen zur Stadtteilzeitung (Zum Beispiel, wo die politisch stehen. Eher grün als rot? - Eher grün, aber eigentlich nicht parteigebunden. - Mehr so bürgerinitiativ? - Ja). Während H. meine Fragen beantwortet, lässt er Tims Name einfließen, als wäre er ihm vertraut. - Du kennst Tim? - Klar, Tim Donohoe. - Du liest seine Artikel? - Ich kenne ihn persönlich. Wir sind befreundet, sagt H. und ich frage mich, warum er das nicht gleich gesagt hat. - Woher kennst du ihn? Kneipe? Nachtleben? - Gemeinsame Freundin. - Silke? Seine Frau? - Das ist eine enge Freundin von mir, sagt er. – Durch sie habe ich Tim kennengelernt, sage ich. – Jetzt kommt noch heraus, dass er hin und wieder die zwei Kinder der beiden betreut, wenn sie einen Babysitter brauchen. Und das ist es dann auch schon. Ohne Pointe. Nur mal, wie das so geht: Recherchieren im Kiez. Und Ankündigung. Coming soon: Tim Donohoe. Ach, und Du hast immer noch die Chance, Einfluss zu nehmen auf das, was ich über Dich schreibe, Tim. Indem Du mit mir redest und mir nicht immer nur erzählst, dass meine Mail-Adresse an dem Pinboard über Deinem Schreibtisch hängt. - Auch so ein Neinsager. Allerdings einer von den Guten. Nur, dass er sich ziert wie eine Jungfrau, die schon lange keine mehr ist.
Trailer Tim
Kennst du die Stadtteilzeitung? frage ich Günter, der gerade seinen Mittagsgästen Bier serviert an den vor dem Felsenkeller stehenden Tischen. – Stadtteilzeitung? Nee. – Nie was damit zu tun gehabt? – Nee, wirklich nicht. – Sabrina kennt die Stadtteilzeitung, sie liest sie gerne und regelmäßig. Liegt bei ihr jede Woche im Briefkasten. - Dann kann das aber nicht die Stadtteilzeitung sein, Sabrina. Denn die erscheint nur einmal im Monat, wenn ich das richtig verstanden habe. – Der Mann kommt vorbei, der der Mann ist aus dem Posting Umarmung; ich könnte wissen, wie er heißt, obwohl wir uns nie mit unseren Namen anreden. Er hat mir einmal seine Visitenkarte gegeben; verlegt. Ich laufe ihm hinterher: Hey! Ich nenne ihn jetzt mal H. Beim zweiten Hey dreht sich H. um, begrüßt mich und setzt sich dann an einen Tisch des vietnamesischen Restaurants, vor dem wir stehen geblieben sind. Ich setze mich nicht zu ihm und frage, ob er die Stadtteilzeitung kennt. – Er kennt und liest sie. – Wird die verteilt? Müsste ich die aus meinem Briefkasten kennen? – Nein, sagt er, das ist nicht so ein Anzeigenblatt. Ist aber kostenlos und liegt aus in Läden (Verteilstellen). – Aber zum Beispiel nicht bei Norbert im Schönebag, wo ich gleich hinterher mal gucke, weil ich bei dem ohnehin vorbei schauen wollte. - Ich vergesse H. zu fragen, wie die Stadtteilzeitung sich finanziert, wenn nicht durch Anzeigen oder Verkauf. Stattdessen frage ich, ob die Leute, die da schreiben, bezahlt werden. – Keine Ahnung. Wenn, dann bestimmt nur symbolisch, meint er und will wissen, warum ich ihn das alles frage. – Weil ich über jemanden schreiben will, der mir schon mehrfach stolz erzählt hat, dass er für die Stadtteilzeitung schreibt, und mich interessiert, was die Zeitung für einen Status hat, dass er so stolz ist darauf. – Und wer ist das? will H. wissen. – Tim heißt er. Amerikaner. - Und warum willst du über den schreiben? – Weil er eine interessante Person ist. Und weil mir nicht so viele interessante Personen begegnen, also wirklich interessante Personen, nicht nur aus Höflichkeit als interessant bezeichnete Personen … (fasel, fasel). Er hat einen dicken Roman geschrieben jahrelang und will ihn nicht veröffentlichen, erläutere ich die Interessantheit von Tim an einem Beispiel und könnte hinzufügen, dass er nicht mal bereit ist, mir den Roman zu lesen zu geben, und dass das einer der Gründe ist, warum ich über Tim schreiben will. - H. beantwortet mir weitere Fragen zur Stadtteilzeitung (Zum Beispiel, wo die politisch stehen. Eher grün als rot? - Eher grün, aber eigentlich nicht parteigebunden. - Mehr so bürgerinitiativ? - Ja). Während H. meine Fragen beantwortet, lässt er Tims Name einfließen, als wäre er ihm vertraut. - Du kennst Tim? - Klar, Tim Donohoe. - Du liest seine Artikel? - Ich kenne ihn persönlich. Wir sind befreundet, sagt H. und ich frage mich, warum er das nicht gleich gesagt hat. - Woher kennst du ihn? Kneipe? Nachtleben? - Gemeinsame Freundin. - Silke? Seine Frau? - Das ist eine enge Freundin von mir, sagt er. – Durch sie habe ich Tim kennengelernt, sage ich. – Jetzt kommt noch heraus, dass er hin und wieder die zwei Kinder der beiden betreut, wenn sie einen Babysitter brauchen. Und das ist es dann auch schon. Ohne Pointe. Nur mal, wie das so geht: Recherchieren im Kiez. Und Ankündigung. Coming soon: Tim Donohoe. Ach, und Du hast immer noch die Chance, Einfluss zu nehmen auf das, was ich über Dich schreibe, Tim. Indem Du mit mir redest und mir nicht immer nur erzählst, dass meine Mail-Adresse an dem Pinboard über Deinem Schreibtisch hängt. - Auch so ein Neinsager. Allerdings einer von den Guten. Nur, dass er sich ziert wie eine Jungfrau, die schon lange keine mehr ist.
Freitag, 27. Mai 2011
Achselzucken
Finita la commedia. Ab jetzt nur noch Leute, die einen Namen haben. An Orten, die bezeichnet werden dürfen. Mit Konflikten, die auch nicht ohne sind. Gegensatz der Geschäftsinteressen. Michaela, Serhat. Beiden habe ich eine Kopie meines Textes über die Sache mit den Tischen draußen gegeben, die jetzt nur noch vor dem Felsenkeller stehen dürfen, nicht mehr vor dem Tabakwarenladen nebenan, weil das ist nicht gut für ihr Geschäft, haben Serhat und Oguzhan festgestellt nach einer Woche mit Tischen und der folgenden Woche ohne Tische vor dem Eingang ihres Ladens. Michaela glaubt das nicht, dass sie jetzt mehr Umsatz machen. Alleine schon deshalb nicht, weil ihre Gäste nicht mehr im Tabakladen ihre Rauchwaren kaufen. – Wieso? Hast du sie aufgehetzt gegen die Jungs? – Das ist nicht nötig. Die Gäste sehen ja, dass die Tische da nicht mehr stehen, kriegen es von uns natürlich gesagt, warum, wenn sie fragen – und können, was sie zum Rauchen brauchen, ab jetzt wieder im Felsenkeller kaufen. – Ach, ihr verkauft wieder Zigaretten in der Glasvitrine an der Theke? – Natürlich, sagt Michaela. Und Amadeus, der dabei sitzt, während ich mit ihr rede, fügt hinzu, dass es im Felsenkeller Marken gibt wie Senior Service zum Beispiel, die sie im Tabakladen nebenan gar nicht führen. – Und was unternimmst du wegen der Tische. die du nicht mehr aufstellen kannst? – Darauf hoffen, dass der Sommer schlecht wird und es nicht so viele schöne Tage gibt, an denen die Gäste draußen sitzen wollen. – Willst du ab jetzt jedes Jahr darauf hoffen, dass der Sommer schlecht wird? – Achselzucken. Was bleibt ihr anderes übrig? Das Ordnungsamt setzt die Grenzen und verhängt die Bußgelder: Tische aufstellen am Straßenrand verboten! – Serhat hatte ich vorher schon getroffen. Viel gab es mit ihm nicht zu besprechen. Er hat mir gedankt dafür, dass ich seinen Standpunkt korrekt wiedergegeben habe, und an seinem Standpunkt hat sich seit unserem letzten Gespräch nichts geändert. – Hätte ich mit Michaela zuerst gesprochen, hätte ich ihn konfrontieren können mit dem, was sie mir über den Mietvertrag für den Tabakwarenladen erzählt hat: Es sei keineswegs so gewesen, dass die Jungs den Laden sicher hatten. Sie waren sich vielleicht mit dem Hamburger einig, aber nicht mit den Vermietern. Nachdem der Hamburger im Januar gestorben war, stand der Vertragsabschluss erst mal auf der Kippe, und sie und ihr Mann Günter hätten sich damals bei den Vermietern für die Jungs eingesetzt. – Stimmt das, Serhat? werde ich ihn bestimmt mal fragen. Bin mal gespannt, wie er das darstellt. Sicher noch mal anders. Aber richtig interessant ist das nicht. Interessant wäre es nur gewesen, wenn es eine Chance gegeben hätte, zwischen den Parteien zu vermitteln. Wenn es darum gegangen wäre, sie miteinander ins Gespräch zu bringen. Aber daran hat es nicht gelegen. Sie haben miteinander geredet. Es hat nichts genutzt.
Nicht anfassen!
Jetzt gibt es auch mal was zu lachen über Strauss-Kahn. Bitte anklicken: From the Time Capsule: Dominique Strauss-Kahn Meets Barack and Michelle Obama. Eine Momentaufnahme vom G-20-Gipfel im September 2009. Auf die rechte Hand des US-Präsidenten achten! Und unbedingt auch ansehen, das letzte Foto der Slideshow: die Vorgeschichte, der Schnappschuss vom Moment davor. Wieder der US-Präsident. Sein Gesichtsausdruck!
Nicht anfassen!
Jetzt gibt es auch mal was zu lachen über Strauss-Kahn. Bitte anklicken: From the Time Capsule: Dominique Strauss-Kahn Meets Barack and Michelle Obama. Eine Momentaufnahme vom G-20-Gipfel im September 2009. Auf die rechte Hand des US-Präsidenten achten! Und unbedingt auch ansehen, das letzte Foto der Slideshow: die Vorgeschichte, der Schnappschuss vom Moment davor. Wieder der US-Präsident. Sein Gesichtsausdruck!
Donnerstag, 26. Mai 2011
Homestory 3
Ich will mit seiner Freundin sprechen. Er will nicht, dass ich mit ihr spreche. Warum nicht? Was ist schon dabei? Hat er etwas zu verbergen? – Sie? - Wo ist sie? Er wird sie wohl kaum gefesselt und geknebelt im Schlafzimmer eingesperrt haben während meines Besuchs, um sie daran zu hindern, mir um den Hals zu fallen und mir ins Ohr zu flüstern: Rette mich! – Entweder sie will nicht mit mir sprechen oder sie fügt sich seinem Wunsch. Wenn sie nicht mit mir sprechen will, dann macht er das für sie, mich abzuwimmeln. Und wenn es sein Wunsch ist, dass sie es nicht tut, und sie sich ihm fügt, dann ist es auch nicht zu ändern. Was will ich also noch? Ich bin da. Sie ist nicht da. Ich rede nicht mit ihr. Ich rede mit ihm.
September 2009. Spätsommer. Früher Abend. Offene Fenster. Ich war in meiner Küche, als ich Geschrei hörte. Ich bin zum kleinen Balkon gegangen, der Ihrer Wohnung gegenüber liegt, und habe gehört, dass das Geschrei aus Ihrer Wohnung kommt. Ein Streit. Ich habe nicht verstanden, worum es ging. Nur einen Satz habe ich deutlich gehört, als die Frau in höhnischem Ton rief: Oh yeah, I had my fun! Gleich darauf wurde knallend eine Tür zugeschlagen. Und da ist mir überhaupt erst klar geworden, dass die Frau in Ihrer Wohnung, in der ich die Frau aus dem Hallenbad wiedererkannt habe, in einer engeren Beziehung zu Ihnen steht, dass sie nicht nur ein Gast oder eine Untermieterin ist, sondern Ihre Freundin sein muss. Das hatte ich bis dahin zu meinen Gunsten verdrängt, jetzt war es nicht mehr zu leugnen, denn so streitet sich nur ein Paar. – Der Nachbar hat sich das interessiert angehört, jetzt lacht er und sagt: Ich streite mich nicht mit Frauen. Nie. – Das ist jetzt aber eine ganz schwache Replik, denke ich und sage: Das kann nicht sein. – Er beharrt darauf und begründet es: Ich bin mit drei Schwestern aufgewachsen, sagt er. Und damit bringt er mich zum ersten und einzigen Mal zum Lachen. - Später, fahre ich fort, habe ich beobachtet, wie sie Abend für Abend zusammensaßen im Wohnzimmer mit der Frau, die so geschrien hatte, und wie sie sehr ernst miteinander geredet haben. Bis es dann anscheinend zum Bruch gekommen ist zwischen Ihnen beiden, an einem Samstagabend war das, als die Frau im kleinen Apartment gesessen hat, im Hintergrund stand ihre gepackte Reisetasche, Sie redeten auf sie ein, aber sie wollte nichts mehr hören, saß da mit vor der Brust verschränkten Armen und danach hatte ich den Eindruck, dass sie weg war, mehrere Wochen lang. - Wann soll das gewesen sein? fragt er. - Der Streit mit dem Geschrei war am Abend des 15. September 2009. Die Szene mit der Reisetasche war vier Tage danach.– Er schüttelt den Kopf und lacht. Nein, er kann sich an keine solche Szene erinnern, er hat keine Freundin, er hat eine Frau, aber mit der streitet er nicht, weil er mit drei Schwestern aufgewachsen ist, und er lügt: denn ich habe ihn unzählige Male streiten sehen mit der Frau, von der er sagt, dass es sie nicht gibt. - Sind Sie das älteste oder das jüngste Kind? frage ich ihn und nehme an, dass er das jüngste Kind ist. – Das dritte Kind, sagt er. Auch nicht schlecht, denke ich. Zwei ältere Schwestern, die ihn verwöhnt haben, und eine jüngere Schwester, die er verwöhnt hat. – Er zieht eine Zwischenbilanz: Meine Wahrnehmungen seien zu konkret, um als Täuschung abgetan zu werden. Womit er sagen will, er nimmt mich ernst und er will mir gerne helfen. Deshalb sucht er weiter in seinen Foto-Dateien nach einer Frau, die in Frage kommt dafür, die von mir Gesuchte zu sein, weil sie einmal in seiner Wohnung zu Gast war. – Ich komme nun zu dem, was ich die Hauptevidenz nenne. April 2009. Als ich ihn zusammen mit der gesuchten Frau an einem frühen Abend auf der Akazienstraße gesehen habe, unzweifelhaft die Frau aus dem Hallenbad, unzweifelhaft er. – Wann genau soll das gewesen sein? – Datum weiß ich nicht. Nur, dass es drei Tage vor Ostern war. – Er schaut in seinen Terminkalender auf dem Notebook. 9. April. Er liest den Eintrag von diesem Tag vor: (Name seiner Frau) kommt aus Düsseldorf mit A.D. – Kann er sich nicht mehr daran erinnern, was das Kürzel zu bedeuten hat. Und schon gar nicht kann er sich erinnern, mit der von mir gesuchten Frau am frühen Abend über die Akazienstraße gegangen zu sein. – Nach diesem Muster geht es weiter. Ich schildere Begebenheiten, bei denen ich ihn zusammen mit ihr gesehen habe. Er fragt nach dem Datum und kann sich nicht daran erinnern. Es tut ihm leid, er hat keine Freundin. – Vergangenes Silvester habe ich Sie mit zwei Frauen hier in diesem Zimmer feiern sehen. – Zwei Frauen? fragt er amüsiert staunend und wenn er jetzt noch nach dem Datum von letztem Silvester fragt, dann würde er mich noch mal zum Lachen bringen. Aber er geht einfach darüber hinweg und ich insistiere nicht. Ich erwähne auch nicht die andere große Streitszene, als er seiner Freundin das Fernsehgerät hinterher getragen hat, nachdem sie sich in das kleine Apartment zurückgezogen hatte und nicht mehr mit ihm reden wollte (Januar 2010). Oder den unvergesslichen Auftritt, als er an einem Vormittag im letzten November minutenlang am Fenster des kleinen Apartments stand und zu mir rüber gestarrt hat. Warum eigentlich? Was wollte er mir da zeigen? – Ich frage es nicht. Ich weiß jetzt, wie er lügt. Ich kann mir seine Antworten denken. Ein Fernsehgerät gibt es nicht in seiner Wohnung. Und das im November, was für ein Tag war das genau? Da muss er mal in seinem Kalender nachsehen und da gibt es dann bestimmt einen Eintrag, den er nicht mehr entschlüsseln kann, aber am Fenster gestanden hat er nicht, das weiß er ganz genau: er starrt nicht in fremde Wohnungen.
Er hat mich müde gespielt und scheint jetzt selbst seines Spiels überdrüssig zu werden. Er fragt mich nach meiner E-Mail-Adresse für den Fall, dass ihm noch etwas einfällt (Witz! Sein Witz, nicht meiner). Und er macht sich nun allen Ernstes Notizen, fragt noch mal, wie die Frau aussieht, die ich suche. Das ist die Stelle, wo er sagt: breiter Hals, und ich beharre auf kräftiger Hals und füge hinzu: eben kein Schwanenhals. Ich erzähle ihm dann noch von der von mir so genannten klandestinen Kommunikation, die ich mit der Frau hatte: sie in meinen Rechner eingehackt, ich ihr schreibend, sie antwortet mit Zeichen, unter anderem mit dem Licht des Dachfensters. Ich sage, dass sie sich nicht ein Mal mir gegenüber verbal geäußert hat. Das scheint ihn zu überraschen. Hat sie ihm erzählt, dass sie stundenlang gequatscht hat mit mir? Witz! Mein Witz. – Ich sage, dass sie es geschafft hat, mit dem Licht des Dachfensters Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Und jetzt hat er mich. Dieses Fenster befindet sich im Treppenhaus. Das Licht, das da zu sehen ist, das ist das Treppenhauslicht. Das ist mit einer Zeitschaltuhr gekoppelt. Wie soll jemand damit Emotionen zum Ausdruck bringen? – Das habe ich mich selbst schon gefragt, denn das habe ich mir auch gedacht, dass es nicht anders sein kann, als dass sich dieses Fenster im Treppenhaus befindet. Aber ich habe es unzählige Male erlebt, wie sie mit dem Licht reagiert hat auf das, was ich ihr geschrieben hatte. Ich habe es gesehen, wie das Licht gedimmt war, so dass es kaum noch wahrzunehmen war: Trauer, Ärger. Wie es heller leuchtete als gewöhnlich: Freude, Zustimmung. Wie es geflackert hat: Schmerz, Enttäuschung, Wut. Wie es kurz an und wieder ausging: Ich bin da. Oder wie es kurz aus und wieder anging: Zustimmung: ja, mach! (*)
Als wir uns vor der Wohnungstür verabschieden, schaue ich hoch zu dem Dachfenster. Er wiederholt, was er über meine Wahrnehmungen gesagt hat: zu konkret, um als eingebildet abgetan zu werden, aber so wie es nun mal aussieht doch eine Phantasmagorie. Er gebraucht nicht dieses Wort. Ich erinnere mich nicht daran, was er genau gesagt hat. Ich habe nicht mehr richtig zugehört. Wir verabreden, dass ich ihn anrufe, wenn ich noch weitere Fragen habe. Ich bin langsam, erkläre ich. Ich muss das alles jetzt erst mal verarbeiten. Die Hand haben wir uns schon gegeben. Ich wende mich ab und dabei winke ich ihm zum Abschied zu. Er erwidert mein Winken. Ich lasse meinen Arm herabsinken, mehr fallen als sinken, so dass meine flache Hand gegen meinen Oberschenkel schlägt. Da bin ich schon auf der Treppe, von ihm abgewandt, und nun höre ich, wie er das Gleiche macht, wie er mit der flachen Hand gegen seinen Oberschenkel schlägt, nachdem er seinen Arm mehr fallen als herabsinken hat lassen. Warum? Er hat doch keine Veranlassung zu dieser resignativen Geste? Er glaubt doch jetzt, mich ein für alle Mal abgewimmelt zu haben.
(*) Das Dachfensterlicht ist das zweite große Rätsel in der Geschichte: Wie schafft sie es, mit diesem Licht, das ein mit einer Zeitschaltuhr gekoppeltes Treppenhauslicht ist, so differenziert Zeichen zu geben? – Und es ist das Treppenhauslicht. Es gibt nur diese Glaskuppel auf dem Dach des Hauses, die sich über dem Treppenhaus befindet. Das habe ich mit Google Earth überprüft. Aber wenn das Licht das Treppenhauslicht ist, warum sehe ich es dann nicht häufiger? Zum Beispiel am frühen Abend im Winter. Fünf große Wohnungen gibt es in dem Haus. Da muss es doch am frühen Abend im Treppenhaus Aktivität geben, da muss das Licht doch immer wieder ein- und nach kurzer Zeit von der Zeitschaltuhr wieder ausgeschaltet werden. Ich kann es mir nicht erklären. So wenig, wie ich es mir erklären kann, dass er die Existenz der Frau leugnet, die ich mit ihm in seiner Wohnung gesehen habe und die nicht identisch ist mit seiner Frau, sondern seine Freundin war oder es immer noch ist. Wegen der Korrektheit muss ich es prinzipiell für möglich halten, dass er die Wahrheit sagt. Aber ich weiß, dass er lügt. Und ich weiß jetzt auch, wie gut er lügt. Er lügt so gut, dass ich mich frage, wer ist er, was macht er sonst noch, wenn er so gut lügt?
September 2009. Spätsommer. Früher Abend. Offene Fenster. Ich war in meiner Küche, als ich Geschrei hörte. Ich bin zum kleinen Balkon gegangen, der Ihrer Wohnung gegenüber liegt, und habe gehört, dass das Geschrei aus Ihrer Wohnung kommt. Ein Streit. Ich habe nicht verstanden, worum es ging. Nur einen Satz habe ich deutlich gehört, als die Frau in höhnischem Ton rief: Oh yeah, I had my fun! Gleich darauf wurde knallend eine Tür zugeschlagen. Und da ist mir überhaupt erst klar geworden, dass die Frau in Ihrer Wohnung, in der ich die Frau aus dem Hallenbad wiedererkannt habe, in einer engeren Beziehung zu Ihnen steht, dass sie nicht nur ein Gast oder eine Untermieterin ist, sondern Ihre Freundin sein muss. Das hatte ich bis dahin zu meinen Gunsten verdrängt, jetzt war es nicht mehr zu leugnen, denn so streitet sich nur ein Paar. – Der Nachbar hat sich das interessiert angehört, jetzt lacht er und sagt: Ich streite mich nicht mit Frauen. Nie. – Das ist jetzt aber eine ganz schwache Replik, denke ich und sage: Das kann nicht sein. – Er beharrt darauf und begründet es: Ich bin mit drei Schwestern aufgewachsen, sagt er. Und damit bringt er mich zum ersten und einzigen Mal zum Lachen. - Später, fahre ich fort, habe ich beobachtet, wie sie Abend für Abend zusammensaßen im Wohnzimmer mit der Frau, die so geschrien hatte, und wie sie sehr ernst miteinander geredet haben. Bis es dann anscheinend zum Bruch gekommen ist zwischen Ihnen beiden, an einem Samstagabend war das, als die Frau im kleinen Apartment gesessen hat, im Hintergrund stand ihre gepackte Reisetasche, Sie redeten auf sie ein, aber sie wollte nichts mehr hören, saß da mit vor der Brust verschränkten Armen und danach hatte ich den Eindruck, dass sie weg war, mehrere Wochen lang. - Wann soll das gewesen sein? fragt er. - Der Streit mit dem Geschrei war am Abend des 15. September 2009. Die Szene mit der Reisetasche war vier Tage danach.– Er schüttelt den Kopf und lacht. Nein, er kann sich an keine solche Szene erinnern, er hat keine Freundin, er hat eine Frau, aber mit der streitet er nicht, weil er mit drei Schwestern aufgewachsen ist, und er lügt: denn ich habe ihn unzählige Male streiten sehen mit der Frau, von der er sagt, dass es sie nicht gibt. - Sind Sie das älteste oder das jüngste Kind? frage ich ihn und nehme an, dass er das jüngste Kind ist. – Das dritte Kind, sagt er. Auch nicht schlecht, denke ich. Zwei ältere Schwestern, die ihn verwöhnt haben, und eine jüngere Schwester, die er verwöhnt hat. – Er zieht eine Zwischenbilanz: Meine Wahrnehmungen seien zu konkret, um als Täuschung abgetan zu werden. Womit er sagen will, er nimmt mich ernst und er will mir gerne helfen. Deshalb sucht er weiter in seinen Foto-Dateien nach einer Frau, die in Frage kommt dafür, die von mir Gesuchte zu sein, weil sie einmal in seiner Wohnung zu Gast war. – Ich komme nun zu dem, was ich die Hauptevidenz nenne. April 2009. Als ich ihn zusammen mit der gesuchten Frau an einem frühen Abend auf der Akazienstraße gesehen habe, unzweifelhaft die Frau aus dem Hallenbad, unzweifelhaft er. – Wann genau soll das gewesen sein? – Datum weiß ich nicht. Nur, dass es drei Tage vor Ostern war. – Er schaut in seinen Terminkalender auf dem Notebook. 9. April. Er liest den Eintrag von diesem Tag vor: (Name seiner Frau) kommt aus Düsseldorf mit A.D. – Kann er sich nicht mehr daran erinnern, was das Kürzel zu bedeuten hat. Und schon gar nicht kann er sich erinnern, mit der von mir gesuchten Frau am frühen Abend über die Akazienstraße gegangen zu sein. – Nach diesem Muster geht es weiter. Ich schildere Begebenheiten, bei denen ich ihn zusammen mit ihr gesehen habe. Er fragt nach dem Datum und kann sich nicht daran erinnern. Es tut ihm leid, er hat keine Freundin. – Vergangenes Silvester habe ich Sie mit zwei Frauen hier in diesem Zimmer feiern sehen. – Zwei Frauen? fragt er amüsiert staunend und wenn er jetzt noch nach dem Datum von letztem Silvester fragt, dann würde er mich noch mal zum Lachen bringen. Aber er geht einfach darüber hinweg und ich insistiere nicht. Ich erwähne auch nicht die andere große Streitszene, als er seiner Freundin das Fernsehgerät hinterher getragen hat, nachdem sie sich in das kleine Apartment zurückgezogen hatte und nicht mehr mit ihm reden wollte (Januar 2010). Oder den unvergesslichen Auftritt, als er an einem Vormittag im letzten November minutenlang am Fenster des kleinen Apartments stand und zu mir rüber gestarrt hat. Warum eigentlich? Was wollte er mir da zeigen? – Ich frage es nicht. Ich weiß jetzt, wie er lügt. Ich kann mir seine Antworten denken. Ein Fernsehgerät gibt es nicht in seiner Wohnung. Und das im November, was für ein Tag war das genau? Da muss er mal in seinem Kalender nachsehen und da gibt es dann bestimmt einen Eintrag, den er nicht mehr entschlüsseln kann, aber am Fenster gestanden hat er nicht, das weiß er ganz genau: er starrt nicht in fremde Wohnungen.
Er hat mich müde gespielt und scheint jetzt selbst seines Spiels überdrüssig zu werden. Er fragt mich nach meiner E-Mail-Adresse für den Fall, dass ihm noch etwas einfällt (Witz! Sein Witz, nicht meiner). Und er macht sich nun allen Ernstes Notizen, fragt noch mal, wie die Frau aussieht, die ich suche. Das ist die Stelle, wo er sagt: breiter Hals, und ich beharre auf kräftiger Hals und füge hinzu: eben kein Schwanenhals. Ich erzähle ihm dann noch von der von mir so genannten klandestinen Kommunikation, die ich mit der Frau hatte: sie in meinen Rechner eingehackt, ich ihr schreibend, sie antwortet mit Zeichen, unter anderem mit dem Licht des Dachfensters. Ich sage, dass sie sich nicht ein Mal mir gegenüber verbal geäußert hat. Das scheint ihn zu überraschen. Hat sie ihm erzählt, dass sie stundenlang gequatscht hat mit mir? Witz! Mein Witz. – Ich sage, dass sie es geschafft hat, mit dem Licht des Dachfensters Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Und jetzt hat er mich. Dieses Fenster befindet sich im Treppenhaus. Das Licht, das da zu sehen ist, das ist das Treppenhauslicht. Das ist mit einer Zeitschaltuhr gekoppelt. Wie soll jemand damit Emotionen zum Ausdruck bringen? – Das habe ich mich selbst schon gefragt, denn das habe ich mir auch gedacht, dass es nicht anders sein kann, als dass sich dieses Fenster im Treppenhaus befindet. Aber ich habe es unzählige Male erlebt, wie sie mit dem Licht reagiert hat auf das, was ich ihr geschrieben hatte. Ich habe es gesehen, wie das Licht gedimmt war, so dass es kaum noch wahrzunehmen war: Trauer, Ärger. Wie es heller leuchtete als gewöhnlich: Freude, Zustimmung. Wie es geflackert hat: Schmerz, Enttäuschung, Wut. Wie es kurz an und wieder ausging: Ich bin da. Oder wie es kurz aus und wieder anging: Zustimmung: ja, mach! (*)
Als wir uns vor der Wohnungstür verabschieden, schaue ich hoch zu dem Dachfenster. Er wiederholt, was er über meine Wahrnehmungen gesagt hat: zu konkret, um als eingebildet abgetan zu werden, aber so wie es nun mal aussieht doch eine Phantasmagorie. Er gebraucht nicht dieses Wort. Ich erinnere mich nicht daran, was er genau gesagt hat. Ich habe nicht mehr richtig zugehört. Wir verabreden, dass ich ihn anrufe, wenn ich noch weitere Fragen habe. Ich bin langsam, erkläre ich. Ich muss das alles jetzt erst mal verarbeiten. Die Hand haben wir uns schon gegeben. Ich wende mich ab und dabei winke ich ihm zum Abschied zu. Er erwidert mein Winken. Ich lasse meinen Arm herabsinken, mehr fallen als sinken, so dass meine flache Hand gegen meinen Oberschenkel schlägt. Da bin ich schon auf der Treppe, von ihm abgewandt, und nun höre ich, wie er das Gleiche macht, wie er mit der flachen Hand gegen seinen Oberschenkel schlägt, nachdem er seinen Arm mehr fallen als herabsinken hat lassen. Warum? Er hat doch keine Veranlassung zu dieser resignativen Geste? Er glaubt doch jetzt, mich ein für alle Mal abgewimmelt zu haben.
(*) Das Dachfensterlicht ist das zweite große Rätsel in der Geschichte: Wie schafft sie es, mit diesem Licht, das ein mit einer Zeitschaltuhr gekoppeltes Treppenhauslicht ist, so differenziert Zeichen zu geben? – Und es ist das Treppenhauslicht. Es gibt nur diese Glaskuppel auf dem Dach des Hauses, die sich über dem Treppenhaus befindet. Das habe ich mit Google Earth überprüft. Aber wenn das Licht das Treppenhauslicht ist, warum sehe ich es dann nicht häufiger? Zum Beispiel am frühen Abend im Winter. Fünf große Wohnungen gibt es in dem Haus. Da muss es doch am frühen Abend im Treppenhaus Aktivität geben, da muss das Licht doch immer wieder ein- und nach kurzer Zeit von der Zeitschaltuhr wieder ausgeschaltet werden. Ich kann es mir nicht erklären. So wenig, wie ich es mir erklären kann, dass er die Existenz der Frau leugnet, die ich mit ihm in seiner Wohnung gesehen habe und die nicht identisch ist mit seiner Frau, sondern seine Freundin war oder es immer noch ist. Wegen der Korrektheit muss ich es prinzipiell für möglich halten, dass er die Wahrheit sagt. Aber ich weiß, dass er lügt. Und ich weiß jetzt auch, wie gut er lügt. Er lügt so gut, dass ich mich frage, wer ist er, was macht er sonst noch, wenn er so gut lügt?
Mittwoch, 25. Mai 2011
Homestory 2
Der Nachbar in der Dachwohnung gegenüber meiner Dachwohnung ist 46 Jahre alt und hat ein jungenhaftes Äußeres: Zu Bluejeans trägt er eine rote Adidas-Jacke über einem weißen T-Shirt und er hat volles, sehr volles dunkles Haar, halblang und nach hinten gekämmt. Er steht in der offenen Wohnungstür und begrüßt mich lächelnd. Er scheint nicht verwundert zu sein über meinen unangemeldeten Besuch. Das kann nur heißen, er hat ihn erwartet, da er meinen Blog liest, in dem ich meinen Besuch angekündigt habe. Als ich an der Haustür geläutet habe und er sich über die Haussprechanlage gemeldet hat (Ja?), habe ich meinen Namen genannt, mich als Nachbar von gegenüber vorgestellt und gefragt, ob ich mal hochkommen kann. Bitte, hat er geantwortet und den Türöffner betätigt. Das Wenige, was ich mir vorher zurechtgelegt hatte, bezog sich darauf, dass ich sie antreffen würde (Wunschdenken). Obwohl ich, als ich die Treppen hochgehe schon ahne, dass sie nicht da sein oder sich nicht zeigen wird, entscheide ich mich dafür zu ihm zu sagen: Ich würde gerne Ihre Freundin sprechen. Dazu kommt es aber nicht. Denn als ich oben anlange, macht er erst eine lockere Bemerkung über die vielen Treppen, worauf ich sage, die Treppen bei mir drüben sind steiler. Darauf geben wir uns die Hand, ich nenne ihm noch einmal meinen Namen, und dann bittet er mich zu meiner Überraschung herein, ohne mich zu fragen, was ich von ihm will. Ich frage ihn, ob er weiß, wer ich bin? – Er antwortet: Nach so vielen Jahren der Nachbarschaft, kennt man sich selbstverständlich vom Sehen. Wir gehen in das mir durch den Blick aus meiner Wohnung vertraute Wohnzimmer, das anders aussieht, als ich es mir vorgestellt habe, aber auch nicht völlig anders. Ich beschreibe es nicht. Nur soviel: Es ist natürlich nicht spießig. Es ist auch nicht so wie ich es eingerichtet hätte. Aber es ist so, dass ich mich hier wohlfühle. Ich steuere auf ein an der Wand stehendes Sofa mit leuchtend blauem Bezug zu und frage, ob ich Platz nehmen darf, denn ich bin etwas aufgeregt und im Sitzen ist es leichter damit umzugehen. Er bietet mir etwas zu trinken an. Ich lehne dankend ab, was unhöflich ist, was ich aber auch deshalb tue, weil ich mir nicht vorstellen kann, länger zu bleiben. Denn sie werde ich nicht sehen, das ist klar. Und was soll bei einem Gespräch mit ihm schon herauskommen, außer dass wir uns bekannt machen miteinander, und das ist nun schon so gut wie geschehen. Obwohl ich mir nichts davon verspreche, erzähle ich ihm in einer sehr kompakten Version meine Geschichte mit der Frau aus dem Hallenbad. von dem Moment an als sie mit unverkennbar amerikanischem Akzent sagte: Vielleicht, wenn wir zehn oder zwanzig Minuten warten, das Wasser ist wieder gesund - dem Moment, als ich mich in sie verliebt habe, bis zu dem überraschenden Wendepunkt, als ich sie eines Tages im Juni vor zwei Jahren in seiner Wohnung gesehen habe, es erst nicht glauben wollte, dass sie das ist, doch dann mehrten sich die Eindrücke, die keinen Zweifel daran ließen: die Frau da drüben war die Frau aus dem Hallenbad. Deutlichster Eindruck von allen: als ich ihn an einem Sommerabend zusammen mit der Frau Blumen gießen sah in der Wohnung eine Etage tiefer. – Er hat mir die ganze Zeit aufmerksam und schweigend zugehört, jetzt fragt er, wann das gewesen sein soll. – 2009 war das. Im Hochsommer. Wahrscheinlich August. Ferienzeit. Die Leute in der Wohnung unter Ihnen waren verreist. Sie haben ihre Balkon-Blumen gegossen. Und ich habe die Frau aus dem Hallenbad nicht nur erkannt an ihrem Gesicht, sondern auch an ihrem Gang, ihrem leicht staksigen Gang, den ich an ihr beobachtet habe so oft, wenn sie in die Schwimmhalle kam oder wenn sie die Halle verlassen hat und ich ihr hinterher geschaut habe und wie immer gar nicht genug kriegen konnte von ihrem Anblick. Das sage ich natürlich nicht, ich erwähne nur ihren leicht staksigen Gang als charakteristisches Merkmal. Er will nun wissen, wie die Frau ausgesehen hat - Größe? Etwas kleiner als ich. Schlank? Dünn, aber nicht dürr. - Haarfarbe? Dunkle Haare, brünett, würde ich sagen. Schulterlange Haare, seit Anfang des Jahres allerdings kurz. Volles Gesicht. Nicht auf eine typische Art hübsch. Dünne Lippen, großer Mund. Leicht vorspringendes Kinn. Ausgeprägte, aber nicht gebogene Nase. Gezupfte Augenbrauen. Kräftiger Hals. Als er später darauf zurückkommt und sagt: breiter Hals, lasse ich das nicht gelten. Starker Hals, kein Schwanenhals. - Ich beschreibe die Frau, weil ich gar nicht genug davon kriegen kann, sie zu beschreiben, nicht weil ich mir etwas davon verspreche. Das Gespräch wird zu nichts führen. Das weiß ich. Doch weil er so freundlich und aufgeschlossen ist, ich nun schon einmal da bin und es mir auch nicht unangenehm ist, mit ihm zu tun haben, mache ich für ihn den Affen, indem ich sein Spiel mitspiele. Seit ich geläutet habe, sind etwa 15 Minuten vergangen, die nächsten 55 Minuten verbringen wir mit seinem Spiel. Je länger ich darüber nachdenke, desto verwunderlicher erscheint es mir, mit welchem Aufwand und welcher Ausdauer er es gespielt hat. Das Spiel ist: mich abwimmeln, indem er auf mich eingeht, und das geht so: Er hat keine Freundin und auch keine gehabt. Er hat eine Frau: meine Frau. Die arbeitet in London. Ich habe mal mit ihr telefoniert, ich weiß, wer sie ist und wie sie heißt. Jetzt zeigt er mir Fotos von ihr, die neben der Balkontür an der Wand hängen. – Nein, das ist nicht die Frau aus dem Hallenbad. – Dann kommen nur noch in Frage (an Personen, die ich in der Wohnung gesehen haben könnte) junge Frauen, Anfang 20, die er Kinder nennt, Studentinnen aus den USA, an die seine Frau und er das kleine Apartment vermieten, das zur Wohnung gehört. Wie alt ist die Frau denn, um die es mir geht? – Anfang, Mitte 30, wenn sie sehr alt ist, dann ist sie 38. – Dann könnte es sich bei der Frau um eine Freundin oder Bekannte von ihm oder seiner Frau handeln. Und jetzt geht es los. Er öffnet das kleinere der beiden Notebooks, die vor im auf dem runden Tisch liegen, an dem er sitzt, und sucht in seinen Foto-Dateien nach Freundinnen oder Bekannten, die in Frage kämen dafür, die Frau zu sein, die ich aus dem Hallenbad kenne und in seiner Wohnung gesehen haben könnte. Ich weiß nicht mehr, wie viele Fotos er mir gezeigt hat, am Schluss wollte ich schon gar nicht mehr hingucken, habe aber bis zum Schluss, weil er sich so viel Mühe gegeben hat, jedes Mal wieder meine Lesebrille aufgesetzt, wenn er aufgestanden ist und zu mir herkam zur Couch, um mir das Notebook hinzuhalten mit dem Foto einer Frau, die Amerikanerin ist und auch sonst ins Suchprofil passen könnte. Während dessen habe ich mir die Zeit vertrieben, indem ich ihm Szenen geschildert habe, in denen ich ihn zusammen mit der gesuchten Frau beobachtet hatte. Szenen, die keinen Zweifel daran ließen, dass er mit dieser Frau, die nicht seine Frau ist, in einer solchen Verbindung steht, dass sie nicht anders denn als seine Freundin bezeichnet werden kann. Vorneweg die inzwischen weltberühmte Streitszene mit dem zentralen Satz: Oh yeah, I had my fun! Fortsetzung folgt.
Dienstag, 24. Mai 2011
Genug
Vor ein paar Tagen im anderen Blog: Wenn ich merke, dass mich jemand manipulieren will, dann deprimiert mich das erst unendlich und danach kann es passieren, dass ich bösartig werde, bis zum Hass. Hinterher habe ich mich gewundert über die Formulierung unendlich deprimiert. Stimmt das denn, trifft es das? - So komisch es sich liest, es ist nicht anders zu beschreiben.
Nachdem ich gestern kurz nach 19 Uhr die Wohnung des Nachbarn nach einem mehr als einstündigen Gespräch verlassen habe, bin ich noch rasch in die Akazienstraße gegangen. Erst zu Norbert, um ihn zu fragen, ob ich das richtig in Erinnerung habe, dass er den Laden seit 14 Jahren hat (oder sind es 12 Jahre?). Da er schon geschlossen hatte, weiter zum Felsenkeller zu Michaela, um sie zu fragen, ob die Telefonnummer, die ich von ihr habe, noch aktuell ist, da ich sie vormittags nicht erreicht hatte und auf dem AB eine Frauenstimme mit einem Schweizer Akzent zu hören war. Maschinenstimme mit Schweizer Akzent? – Ja, mein AB hat einen Schweizer Akzent, bestätigt Michaela. Auf dem Weg hatte ich vor dem Inder Ecke Apostel-Paulus/Akazienstraße in einer Frau, die dort saß, Inge zu erkennen geglaubt. Inge ist die Mutter von Annika. Die Frau vor dem Amrit hat gelacht, als ich mich runterbeugte habe zu ihr, um sie von der Seite anzusehen, und dann gesagt habe: Verwechslung! Im Weitergehen habe ich mir überlegt, dass ich über den Besitzer des Amrit auch mal schreiben sollte, denn er ist ein wichtiger Mann in der Akazienstraße: der Moghul. So heißt sein anderes Restaurant und neben dem Moghul und dem Amrit besitzt er noch zwei (oder sind es drei?) andere Restaurants, die er verpachtet hat. Eines davon ist ein vietnamesisches Restaurant. Als ich da vorbei komme auf dem Weg zum Felsenkeller, sitzt dort die tatsächliche Inge mit ihrer Tochter Katrin, der ein Jahr jüngeren Schwester Annikas. Ich erzähle, dass ich Annika am Mittag getroffen habe und richtig erschrocken bin, als sie sagte, sie sei 29, weil mir in dem Moment klar geworden ist, wie schnell die 12 Jahre vergangen sind, die es her ist, dass ich die beiden Mädchen kennengelernt habe, die damals noch beide zur Schule gingen, als ich mit Inge zusammen war (ein knappes Jahr lang, unsere Liaison ein Missverständnis, für das wir beide nichts konnten; Inges Sohn hatte uns miteinander verkuppelt). Ich mache Inge und ihrer Tochter ehrliche Komplimente über ihr Aussehen und erkundige mich nach Katrins Freund. Er ist zum Glück schon seit einiger Zeit wieder zurück aus Damaskus, sagt sie und ich erzähle darauf, dass mir das so gefallen hat, als sie einmal über ihre Liebe zu ihm sagte, dass sie gar nicht genug von ihm kriegen kann. In dem Moment fangen ihre Augen an zu glitzern. - Och, Mensch! Was habe ich denn jetzt wieder angestellt? frage ich. Habt ihr euch getrennt? – Nein, das nicht, antwortet Katrin. Es sei nur gerade sehr, sehr schwierig mit ihm. Jetzt bemerke ich, dass die Ränder ihrer Augen gerötet sind und sie vorher schon geweint hat. Deshalb das Mutter-Tochter-Gespräch. Und da komme ich an mit meiner ahnungslosen Geschwätzigkeit. Ich murmele, ich hätte gerade ein anstrengendes Gespräch gehabt und müsse weiter. Vor dem Felsenkeller sitzt Bernd, der Raucher auf der Straße, und will mich zum Bleiben überreden. Doch das wäre zu einfach. Ich gehe nach Hause, um mir Abendessen zu machen. Ich würde dabei gerne an etwas anderes denken als an das Gespräch mit dem Nachbarn. Ich würde die Eindrücke von dem Gespräch am liebsten verdrängen. Nicht, weil es so unangenehm war, es war kein unangenehmes Gespräch, es war sinnlos, es war das sinnloseste Gespräch, das ich je ohne Alkohol- oder Drogeneinwirkung mit einem anderen Menschen, der ebenfalls nicht unter Alkohol- oder Drogeneinwirkung stand, geführt habe. Wie ein Biss in einen Filzpantoffel. Ich müsste eine stärkere Variante dieser Formulierung finden, um das Gespräch zu charakterisieren. Doch am besten wäre es, wenn ich darüber hinweggehen könnte, wie über die unbedeutende Szene mit der Frau vor dem Amrit, die nicht Inge war. Doch das geht alleine schon deshalb nicht, weil ich darüber schreiben muss. Homestory 2. Ich suche nach einer Ausflucht. Reicht es nicht, wenn ich berichte, dass ich da war, dass ich freundlich empfangen wurde, dass ich aber nur mit ihm gesprochen habe, weil sie nicht da war? Weil sie da nicht mehr wohnt, was sein könnte. Weil sie nie da gewohnt hat, weil es sie nie gegeben hat, wie er behauptet. Oder weil sie sich vor mir versteckt hat, was ich glaube, aber nicht beweisen kann, es auch gar nicht beweisen will, denn es fehlt nur noch ein winziger innerer Schritt dahin, dass es mir egal ist. Über das Gespräch zu schreiben ist nicht hilfreich bei diesem Schritt. Es ist auch nicht hilfreich, dass ich zum ersten Mal denke, dass ich mich nie auf diese Geschichte hätte einlassen sollen, dass ich sie mir hätte aus dem Kopf schlagen sollen im Sommer vor zwei Jahren, als es noch möglich gewesen wäre. Und hilfreich ist es auch nicht, dass ich mich so unendlich deprimiert fühle, wie immer, wenn ich merke, dass mich jemand manipulieren will.
Nachdem ich gestern kurz nach 19 Uhr die Wohnung des Nachbarn nach einem mehr als einstündigen Gespräch verlassen habe, bin ich noch rasch in die Akazienstraße gegangen. Erst zu Norbert, um ihn zu fragen, ob ich das richtig in Erinnerung habe, dass er den Laden seit 14 Jahren hat (oder sind es 12 Jahre?). Da er schon geschlossen hatte, weiter zum Felsenkeller zu Michaela, um sie zu fragen, ob die Telefonnummer, die ich von ihr habe, noch aktuell ist, da ich sie vormittags nicht erreicht hatte und auf dem AB eine Frauenstimme mit einem Schweizer Akzent zu hören war. Maschinenstimme mit Schweizer Akzent? – Ja, mein AB hat einen Schweizer Akzent, bestätigt Michaela. Auf dem Weg hatte ich vor dem Inder Ecke Apostel-Paulus/Akazienstraße in einer Frau, die dort saß, Inge zu erkennen geglaubt. Inge ist die Mutter von Annika. Die Frau vor dem Amrit hat gelacht, als ich mich runterbeugte habe zu ihr, um sie von der Seite anzusehen, und dann gesagt habe: Verwechslung! Im Weitergehen habe ich mir überlegt, dass ich über den Besitzer des Amrit auch mal schreiben sollte, denn er ist ein wichtiger Mann in der Akazienstraße: der Moghul. So heißt sein anderes Restaurant und neben dem Moghul und dem Amrit besitzt er noch zwei (oder sind es drei?) andere Restaurants, die er verpachtet hat. Eines davon ist ein vietnamesisches Restaurant. Als ich da vorbei komme auf dem Weg zum Felsenkeller, sitzt dort die tatsächliche Inge mit ihrer Tochter Katrin, der ein Jahr jüngeren Schwester Annikas. Ich erzähle, dass ich Annika am Mittag getroffen habe und richtig erschrocken bin, als sie sagte, sie sei 29, weil mir in dem Moment klar geworden ist, wie schnell die 12 Jahre vergangen sind, die es her ist, dass ich die beiden Mädchen kennengelernt habe, die damals noch beide zur Schule gingen, als ich mit Inge zusammen war (ein knappes Jahr lang, unsere Liaison ein Missverständnis, für das wir beide nichts konnten; Inges Sohn hatte uns miteinander verkuppelt). Ich mache Inge und ihrer Tochter ehrliche Komplimente über ihr Aussehen und erkundige mich nach Katrins Freund. Er ist zum Glück schon seit einiger Zeit wieder zurück aus Damaskus, sagt sie und ich erzähle darauf, dass mir das so gefallen hat, als sie einmal über ihre Liebe zu ihm sagte, dass sie gar nicht genug von ihm kriegen kann. In dem Moment fangen ihre Augen an zu glitzern. - Och, Mensch! Was habe ich denn jetzt wieder angestellt? frage ich. Habt ihr euch getrennt? – Nein, das nicht, antwortet Katrin. Es sei nur gerade sehr, sehr schwierig mit ihm. Jetzt bemerke ich, dass die Ränder ihrer Augen gerötet sind und sie vorher schon geweint hat. Deshalb das Mutter-Tochter-Gespräch. Und da komme ich an mit meiner ahnungslosen Geschwätzigkeit. Ich murmele, ich hätte gerade ein anstrengendes Gespräch gehabt und müsse weiter. Vor dem Felsenkeller sitzt Bernd, der Raucher auf der Straße, und will mich zum Bleiben überreden. Doch das wäre zu einfach. Ich gehe nach Hause, um mir Abendessen zu machen. Ich würde dabei gerne an etwas anderes denken als an das Gespräch mit dem Nachbarn. Ich würde die Eindrücke von dem Gespräch am liebsten verdrängen. Nicht, weil es so unangenehm war, es war kein unangenehmes Gespräch, es war sinnlos, es war das sinnloseste Gespräch, das ich je ohne Alkohol- oder Drogeneinwirkung mit einem anderen Menschen, der ebenfalls nicht unter Alkohol- oder Drogeneinwirkung stand, geführt habe. Wie ein Biss in einen Filzpantoffel. Ich müsste eine stärkere Variante dieser Formulierung finden, um das Gespräch zu charakterisieren. Doch am besten wäre es, wenn ich darüber hinweggehen könnte, wie über die unbedeutende Szene mit der Frau vor dem Amrit, die nicht Inge war. Doch das geht alleine schon deshalb nicht, weil ich darüber schreiben muss. Homestory 2. Ich suche nach einer Ausflucht. Reicht es nicht, wenn ich berichte, dass ich da war, dass ich freundlich empfangen wurde, dass ich aber nur mit ihm gesprochen habe, weil sie nicht da war? Weil sie da nicht mehr wohnt, was sein könnte. Weil sie nie da gewohnt hat, weil es sie nie gegeben hat, wie er behauptet. Oder weil sie sich vor mir versteckt hat, was ich glaube, aber nicht beweisen kann, es auch gar nicht beweisen will, denn es fehlt nur noch ein winziger innerer Schritt dahin, dass es mir egal ist. Über das Gespräch zu schreiben ist nicht hilfreich bei diesem Schritt. Es ist auch nicht hilfreich, dass ich zum ersten Mal denke, dass ich mich nie auf diese Geschichte hätte einlassen sollen, dass ich sie mir hätte aus dem Kopf schlagen sollen im Sommer vor zwei Jahren, als es noch möglich gewesen wäre. Und hilfreich ist es auch nicht, dass ich mich so unendlich deprimiert fühle, wie immer, wenn ich merke, dass mich jemand manipulieren will.
Montag, 23. Mai 2011
Akazienstraße 8
Er kaut, als ich reinkomme in den Laden. – Störe ich beim Essen? Ich kann ein andermal wieder kommen. – Dann aber erst Ende Juli. Im Moment hat er nämlich ganz andere Probleme und davon viele. – Geschäftlich? – Auch. – Ich hake nicht nach. Ich nehme an, er hat die gleichen Probleme wie ich. GELD. GELD. GELD. – Ich frage ihn, ob er dazu gekommen ist, in meinen Blog reinzuschauen. – Keine Zeit gehabt. Vor sich hat er eine aufgeschlagene Tageszeitung liegen, die aussieht wie die Berliner Zeitung. – Wäre es besser für ihn, wenn ich ihm was ausdrucken würde aus meinem Blog, damit er weiß, mit wem er es zu tun hat? – Das wäre am besten. – Ich erkläre ihm, dass mein Blog nicht wie so ein Lokal-Blättchen ist, wo er eine Anzeige schalten muss und dann schreibe ich einen Gefälligkeitsartikel, sondern …. – Er weiß schon. wie Blogs sind, sagt er. Aber es gibt viele Arten von Blogs. Welche, in denen man erfährt, welcher Star gerade welche Unterhosen trägt, oder Blogs, in denen sich über die Brötchen beim Bäcker an der Ecke beschwert wird. – Ich denke, dass mein Blog eher so einer mit den Brötchen ist, und sage, obwohl ich es bald nicht mehr hören kann, wie ich das sage, dass ich über mein Leben blogge und in meinem Leben ist es so, dass ich gerade in seinem Laden stehe, das immer noch für eine gute Idee halte, über ihn zu schreiben, dass ich im Augenblick nur nicht weiß, wie das gehen soll, weil er nicht nur so mürrisch ist, dass es schon wieder gut ist, sondern auch abweisend. Er sagt, dass die Leute in der Akazienstraße, wenn, dann nur mit ihresgleichen reden. Die Kaffeetrinker dort drüben – Kopfbewegung Richtung DoubleEye auf der anderen Straßenseite – reden nur mit den Kaffeetrinkern, die Biertrinker reden nur mit den Biertrinkern etc. und dann erzählen sie sich 40 Jahre alte Geschichten oder wie schlau ihre Kinder sind oder was sie für tolle Sachen machen wollen, aber die machen sie nie. Und in anderen Stadtteilen ist das anders, meint er.– Ich frage, wo denn? – Prenzlauer Berg, Friedrichshain zum Beispiel. – Hat er da denn auch geschäftlich zu tun? – Ja, aber das braucht hier niemand zu wissen, was er da macht. – Er steht sonntags auf dem Flohmarkt am Mauerpark, habe ich gehört. Verkauft er da seine Platten? – Er verkauft keine Platten mehr. Aber was er statt der Platten verkauft auf dem Flohmarkt, das will er mir nicht sagen. – Es ist mir ehrlich gesagt auch egal, was er da verkauft, ich will nur mit ihm reden, weil ich ihm stundenlang zuhören könnte, wie er über die Leute in der Akazienstraße herzieht, und irgendwann würde dann bestimmt auch klar werden, warum er so verbittert ist, oder er ist gar nicht verbittert, es ist nur seine Art sich zu äußern. Stundenlang zuhören ist aber heute nicht. Es entstehen Pausen. In denen müsste ich ihm gute Fragen stellen. Es fallen mir keine ein. Ich muss mich erst an ihn gewöhnen. Immerhin erfahre ich, dass er den Laden in der Akazienstraße seit 14 Jahren hat und seit 6 Jahren keine Platten mehr verkauft, sondern Bags, Sunglasses, Shirts, Accessoires, wie auf seiner Visitenkarte steht. Die hat er mir gegeben, nachdem ich ihm meinen Vornamen genannt und ihn nach seinem gefragt habe. Wortlos hat er mir die Karte gegeben. Auch, um mich loszuwerden. Denn er ist schon seit 8 Uhr unterwegs, inzwischen ist es halb eins und er will jetzt ungestört weiter essen. Er heißt Norbert und das habe ich noch rausgekriegt, bevor ich gegangen bin: er ist ein Jahr älter als ich. Jahrgang 1951. Da wird er dieses Jahr 60 oder ist es schon, aber das sieht man ihm nicht an.
Nachdem ich noch bei zwei anderen Adressen war und unterwegs lange mit der süßen Annika geredet habe, sehe ich Norbert auf dem Rückweg noch mal. Er sitzt vor dem Laden nebenan, unterhält sich mit einer Kollegin und hat bessere Laune. Wir nicken uns lächelnd zu. Und das ist jetzt das erste Mal seit 14 Jahren, dass ich da vorbei komme und wir uns freundlich grüßen. Wir werden bestimmt weiterreden miteinander, aber unbelastet davon, dass ich über seinen Laden schreiben will. Das Wichtigste über den Laden steht hier:
Schönebag
Bags, Sunglasses, Shirts, Accessoires.
Akazienstraße 8
10823 Berlin
Noch anzumerken: Accessoires heißt Krimskrams, heißt tausend verschiedenerlei Sachen. Macht bestimmt Spaß da zu stöbern. Wenn ich ein Geschenk bräuchte, zum Bespiel für Annika, die ich so gut nun auch wieder nicht kenne, so dass es mich schon überrascht, dass sie mich zu ihrer Verlobungsfeier einlädt, dann würde ich in den Laden von Norbert gehen und ganz sicher etwas finden, das nicht nur ihr, sondern auch ihrer Liebsten gefällt, die ich erst bei der Verlobungsfeier kennenlernen werde.
Nachdem ich noch bei zwei anderen Adressen war und unterwegs lange mit der süßen Annika geredet habe, sehe ich Norbert auf dem Rückweg noch mal. Er sitzt vor dem Laden nebenan, unterhält sich mit einer Kollegin und hat bessere Laune. Wir nicken uns lächelnd zu. Und das ist jetzt das erste Mal seit 14 Jahren, dass ich da vorbei komme und wir uns freundlich grüßen. Wir werden bestimmt weiterreden miteinander, aber unbelastet davon, dass ich über seinen Laden schreiben will. Das Wichtigste über den Laden steht hier:
Schönebag
Bags, Sunglasses, Shirts, Accessoires.
Akazienstraße 8
10823 Berlin
Noch anzumerken: Accessoires heißt Krimskrams, heißt tausend verschiedenerlei Sachen. Macht bestimmt Spaß da zu stöbern. Wenn ich ein Geschenk bräuchte, zum Bespiel für Annika, die ich so gut nun auch wieder nicht kenne, so dass es mich schon überrascht, dass sie mich zu ihrer Verlobungsfeier einlädt, dann würde ich in den Laden von Norbert gehen und ganz sicher etwas finden, das nicht nur ihr, sondern auch ihrer Liebsten gefällt, die ich erst bei der Verlobungsfeier kennenlernen werde.
Sonntag, 22. Mai 2011
Homestory 1
Was habe ich erwartet? Sonntagnachmittag. Dani kommt gerade vorbei geradelt mit seiner Tochter, als ich das Haus verlasse, und wir sagen lächelnd Hallo. 15.15 Uhr, bei dem warmen Wetter, da sind die Leute unterwegs. Da hätten die da drüben schon extra meinetwegen zu Hause bleiben müssen. Das kann ich nicht erwarten. Ich hätte auch schon heute Vormittag läuten können bei ihnen, bevor ich mit dem Fahrrad losgefahren bin. Da waren sie bestimmt noch zu Hause. Aber da musste ich erst mal durch die Stadt fahren und mich entneurotisieren nach dem Erlebnis von heute Morgen, als jemand angerufen hat um Punkt halb neun in einer Geldangelegenheit und in der erklärten Absicht, mir schlechte Gefühle zu machen. Außerdem war meine Vorstellung, dass ich rübergehe zum Besuch in der Dachwohnung gegenüber zu der Zeit, in der ich mich sonst ans Schreiben mache. Und wenn es sich gezeigt hätte, dass sie noch wohnt da drüben – siehe gestern – und wenn wir ins Gespräch gekommen wären miteinander (ersatzweise auch gerne mit ihm, falls sie nicht mehr da wohnt), dann hätte ich erst am Abend oder heute gar nichts geschrieben. Das geht nämlich ab jetzt, dass es an einem Tag auch mal nichts gibt im Blog. Mit heute ist es ein Jahr her, dass ich begonnen habe täglich zu bloggen. Gestartet habe ich den Blog am 19.05.2010, mit dem täglichen Bloggen habe ich erst am 22.05. begonnen. Meine Verabredung mit mir war, dass ich das ein Jahr lang durchziehe, jeden Tag zu posten. Experiment. Gewollter Ausnahmezustand. Ist gelungen. Es ist inzwischen so, dass ich gar nicht weiß, wie das gehen soll an einem Tag ohne Bloggen. Heute wollte ich es darauf ankommen lassen. Sie war nicht da, niemand war da. Siehe oben: Was konnte ich anderes erwarten um 15.15 Uhr am Sonntagnachmittag bei dem warmen Wetter?
In den nächsten Tagen werde ich es wieder versuchen. Solange, bis es klappt. – Was? – Es ist keine Aktion auf den Knien meines Herzens. Ich will nur wissen, ob sie noch da wohnt, und wenn, dann möchte ich ihr ein paar Fragen stellen zu meiner - ich kann es nicht anders als so geschwollen formulieren - Orientierung in der Realität. Wenn sie die Fragen nicht beantworten will, dann ist das eben so. Doch die Fragen sind so einfach, dass es für sie vermutlich keinen Grund gibt, sie nicht zu beantworten. Und wenn wir dabei ins Gespräch kommen miteinander (ersatzweise auch gerne mit ihm, falls sie nicht mehr da sein sollte), dann wird mich das freuen und mehr als das: beglücken, im Falle, dass sie noch da ist. Wenn nicht, dann wird es nicht mehr als schade, keinesfalls eine große Enttäuschung sein, denn die Enttäuschungen, die haben wir schon alle hinter uns, und zum größten Teil habe ich sie mir selbst zuzuschreiben, weil ich in meiner verspielten Art und Bedürftigkeit mir zu viel gedacht und deshalb Wunder weiß was erwartet habe. Wenn die andere Seite auf keinen Fall mit mir reden will, und sei es nur deshalb, weil sie nicht noch mehr in meinen Blog hineingezogen werden möchte, dann soll sie das bitte unmissverständlich, heißt: ausdrücklich klar machen. Dann wird sie (und/oder er) überhaupt nicht mehr im Blog vorkommen. Dann soll sie sich aber bitte - vice versa - auch aus meinem Leben raushalten. Ganz, aus allem in meinem Leben. Sie (oder wen es noch angeht) weiß schon, wie ich das meine und was sie dann zu lassen hat. Ganz!
Den Zwischentitel von gestern aufgreifend schreibe ich Homestory 1 über diesen Text, damit es eine Fortsetzung geben und die dann den Titel Homestory 2 haben kann, wenn ich berichte, wie es war, als ich sie und/oder ihn angetroffen habe. Vielleicht nur berichte das und mehr nicht, wenn sie oder er nicht wollen, dass ich darüber schreibe. Das würde ich respektieren. Widerwillig, aber das wäre es mir wert.
In den nächsten Tagen werde ich es wieder versuchen. Solange, bis es klappt. – Was? – Es ist keine Aktion auf den Knien meines Herzens. Ich will nur wissen, ob sie noch da wohnt, und wenn, dann möchte ich ihr ein paar Fragen stellen zu meiner - ich kann es nicht anders als so geschwollen formulieren - Orientierung in der Realität. Wenn sie die Fragen nicht beantworten will, dann ist das eben so. Doch die Fragen sind so einfach, dass es für sie vermutlich keinen Grund gibt, sie nicht zu beantworten. Und wenn wir dabei ins Gespräch kommen miteinander (ersatzweise auch gerne mit ihm, falls sie nicht mehr da sein sollte), dann wird mich das freuen und mehr als das: beglücken, im Falle, dass sie noch da ist. Wenn nicht, dann wird es nicht mehr als schade, keinesfalls eine große Enttäuschung sein, denn die Enttäuschungen, die haben wir schon alle hinter uns, und zum größten Teil habe ich sie mir selbst zuzuschreiben, weil ich in meiner verspielten Art und Bedürftigkeit mir zu viel gedacht und deshalb Wunder weiß was erwartet habe. Wenn die andere Seite auf keinen Fall mit mir reden will, und sei es nur deshalb, weil sie nicht noch mehr in meinen Blog hineingezogen werden möchte, dann soll sie das bitte unmissverständlich, heißt: ausdrücklich klar machen. Dann wird sie (und/oder er) überhaupt nicht mehr im Blog vorkommen. Dann soll sie sich aber bitte - vice versa - auch aus meinem Leben raushalten. Ganz, aus allem in meinem Leben. Sie (oder wen es noch angeht) weiß schon, wie ich das meine und was sie dann zu lassen hat. Ganz!
Den Zwischentitel von gestern aufgreifend schreibe ich Homestory 1 über diesen Text, damit es eine Fortsetzung geben und die dann den Titel Homestory 2 haben kann, wenn ich berichte, wie es war, als ich sie und/oder ihn angetroffen habe. Vielleicht nur berichte das und mehr nicht, wenn sie oder er nicht wollen, dass ich darüber schreibe. Das würde ich respektieren. Widerwillig, aber das wäre es mir wert.
Samstag, 21. Mai 2011
Vice versa
Der Levi ist auch so ein Schöneberger, der nicht grüßt, obwohl er einen kennt, den Oleg sogar so gut, dass der gleich eine Schnurre nach der anderen erzählt vom Dani. Zum Beispiel die, als Dani sich einmal von seiner Frau, die Maskenbildern ist, karikaturhaft jüdisch zurecht hat machen lassen als Mann namens Fisch, und dann ist er in den Laden von Oleg gekommen und hat sich ihm vorgestellt als Fisch, aber so brauchte er dem Oleg nicht zu kommen, denn der hat ihn natürlich sofort erkannt und als den Levi angesprochen, der er ist, und die Frau von Dani hat das mit der Videokamera aufgezeichnet und schon am nächsten Tag hat Oleg eine Video-Kassette von ihm bekommen mit der Aufzeichnung dieser Schnurre.
Es könnte allerdings auch sein, dass Dani grußlos an uns vorbei gegangen ist, weil er immer noch eingeschnappt ist wegen dem, was ich über ihn geschrieben habe. Das wäre ich an seiner Stelle vielleicht auch. Denn was ich geschrieben habe, ist zwar nicht böse, jedenfalls nicht so gemeint, aber so ehrlich, wie Dani es vermutlich nicht gewohnt ist, dass man sich ihm gegenüber äußert, weil er so ein netter, lieber Kerl ist, so dass jedermann ihm auch nur Nettes und Liebes sagen möchte. Habe ich mir gedacht hinterher und bin froh gewesen, dass er mich nicht angesprochen hat auf meine schlechte Meinung über seinen Film. Denn heute ist ein Tag, an dem ich mich gerne verstecken würde, mich am liebsten auf eine Wiese legen ins hohe Gras, den Wolken zuschauen und träumen.
Homestory
Der Mann in der Wohnung gegenüber zeigt in den letzten Tagen wieder vermehrt Präsenz. Das heißt, er ist nicht nur da, sondern mein Eindruck ist, er will, dass ich sehe, dass er da ist. – Warum? Weiß er mehr als ich? Habe ich was vor? – Der Mann in der Dachwohnung gegenüber ist der Freund von ihr. Und manchmal frage ich mich, ob sie auch noch da ist, denn ich sehe immer nur ihn, sie habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Nicht einmal huschen habe ich sie gesehen, was einmal eine von ihren vielen Besonderheiten war, das Huschen, gern gesehen, zauberhaft gefunden, nur viel mehr als Huschen war nicht. Jetzt nicht einmal mehr das. Und deshalb frage ich mich allen Ernstes, ob sie ihn verlassen hat. Ob sie uns verlassen hat. So dass das Einzige, was mir noch bleibt von ihr, der Anblick meines Rivalen ist, als lebendige Erinnerung an sie. Und vice versa bleibt ihm nur der Anblick seines Widersachers, also von mir, als lebendige Erinnerung an sie. Vice versa. Wenn ich das einmal hätte hören können, wie sie vice versa sagt. Er hat es bestimmt einmal gehört, wie sie das gesagt hat. Wahrscheinlich telefoniert er auch noch mit ihr und schreibt ihr Mails und sie schreibt ihm zurück. Doch das ist auch alles. Sie ist weg und ich denke und sehne mich da rüber, wo nur noch er ist, doch sie nicht mehr. Könnte sein. Würde passen zu mir. Nur, warum zeigt er mir dann seine Präsenz? Wölfevertreiben ist das dann nicht mehr, wenn sie weg ist. Ist sie also doch noch da? Denn sonst wäre das Zeigen seiner Präsenz sinnlos. Oder es ist gar nicht so, dass er sich mir zeigt. Er guckt nach mir, um durch meinen Anblick eine lebendige Erinnerung an sie zu bewahren. Aber erstens ist der nicht so, der ist ganz bestimmt nicht so sentimental, und zweitens glaube ich das doch nicht im Ernst, dass es so sein könnte. Das ist nur eine Träumerei von mir an einem Tag, an dem ich träge und scheu bin und mich am liebsten verstecken würde. Wogegen auch gar nichts einzuwenden ist. Nur so finde ich nie heraus, ob sie noch da ist. Darüber muss ich mir jetzt endlich mal Gewissheit verschaffen. Und sei es nur, um festzustellen, ob der Mann gegenüber gerade dabei ist seinen Verstand zu verlieren, weil er es nicht verkraftet, dass sie ihn verlassen hat. Das glaube ich zwar auch nicht im Ernst, aber irgendeinen Grund muss er doch haben, dass er mir seit Tagen wieder vermehrt seine Präsenz zeigt.
Well, if you wanna see the sun rise
Honey, I know where
We’ll go out and see it sometime
We’ll both just sit there and stare
Bob Dylan, Leopard-Skin Pill-Box Hat
In der taz von heute gibt es eine deutsche Übersetzung des Songs. Weil Bob Dylan kommenden Dienstag 70 wird und wegen eines Artikels über die Hüte in Bob Dylans Karriere, den ich nicht gelesen habe.
Es könnte allerdings auch sein, dass Dani grußlos an uns vorbei gegangen ist, weil er immer noch eingeschnappt ist wegen dem, was ich über ihn geschrieben habe. Das wäre ich an seiner Stelle vielleicht auch. Denn was ich geschrieben habe, ist zwar nicht böse, jedenfalls nicht so gemeint, aber so ehrlich, wie Dani es vermutlich nicht gewohnt ist, dass man sich ihm gegenüber äußert, weil er so ein netter, lieber Kerl ist, so dass jedermann ihm auch nur Nettes und Liebes sagen möchte. Habe ich mir gedacht hinterher und bin froh gewesen, dass er mich nicht angesprochen hat auf meine schlechte Meinung über seinen Film. Denn heute ist ein Tag, an dem ich mich gerne verstecken würde, mich am liebsten auf eine Wiese legen ins hohe Gras, den Wolken zuschauen und träumen.
Homestory
Der Mann in der Wohnung gegenüber zeigt in den letzten Tagen wieder vermehrt Präsenz. Das heißt, er ist nicht nur da, sondern mein Eindruck ist, er will, dass ich sehe, dass er da ist. – Warum? Weiß er mehr als ich? Habe ich was vor? – Der Mann in der Dachwohnung gegenüber ist der Freund von ihr. Und manchmal frage ich mich, ob sie auch noch da ist, denn ich sehe immer nur ihn, sie habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Nicht einmal huschen habe ich sie gesehen, was einmal eine von ihren vielen Besonderheiten war, das Huschen, gern gesehen, zauberhaft gefunden, nur viel mehr als Huschen war nicht. Jetzt nicht einmal mehr das. Und deshalb frage ich mich allen Ernstes, ob sie ihn verlassen hat. Ob sie uns verlassen hat. So dass das Einzige, was mir noch bleibt von ihr, der Anblick meines Rivalen ist, als lebendige Erinnerung an sie. Und vice versa bleibt ihm nur der Anblick seines Widersachers, also von mir, als lebendige Erinnerung an sie. Vice versa. Wenn ich das einmal hätte hören können, wie sie vice versa sagt. Er hat es bestimmt einmal gehört, wie sie das gesagt hat. Wahrscheinlich telefoniert er auch noch mit ihr und schreibt ihr Mails und sie schreibt ihm zurück. Doch das ist auch alles. Sie ist weg und ich denke und sehne mich da rüber, wo nur noch er ist, doch sie nicht mehr. Könnte sein. Würde passen zu mir. Nur, warum zeigt er mir dann seine Präsenz? Wölfevertreiben ist das dann nicht mehr, wenn sie weg ist. Ist sie also doch noch da? Denn sonst wäre das Zeigen seiner Präsenz sinnlos. Oder es ist gar nicht so, dass er sich mir zeigt. Er guckt nach mir, um durch meinen Anblick eine lebendige Erinnerung an sie zu bewahren. Aber erstens ist der nicht so, der ist ganz bestimmt nicht so sentimental, und zweitens glaube ich das doch nicht im Ernst, dass es so sein könnte. Das ist nur eine Träumerei von mir an einem Tag, an dem ich träge und scheu bin und mich am liebsten verstecken würde. Wogegen auch gar nichts einzuwenden ist. Nur so finde ich nie heraus, ob sie noch da ist. Darüber muss ich mir jetzt endlich mal Gewissheit verschaffen. Und sei es nur, um festzustellen, ob der Mann gegenüber gerade dabei ist seinen Verstand zu verlieren, weil er es nicht verkraftet, dass sie ihn verlassen hat. Das glaube ich zwar auch nicht im Ernst, aber irgendeinen Grund muss er doch haben, dass er mir seit Tagen wieder vermehrt seine Präsenz zeigt.
Well, if you wanna see the sun rise
Honey, I know where
We’ll go out and see it sometime
We’ll both just sit there and stare
Bob Dylan, Leopard-Skin Pill-Box Hat
In der taz von heute gibt es eine deutsche Übersetzung des Songs. Weil Bob Dylan kommenden Dienstag 70 wird und wegen eines Artikels über die Hüte in Bob Dylans Karriere, den ich nicht gelesen habe.
Freitag, 20. Mai 2011
Rückgabe
Frau, die mir mal gefallen hat, ich ihr auch. Statt uns näher kennenzulernen, sind wir dann aneinander geraten in dem Laden, in dem sie arbeitet. Wegen was Geschäftlichem. Einer Reklamation von mir. Ich wollte die Schuhe, die mir erst so gut gefielen, nicht mehr haben, obwohl sie mir immer noch gefallen haben (die Schuhe waren wie für mich gemalt), aber das Leder hatte einen Geruch, von dem konnte ich mir nicht vorstellen, dass der sich verflüchtigt, wie sie mir versicherte. Das ist Hirschleder, sagte sie, das riecht am Anfang so. Kann sein, sagte ich, will ich aber nicht haben. Auf die Rückgabe bestanden. Sie darauf eingeschnappt. Sie war mir mit dem Preis entgegengekommen. Hatte gemeint, sie tut mir was Gutes. Und jetzt habe ich mich aufgeführt wie ein Idiot, in ihren Augen. Was für eine Enttäuschung, menschlich. Das kam also noch zu dem geschäftlichen Vorgang hinzu. Nein, sie konnte nicht unterscheiden zwischen dem Geschäftlichem und dem, dass wir interessiert nach einander geschaut hatten schon seit einiger Zeit. So habe ich es gesehen: dass sie diesen Unterschied nicht machen kann. Um mich gegen sie durchzusetzen, wurde ich bissig. Um mir zu zeigen, was sie von mir hielt, wurde sie zickig. Hinterher habe ich gedacht, wie gut, dass ich mitgekriegt habe, wie sie ist, ohne dass wir uns näher kennengelernt haben. Sie hat bestimmt das Gleiche gedacht. Das Bittere daran war, dass wir beide mehr davon gehabt hätten, wenn wir uns näher kennengelernt hätten und nicht schon gescheitert wären aneinander wegen eines Paars Schuhe, die innen mit Hirschleder verarbeitet waren. Sie war von da an unfreundlich, wenn ich in den Laden gekommen bin, und wenn wir uns draußen sahen, hat sie weggeguckt und nur widerwillig zurück gegrüßt, wenn ich sie gegrüßt habe. Mehr herausfordernd als freundlich, muss ich zugeben, habe ich sie gegrüßt. Nachtragend ist sie also auch noch, habe ich gedacht. Und jedes Mal, wenn ich sie sah, war ich froh, dass wir uns nicht näher kennengelernt haben. Aber jedes Mal habe ich auch gedacht, was wir für zwei Pechvögel sind, dass wir nicht mehr miteinander erlebt haben als diese blöde Geschichte.
Vorhin steht sie an der Kasse in der Back-Factory und ist immer noch nachtragend, als sie mich hereinkommen sieht. Personalwechsel an der Kasse. Deshalb steht sie noch da, nachdem ich mir eine Tüte genommen und mit der hygienischen Zange ein Weizenbrötchen hineingetan habe. Ich erinnere mich an ihren ungewöhnlichen Namen und überlege mir, wie man den schreibt. Es ist die ungarische Version des Namens eines Mädchens, mit dem ich einmal zusammen war, da war ich noch nicht einmal zwanzig. Cylla hieß das Mädchen. Back-Factory, Kasse. Ich stelle mich hinter ihr an und heute grüße ich sie nicht, weil ich vermeiden will, dass etwas passiert, über das ich dann schreiben muss, weil es passiert ist. Ich betrachte die weiße Haut ihrer Füße in ihren Sandalen, die weiße Haut ihrer Schultern und Arme, ihren Rücken in der hellen ärmellosen Bluse, die sie trägt zu weißen enganliegenden Jeans. Und dann geht sie und jetzt habe ich doch über sie geschrieben.
Vorhin steht sie an der Kasse in der Back-Factory und ist immer noch nachtragend, als sie mich hereinkommen sieht. Personalwechsel an der Kasse. Deshalb steht sie noch da, nachdem ich mir eine Tüte genommen und mit der hygienischen Zange ein Weizenbrötchen hineingetan habe. Ich erinnere mich an ihren ungewöhnlichen Namen und überlege mir, wie man den schreibt. Es ist die ungarische Version des Namens eines Mädchens, mit dem ich einmal zusammen war, da war ich noch nicht einmal zwanzig. Cylla hieß das Mädchen. Back-Factory, Kasse. Ich stelle mich hinter ihr an und heute grüße ich sie nicht, weil ich vermeiden will, dass etwas passiert, über das ich dann schreiben muss, weil es passiert ist. Ich betrachte die weiße Haut ihrer Füße in ihren Sandalen, die weiße Haut ihrer Schultern und Arme, ihren Rücken in der hellen ärmellosen Bluse, die sie trägt zu weißen enganliegenden Jeans. Und dann geht sie und jetzt habe ich doch über sie geschrieben.
Donnerstag, 19. Mai 2011
Wüst
Meine Badehose, die ich in der Dusche des Hallenbades vergessen habe, liegt drei Stunden später immer noch an der gleichen Stelle. Das Brötchen fällt nicht mit der Butterseite nach unten auf den Boden! Und ich muss nicht über den Arschloch-Auftritt von Lars von Trier in Cannes schreiben. Denn als ich die Akazienstraße hoch gehe, kommt mir Michaela entgegen. Dich wollte ich heute Vormittag anrufen. – Ich war unterwegs, sagt sie – Macht nichts, ich habe dich auch gar nicht angerufen, weil der Akku meines Telefons wieder Zicken gemacht hat. Also jetzt: Nein, sie hat nicht gelesen, was ich geschrieben habe über ihren Konflikt mit ihren neuen Nachbarn. Nein, sie muss nicht am Samstag in ein Internetcafé gehen, ich bringe ihr den Text morgen vorbei; mal gespannt, was sie meint zu dem, was die Jungs vom Tabakwarenladen gesagt haben, und die kriegen dann auch gleich eine Kopie. Ich hätte sie auch heute schon auf das Posting hinweisen können, denn sie sind bestimmt im Internet, aber dann hätte ich das noch einführend erklären müssen und dazu hatte ich keine Zeit, weil ich wollte schnell nach Hause, da ich vorhatte, über Lars von Trier zu schreiben, und ich mir noch nicht ganz im Klaren war, wie ich das formulieren wollte, dass er als einer der wenigen authentischen Künstler des gegenwärtigen Kinos sich in der Pressekonferenz zu seinem neuen Film versteigen kann in den trotzigen Satz: Okay, ich bin ein Nazi, weil jeder weiß, dass er keiner ist, sondern bekannt dafür, sich gerne gehen zu lassen, aber dass er nicht vorher sagen kann, dass er Hitler versteht. Wenn einer das sagt, ob er es so meint oder nicht, und wie anders soll er es meinen, als er es gesagt hat, dann hat er sich damit für sehr lange, wenn nicht für immer verabschiedet, dann gehört er nicht zu uns, dann ist es auch egal, wo er sonst hingehört, und dann ist es richtig, dass die Festivalleitung ihn zur persona non grata erklärt hat, weil das ist er dann, eine unerwünschte Person. wenn er über sich und Hitler sagt, ich glaube, ich verstehe den Mann (*) Nur, wie mache ich klar, dass ich mir seinen neuen Film (Melancholia) trotzdem ansehen werde. Das muss ich mir selbst erst mal klar machen. Und während ich mir das überlege. da sehe ich den Besitzer des Taschenladens vor seinem Laden stehen, und obwohl ich keine Zeit habe, muss das jetzt sein, dass ich auf ihn zugehe und ihn zu seiner Verwunderung anspreche darauf, dass ich zweimal schon in seinem Laden gewesen bin, weil ich über seinen Laden schreiben möchte in meinem Blog. – Was für ein Blog? – Ich erkläre es ihm, wie ich es immer erkläre: ziemlich wüster Blog, weil ist über mein Leben und mein Leben ist nun mal wüst. Aber weil das so ist, will ich nicht immer nur über mich schreiben, sondern nun zum Beispiel über Läden im Kiez. Und mit seinem möchte ich anfangen, weil wir beide diese Nicht-Grüß-Beziehung seit vielen Jahren schon und … . – Da hakt er ein, sagt das sei eben so in Schöneberg, dass man sich nicht grüßt, obwohl man sich kennt. In Friedrichshain, da sei das anders. Da grüßen sich die Leute, da grüßt er auch. – Aha, das ist doch schon mal interessant, denke ich. Guter Hinweis, dass das eine Schöneberger Eigenart ist. Und dann markiert er gleich noch eine andere Eigenart der Leute in Zentral-Schöneberg, aus der Perspektive des Kaufmanns, als er erklärt, dass in seinen Laden keine Schöneberger kommen. Die würden sich für seinen Laden nicht interessieren, die interessieren sich nur für ihren Rotwein und ihre Salami, sagt er, mehr wollen die nicht, mehr brauchen die nicht. – Aha. Da wäre ich jetzt nicht drauf gekommen. Der Mann ist interessant, auch als Charakter: sehr besonnen, ruhig, kein Wort zuviel, ganz anders als ich. Wollen wir uns demnächst mal weiter unterhalten? – Ja, aber. Er will sich erst mal angucken, was das für ein Blog ist. Wie heißt der noch mal? – Biest zu Biest. Biest wie Die Schöne und das Biest. Biest z u Biest wie von Angesicht zu Angesicht. Er notiert sich den Titel. Er wird sich das angucken. Dann wird er entscheiden. Ich nenne ihm die Überschriften der Postings, in denen ich ihn erwähnt habe: Entwarnung und Knöpfe. Danach will ich noch was Entspannendes sagen im Sinne von: Ich hoffe, Sie haben Humor. Aber da hat er sich schon in den Hinterraum zurückgezogen und ich stehe alleine da in seinem Laden. Ist auch besser so, dass ich das nicht gesagt habe. Denn als ich den Satz zum letzten Mal gebraucht habe, da hat er mir eineinhalb Jahre lang Misslingen und auch sonst nicht viel Glück gebracht. Deshalb habe ich ihn aus meinem Repertoire heraus genommen. Warum er jetzt plötzlich wieder aufgetaucht ist? Wegen der Badehose? Weil das Brötchen nicht mit der Butterseite nach unten auf den Boden gefallen ist? Weil ich mich nicht mit Lars van Triers Arschloch-Auftritt rumschlagen muss?
(*) Natürlich, er hat falsche Dinge getan, aber ich kann ihn auch sehen, wie er da am Ende in seinem Bunker hockt. Ich glaube, ich verstehe den Mann. Er ist nicht unbedingt das, was man einen guten Kerl nennt. Aber ich verstehe vieles an ihm und kann mich sogar ein bisschen in ihn einfühlen.
Pressekonferenz Melancholia - Cannes 18.05.11
Stinkbombe und Fehlurteil - verständnisvoller Kommentar auf Spiegel Online.
Kein Nazi! - hintergründiger - lesenswerter! - Kommentar auf sueddeutsche.de.
(*) Natürlich, er hat falsche Dinge getan, aber ich kann ihn auch sehen, wie er da am Ende in seinem Bunker hockt. Ich glaube, ich verstehe den Mann. Er ist nicht unbedingt das, was man einen guten Kerl nennt. Aber ich verstehe vieles an ihm und kann mich sogar ein bisschen in ihn einfühlen.
Pressekonferenz Melancholia - Cannes 18.05.11
Stinkbombe und Fehlurteil - verständnisvoller Kommentar auf Spiegel Online.
Kein Nazi! - hintergründiger - lesenswerter! - Kommentar auf sueddeutsche.de.
Mittwoch, 18. Mai 2011
Knöpfe
Zurück aus New York. Auf dem Rückweg noch Bernard-Henri Lévy´s Verteidigungsartikel auf The Daily Beast gelesen, mit dem er leidenschaftlich beweist, was für einen guten Freund Dominique Strauss-Kahn in ihm hat. Plädoyer für die Unschuldsvermutung. Aber ja! So wäre es für alle am besten, auch für Nafissatou, wenn gar nichts passiert oder alles ganz anders gewesen wäre.
Zurück in meiner Welt und in der hat niemand etwas zu fürchten außer mir. Knock, knock! – Who´s there? – Hunger! – Ganz so schlimm wird es nicht werden, aber … keine Einzelheiten. Jeder schlechte Tag hat sein Thema. Heute ist das Thema Ruin. Ein guter Tag, ein schlechter Tag. Bei der jungen Frau im Kaiser Kiosk ist es auch so: gestern ein guter Tag, heute nicht so gut. Und Serhat ist nicht da, er kommt erst in einer Stunde.
Matthias sieht so anders aus. So Rosig, so glatt, so entspannt. Wart ihr in Urlaub? Oder hast du dich neu verliebt in Anna? – Vergessen, was sie darauf gesagt hat. Er erzählt, dass er seit Anfang des Jahres keinen Alkohol mehr trinkt und wieder läuft, im Volkspark, dreimal die Woche. – Erstaunlich, wie verjüngt du bist. Und was ist mit der Malerei? – Die wollte er letztes Jahr aufgeben wegen Erfolglosigkeit und daran schien nichts mehr zu ändern zu sein. Jetzt sagt er: Das kommt als nächstes. – Dass er mit der Malerei wieder anfängt, so verstehe ich ihn. Gut!
Die sehr sympathische und auskunftsbereite Verkäuferin im Taschenladen ist nicht die gleiche wie die von letzter Woche. Sie hat gerade angefangen. Ihr erster Arbeitstag. – Und wie ist es? – Sie mag die vielen kleinen Sachen in dem Laden, sagt sie. – Den Krimskrams, wie ich sage, nicht abwertend gemeint. – Vieles, was es in dem Laden gibt, würde sie selbst gerne haben, sagt sie. Und ist das nicht die beste Voraussetzung, um in so einem Laden zu arbeiten? – Ich stimme ihr zu und frage, wie viele Kunden sie schon hatte. – Zwei. – 14. 15 Uhr. Da kann sich noch viel tun heute. Viel Erfolg und viel Spaß! – Der Chef ist kurz mal weggegangen. Kommt in einer Stunde wieder. Soll ich ihm was ausrichten? - Nein, es ist nicht dringend. Dann eben ein andermal.
Vorstellung, dass das immer so weiter geht: er ist jedes Mal gerade weggegangen, wenn ich komme. Bei den kurzen Gesprächen mit seinen Mitarbeiterinnen erfahre ich dann nach und nach alles über ihn und seinen Laden. Zum Beispiel weiß ich inzwischen, dass er ein gutes Gespür bei der Auswahl seiner Mitarbeiterinnen hat und jetzt schon, bei der zweiten, die ich kennenlerne, glaube ich Rückschlüsse darauf ziehen zu können, was er für einer ist, wenn er diesen Typus von Frauen beschäftigt. Ich werde schon über mehrere andere Läden geschrieben haben, da füge ich immer noch einen weiteren Eindruck zu dem Bild von seinem Laden hinzu und von ihm, den ich vielleicht nie kennen, aber mehr und mehr schätzen lernen werde. Geht auch schon los. Oleg vom Stoffladen gegenüber - Fichu - kennt ihn natürlich, redet aber seit acht Jahren nicht mehr mit ihm wegen eines Vorfalls, den es einmal gegeben hat auf einem Flohmarkt, auf dem sie beide einen Stand hatten. Oleg erzählt mir den Vorfall. Für mich eine Bubengeschichte. Der wollte dich doch nur foppen, das war doch nicht böse gemeint. Oleg grimmig: Dann bist du also auch so einer? So ein Sadist. – Das ist doch kein Sadismus. Das war doch nur Jux und Dollerei. Oleg unversöhnlich: Soll ich das mal mit dir so machen wie er und dir mein Knie in deine Kniekehle rammen? – Nein, heute bitte nicht.
Ich erzähle Oleg, dass ich jetzt jede Woche über einen Laden im Kiez schreiben will, der mir gefällt oder über den ich immer schon mal mehr wissen wollte. Dein Laden kommt auch irgendwann dran, sage ich. Nicht auszumachen, ob ihn das freut oder ob es ihm lieber wäre, in meinem Blog nicht vorzukommen. Immerhin weiß er von dem Blog. Er ist der erste Gesprächspartner im Kiez, der das zu erkennen gibt. Oleg. Heute war ich zum ersten Mal drinnen in seinem Laden und habe sein legendäres Knöpfesortiment gesehen. Kann es sein, dass Leute zu dir kommen von weither, weil sie bei dir Knöpfe bekommen, die es anderswo nicht gibt? – Das will ich doch hoffen, dass das so ist, meint er mürrisch und spricht dann voller Verachtung über die Standardware in anderen Läden: Wenn du auf Zauber aus bist und da hinkommst, dann denkst du, du bist in der Hölle.
Soll ich über Olegs Laden auch so schreiben, wie es sich beim Taschenladen abzeichnet? In Fortsetzungen, immer wieder im Vorbeigehen einen Eindruck mitnehmen, und so nach und nach ein Bild entstehen lassen? Soll ich über alle Läden so schreiben? Nicht ein Mal die Woche eine Geschichte über einen Laden, ein Mal die Woche ein Flanier-Tag, an dem ich so unterwegs bin, wie ich es heute war. Neue Idee. Schon ist die Stimmung besser. Und diesen wunderschönen Satz habe ich auch noch mit nach Hause gebracht: Wenn du auf Zauber aus bist und da hinkommst, dann denkst du, du bist in der Hölle.
Zurück in meiner Welt und in der hat niemand etwas zu fürchten außer mir. Knock, knock! – Who´s there? – Hunger! – Ganz so schlimm wird es nicht werden, aber … keine Einzelheiten. Jeder schlechte Tag hat sein Thema. Heute ist das Thema Ruin. Ein guter Tag, ein schlechter Tag. Bei der jungen Frau im Kaiser Kiosk ist es auch so: gestern ein guter Tag, heute nicht so gut. Und Serhat ist nicht da, er kommt erst in einer Stunde.
Matthias sieht so anders aus. So Rosig, so glatt, so entspannt. Wart ihr in Urlaub? Oder hast du dich neu verliebt in Anna? – Vergessen, was sie darauf gesagt hat. Er erzählt, dass er seit Anfang des Jahres keinen Alkohol mehr trinkt und wieder läuft, im Volkspark, dreimal die Woche. – Erstaunlich, wie verjüngt du bist. Und was ist mit der Malerei? – Die wollte er letztes Jahr aufgeben wegen Erfolglosigkeit und daran schien nichts mehr zu ändern zu sein. Jetzt sagt er: Das kommt als nächstes. – Dass er mit der Malerei wieder anfängt, so verstehe ich ihn. Gut!
Die sehr sympathische und auskunftsbereite Verkäuferin im Taschenladen ist nicht die gleiche wie die von letzter Woche. Sie hat gerade angefangen. Ihr erster Arbeitstag. – Und wie ist es? – Sie mag die vielen kleinen Sachen in dem Laden, sagt sie. – Den Krimskrams, wie ich sage, nicht abwertend gemeint. – Vieles, was es in dem Laden gibt, würde sie selbst gerne haben, sagt sie. Und ist das nicht die beste Voraussetzung, um in so einem Laden zu arbeiten? – Ich stimme ihr zu und frage, wie viele Kunden sie schon hatte. – Zwei. – 14. 15 Uhr. Da kann sich noch viel tun heute. Viel Erfolg und viel Spaß! – Der Chef ist kurz mal weggegangen. Kommt in einer Stunde wieder. Soll ich ihm was ausrichten? - Nein, es ist nicht dringend. Dann eben ein andermal.
Vorstellung, dass das immer so weiter geht: er ist jedes Mal gerade weggegangen, wenn ich komme. Bei den kurzen Gesprächen mit seinen Mitarbeiterinnen erfahre ich dann nach und nach alles über ihn und seinen Laden. Zum Beispiel weiß ich inzwischen, dass er ein gutes Gespür bei der Auswahl seiner Mitarbeiterinnen hat und jetzt schon, bei der zweiten, die ich kennenlerne, glaube ich Rückschlüsse darauf ziehen zu können, was er für einer ist, wenn er diesen Typus von Frauen beschäftigt. Ich werde schon über mehrere andere Läden geschrieben haben, da füge ich immer noch einen weiteren Eindruck zu dem Bild von seinem Laden hinzu und von ihm, den ich vielleicht nie kennen, aber mehr und mehr schätzen lernen werde. Geht auch schon los. Oleg vom Stoffladen gegenüber - Fichu - kennt ihn natürlich, redet aber seit acht Jahren nicht mehr mit ihm wegen eines Vorfalls, den es einmal gegeben hat auf einem Flohmarkt, auf dem sie beide einen Stand hatten. Oleg erzählt mir den Vorfall. Für mich eine Bubengeschichte. Der wollte dich doch nur foppen, das war doch nicht böse gemeint. Oleg grimmig: Dann bist du also auch so einer? So ein Sadist. – Das ist doch kein Sadismus. Das war doch nur Jux und Dollerei. Oleg unversöhnlich: Soll ich das mal mit dir so machen wie er und dir mein Knie in deine Kniekehle rammen? – Nein, heute bitte nicht.
Ich erzähle Oleg, dass ich jetzt jede Woche über einen Laden im Kiez schreiben will, der mir gefällt oder über den ich immer schon mal mehr wissen wollte. Dein Laden kommt auch irgendwann dran, sage ich. Nicht auszumachen, ob ihn das freut oder ob es ihm lieber wäre, in meinem Blog nicht vorzukommen. Immerhin weiß er von dem Blog. Er ist der erste Gesprächspartner im Kiez, der das zu erkennen gibt. Oleg. Heute war ich zum ersten Mal drinnen in seinem Laden und habe sein legendäres Knöpfesortiment gesehen. Kann es sein, dass Leute zu dir kommen von weither, weil sie bei dir Knöpfe bekommen, die es anderswo nicht gibt? – Das will ich doch hoffen, dass das so ist, meint er mürrisch und spricht dann voller Verachtung über die Standardware in anderen Läden: Wenn du auf Zauber aus bist und da hinkommst, dann denkst du, du bist in der Hölle.
Soll ich über Olegs Laden auch so schreiben, wie es sich beim Taschenladen abzeichnet? In Fortsetzungen, immer wieder im Vorbeigehen einen Eindruck mitnehmen, und so nach und nach ein Bild entstehen lassen? Soll ich über alle Läden so schreiben? Nicht ein Mal die Woche eine Geschichte über einen Laden, ein Mal die Woche ein Flanier-Tag, an dem ich so unterwegs bin, wie ich es heute war. Neue Idee. Schon ist die Stimmung besser. Und diesen wunderschönen Satz habe ich auch noch mit nach Hause gebracht: Wenn du auf Zauber aus bist und da hinkommst, dann denkst du, du bist in der Hölle.
Dienstag, 17. Mai 2011
Missverständnis
Hauptstraße, an der alten Mauer mit den Plakaten vorbei Richtung Postamt. Ein Paar kommt mir entgegen. Keine Erinnerung mehr, wie die ausgesehen und was die gerade gemacht haben. Nur, dass ich in dem Moment, als ich sie sah, gedacht habe, dass es sich zwischen Männern und Frauen fast immer um ein Missverständnis handelt, weil Frauen etwas anderes wollen als Männer. Wenn es einem Paar gelingt, das Missverständnis aufzuklären, dann werden sie zusammen bleiben und manchmal glücklich sein. Und wenn das Missverständnis weiter besteht, dann ist es so wie es meistens ist: jene Öde der Einsamkeit und der gegenseitigen Beschuldigungen. Noch bevor ich mich fragen kann, ob das stimmt (sicher ja, andererseits auch nicht, weil Verallgemeinerungen immer falsch sind, wenn man nur lange genug über sie nachdenkt), fällt mir der Fall Dominique Strauss-Kahn und das Missverständnis ein, das es zwischen ihm, Chef des Internationalen Währungsfonds und französischem Sozialistenführer, und der Frau aus Guinea gegeben haben mag, die mit ihrem Kind im New Yorker Stadtteil Bronx wohnt und als Zimmermädchen im Luxushotel Sofitel arbeitet, wo der Sozialistenführer in seiner Eigenschaft als Chef des IWF eine 3000 Dollar-Suite bewohnt hat und nackt aus dem Badezimmer kam, in der Absicht, das Zimmermädchen oral zu penetrieren. Wenn es zutrifft, was die 32jährige Frau ausgesagt hat über den Schreck, den ihr der in Frankreich kurz DSK genannte Mann mit seinem Nacktangriff eingejagt hat. Erste beweiskräftige Indizien deuten darauf hin, Gewissheit wird eine DNA-Analyse bringen. Ausgeschlossen wurde bereits die einfachste Form des Missverständnisses: dass der Vorfall sich nur in der Phantasie der Frau ereignet hat, weil DSK zur angegebenen Uhrzeit gar nicht im Hotel war, sondern mit seiner Tochter in einem Restaurant zu Mittag gegessen hat. Ich habe heute Vormittag im anderen Blog schon auf diesem Thema rumgeschrieben, weil ich fasziniert bin von dem Fall. Fasziniert war zunächst davon, dass ein Mann wie DSK so dummgeil sein kann, ein solches Risiko einzugehen, für einen erzwungenen F*** seine Karriere aufs Spiel zu setzen. Dabei bin ich zu der einzigen und zugleich sehr unschönen Erklärung gekommen, dass er es nicht als ein Risiko angesehen hat, weil die bisherigen Opfer seiner Nacktangriffe ihn in ähnlichen Situationen haben gewähren lassen – wegen der Bedeutung des Mannes – und Stillschweigen bewahrt haben - wegen der paar Geldscheine, die er ihnen danach vermutlich zugesteckt hat. In diesem Fall hätte das Missverständnis darin bestanden, dass DSK von der Frau aus Guinea das Gleiche erwartete, Die aber wusste entweder nichts von seiner Bedeutung und hat in ihm nur einen nackten grauhaarigen Mann mit Fett um Bauch und Hüften gesehen, der genau so gut ein Einbrecher hätte sein können, denn in ihrer – vielleicht naiven – Vorstellung machen das Bewohner von 3000 Dollar-Suiten nicht, Zimmermädchen von ihrer Arbeit abhalten, indem sie ihnen die Unterwäsche vom Leib reißen. Oder die Frau hat ohne Ansehen der Person eine fundamentale Abneigung gegen diese Art sexueller Annäherung, hat ihr Heimatland Guinea vielleicht auch deshalb in Richtung USA verlassen, weil sie es satt hatte, dort immer wieder Angriffen von aus dem Unterholz hervorbrechenden Kerlen ausgesetzt gewesen zu sein, und weil sie bereits Erfahrung mit solchen gewaltsamen Annäherungen hat, wusste sie sich des Angriffs von DSK erfolgreich zu erwehren. Wenn auch nicht sofort mit einem gezielten Tritt, sondern erst nach einem Kampf. Und das bringt mich auf ein weiteres mögliches Missverständnis und auf meine Lieblingsversion des Vorfalles. Es gibt bei den Sympathisanten von DSK die Vermutung, dass er in eine Falle getappt ist. Dass er Opfer einer Intrige des Sarkozy-Lagers wurde, das auf diese Art den aussichtsreichen Konkurrenten bei den französischen Präsidentenwahlen 2012 ausschalten wollte. Diese Version hat großen Unterhaltungswert, aber sie ist zu naheliegend, erkennbar daran, wie viele an sie glauben. Besser gefällt mir die Vorstellung, dass das Zimmermädchen nicht als Lockvogel, sondern in eigener Mission operiert hat. Aus meinem anderen Blog:
Sie hat zuvor gemerkt, dass er scharf auf sie ist, sie hat ihn nicht mal ermutigt, das hat ihn noch schärfer gemacht; sie brauchte nur im richtigen Moment ins Zimmer zu kommen, um sich zu wehren, als er ihr an die Wäsche ging, aber nicht mit aller Kraft, sie hat dafür gesorgt, dass es zu einem Gerangel kam, das genügend Spuren für die folgende Untersuchung hinterlassen hat. Als nächstes muss sie nun den richtigen Moment abpassen, um in Verhandlungen einzutreten mit der Frau von DSK, die nach New York gereist ist mit 1 Million Dollar für die Kaution. Beim Zimmermädchen sind die besser angelegt - dafür, dass sie ihre Anschuldigungen zurücknimmt oder abmildert. Womit sie es dann aber selbst mit der Justiz zu tun kriegen könnte wegen Falschaussage. Deshalb sollte sie besser den dummen geilen Mann seinem Schicksal überlassen und ihr Geld verdienen mit dem Verkauf der Exklusivrechte an ihrer Geschichte. Das reicht ihr, was sie dafür kriegt. - In dieser Version hätte es zwischen dem Sozialistenführer und dem Zimmermädchen nicht nur ein klassisches Missverständnis zwischen Mann und Frau gegeben (er hält sich für erotisch unwiderstehlich, ihr geht es nur ums Geld), es hätte zudem ein politisches Missverständnis gegeben: Er glaubte, es mit einer einfachen Frau aus dem Volk zu tun zu haben, von dem er als charismatischer Sozialistenführer weiß, dass es sich von Leuten wie ihm nach Belieben penetrieren lässt, sie hingegen glaubt nicht an Politik, sie will mit Politikern nichts zu tun haben, sie sucht einfach nur ihr Glück und ihren eigenen Vorteil, wo immer er sich ihr bietet.
Sie hat zuvor gemerkt, dass er scharf auf sie ist, sie hat ihn nicht mal ermutigt, das hat ihn noch schärfer gemacht; sie brauchte nur im richtigen Moment ins Zimmer zu kommen, um sich zu wehren, als er ihr an die Wäsche ging, aber nicht mit aller Kraft, sie hat dafür gesorgt, dass es zu einem Gerangel kam, das genügend Spuren für die folgende Untersuchung hinterlassen hat. Als nächstes muss sie nun den richtigen Moment abpassen, um in Verhandlungen einzutreten mit der Frau von DSK, die nach New York gereist ist mit 1 Million Dollar für die Kaution. Beim Zimmermädchen sind die besser angelegt - dafür, dass sie ihre Anschuldigungen zurücknimmt oder abmildert. Womit sie es dann aber selbst mit der Justiz zu tun kriegen könnte wegen Falschaussage. Deshalb sollte sie besser den dummen geilen Mann seinem Schicksal überlassen und ihr Geld verdienen mit dem Verkauf der Exklusivrechte an ihrer Geschichte. Das reicht ihr, was sie dafür kriegt. - In dieser Version hätte es zwischen dem Sozialistenführer und dem Zimmermädchen nicht nur ein klassisches Missverständnis zwischen Mann und Frau gegeben (er hält sich für erotisch unwiderstehlich, ihr geht es nur ums Geld), es hätte zudem ein politisches Missverständnis gegeben: Er glaubte, es mit einer einfachen Frau aus dem Volk zu tun zu haben, von dem er als charismatischer Sozialistenführer weiß, dass es sich von Leuten wie ihm nach Belieben penetrieren lässt, sie hingegen glaubt nicht an Politik, sie will mit Politikern nichts zu tun haben, sie sucht einfach nur ihr Glück und ihren eigenen Vorteil, wo immer er sich ihr bietet.
Montag, 16. Mai 2011
Bärbel
Womit rette ich mich heute? - Rechts oder geradeaus? Wo es zuerst Grün wird. Die Ampeln die Richtung bestimmen lassen. Geradeaus und dann links. Durch den Kleistpark. Ausgang Elßholzstraße. Vor der Sophie-Scholl-Gesamtschule der gut aussehende Fotograf, zwei Kameras über die Schultern gehängt mit wuchtigen Objektiven dran. Geht auf und ab. Wartet, dass er abgeholt wird? – Zwei Mädchen, zwölf Jahre alt, schätze ich, beide haben ihre langen blonden Haare zu einem dicken Zopf geflochten. Die größere nimmt den rechten Arm der anderen, hält ihn hoch und ruft in die Richtung, aus der ich komme: Gloria! – Statt mich umzudrehen und nach Gloria zu schauen, betrachte ich die schlaff herunter hängende Hand an dem hoch gehaltenen Mädchenarm. Ist sie gebrochen? Nein, aber um diese Hand geht es: Gloria! Bärbel hat ihm die Hand gegeben! ruft das größere Mädchen und lässt dann den Arm von Bärbel wieder los. Der Photograph mit den Kameras hat das auch mitgekriegt und lächelt, als ich an ihm vorbeigehe. - Lächelt er, weil ihm Bärbel die Hand gegeben hat. Hat er den Mädchen, dem größeren Mädchen, Bärbel und auch Gloria so gut gefallen, dass sie über ihn getuschelt haben? Und als Gloria weggegangen ist, da ist die kleine Bärbel mit dem langen blonden Zopf und dem blassen Gesicht zu ihm hingegangen und hat ihm die Hand gegeben, er hat sie genommen, sie hat darauf gekichert und verwunderlich ist nur, dass der Fotograf den Mädchen so gut gefallen hat. Denn für sein Alter, Mitte 30, ist er schon ganz schön feist.
Phantasie und Recherche
Siedlung in schönster Hanglage. Hinter dem imposanten Stadion von Rio de Janeiro, dem Maracanã-Stadion. in dem 2014 bei der Fußballweltmeisterschaft das Endspiel ausgetragen wird, und 2016 wird es das Olympiastadion sein. Als Kulisse des Stadions sieht die Siedlung am Hang sehr malerisch aus. Es ist von dort aus nicht zu erkennen, dass sie ein Elendsquartier ist. Favela. Bis zum Herbst letzten Jahres herrschte hier eine Bande von Drogendealern. Amigos dos Amigos. Berüchtigt für ihre Grausamkeit. Die Exekutionen von Verrätern und Rivalen fanden auf einem Fußballplatz statt. Er ist immer noch übersät mit verkohlten Gummistücken. Resten von Autoreifen, die Mitglieder der Bande ihren Opfern umlegten, sie mit Benzin füllten und anzündeten. Dicker schwarzer Rauch stieg dann auf über der Siedlung und die Schreie der Mordopfer waren bis in die am Fuß des Hügels gelegene Schule zu hören, wo sich die Schüler die Ohren zuhielten, um sich ungestört auf die Fußball-WM und die Olympischen Spiele freuen zu können.
Dass sich die Schüler auf die WM und die Olympischen Spiele freuen, während sie sich die Ohren zuhalten, das habe ich mir ausgedacht. Dass das Geschrei der in den brennenden Autoreifen steckenden Opfer von Amigos dos Amigos bis in die Klassenzimmer dringt, das steht in einer Reportage über die Olympiastadt Rio de Janeiro. Das hat der Autor der Reportage, der US-Amerikaner Wright Thompson, gesehen, wie sich die Schüler die Ohren zuhalten, oder jemand, der es gesehen hat, hat es ihm erzählt, oder er hat das in einer brasilianischen Illustrierten gelesen oder er hat es sich ausgedacht in der Absicht, die Phantasie seiner Leser anzuregen, damit sie sich vorstellen, wie schrecklich die Schmerzensschreie gewesen sein müssen und unter welchen Qualen die Opfer gestorben sind. Bei mir hat das nicht funktioniert, weil meine Phantasie nicht darauf aus ist, sich Details von Grausamkeiten vorzustellen. Deshalb hat sie sich in den Sarkasmus geflüchtet, dass die Studenten an die kommenden Sportereignisse denken, während sie sich die Ohren zuhalten. Daran wie die brasilianische Nationalelf triumphiert beim WM-Finale in Rio oder wie die Jugend der Welt, sich im Rhythmus von 100.000 Samba-Trommeln wiegend, einmarschiert ins Stadion zur Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele, die an Buntheit alles überbietet, was die Welt je gesehen hat. Während zur gleichen Zeit in Macacos, so heißt die Favela in der schönen Hanglage, die Menschen sich auf die Rückkehr der Amigos dos Amigos vorbereiten. Denn sobald die Olympischen Spiele beendet und die ausländischen Gäste abgereist sind, wird sich die Polizei aus Macacos zurückziehen und das Feld wieder den Drogendealern überlassen. Davon sind die Einwohner von Macacos überzeugt, dass es so kommen wird. Deshalb können sie die vorolympische Ruhe in ihrer Siedlung nicht genießen. Denn die Augen und Ohren von Amigos Dos Amigos sind weiterhin überall. Das ist der Kern der Geschichte, die der Autor der Reportage erzählt. Und das ist es, was seine Gesprächspartner in Macacos ihm erzählt haben. Wenn er dort war. Wenn er sich dort hin getraut hat. Wenn er das nicht nur gelesen hat und gesehen hat in brasilianischen Illustrierten und im brasilianischen Fernsehen, während er in seinem Hotelzimmer saß und es ihn gegraust hat.
Der Titel der Reportage ist Deadly Games, erschienen im Sportmagazin ESPN, und ich gebe zu, dass meine Phantasie mit mir durchgegangen ist. Denn es ist undenkbar, dass ein Reporter eines so renommierten US-amerikanischen Magazins es sich unterstehen würde, mit einer solchen Hotelzimmer-Recherche nach Hause zu kommen. Womit ich anspiele auf den Fall des Spiegel-Journalisten René Pfister und seiner Reportage Am Stellpult. Ausgezeichnet mit dem Henri-Nannen-Preis, den die Jury dem Autor wieder aberkannt hat, nachdem er frohgemut enthüllt hatte, die Modelleisenbahn Horst Seehofers, die er im szenischen Einstieg seines Textes beschreibt, nie mit eigenen Augen gesehen zu haben. Seine Eindrücke hatte er einem Bericht der Zeitschrift BUNTE entnommen. Wahrscheinlich im Wartezimmer seines Zahmarztes gelesen. Spiegel-Journalist. Der Spiegel. Das Hamburger Nachrichtenmagazin.
Feedback
Bei Oghuzan gewesen und Zigaretten gekauft; vor allem aber hat mich interessiert, ob er meinen Text von gestern gelesen hat. Wenn, dann wusste er es geschickt vor mir zu verbergen. Er hat auch gerade andere Sorgen. Der Hamburger hat nämlich Geschenkgutscheine für die Theaterkasse verkauft, die er neben dem Lotto- und Tabakwarengeschäft betrieben hat. Jetzt kommen die Beschenkten in den Laden, wollen sie einlösen, kriegen mit, dass es die Theaterkasse nicht mehr gibt, und wollen das Geld für die Gutscheine ausgezahlt bekommen. Oguzhan hat das Geld aber nicht, nie gehabt. Er ist zwar der Nachfolger des Hamburgers im Laden, aber nicht sein rechtlicher Nachfolger. Was für die Leute mit den Geschenkgutscheinen natürlich nur schwer zu begreifen ist. – Sag ihnen doch, dass der Hamburger ihr Geld mit ins Grab genommen hat. Und sie sollen sich an seine Witwen und Waisen halten. – Oguzhan verdreht die Augen: Sag ich ihnen ja. Aber dann wollen sie die Telefonnummer und Adresse haben und die habe ich nicht. – Anschließend zum Taschenladen. Obwohl mir nicht danach ist, will ich nach dem Besitzer schauen, ihm sagen, dass ich gerne mal mit ihm reden würde, aber auch bei ihm interessiert mich vor allem, ob er gelesen hat, was ich über ihn geschrieben habe, und wie er darauf reagiert. Als ich hinkomme, ist der Rollladen vor der Tür runtergelassen. Am Montagnachmittag um 15.10 Uhr. Sonderbar. Das hat bestimmt – nichts mit mir zu tun.
Phantasie und Recherche
Siedlung in schönster Hanglage. Hinter dem imposanten Stadion von Rio de Janeiro, dem Maracanã-Stadion. in dem 2014 bei der Fußballweltmeisterschaft das Endspiel ausgetragen wird, und 2016 wird es das Olympiastadion sein. Als Kulisse des Stadions sieht die Siedlung am Hang sehr malerisch aus. Es ist von dort aus nicht zu erkennen, dass sie ein Elendsquartier ist. Favela. Bis zum Herbst letzten Jahres herrschte hier eine Bande von Drogendealern. Amigos dos Amigos. Berüchtigt für ihre Grausamkeit. Die Exekutionen von Verrätern und Rivalen fanden auf einem Fußballplatz statt. Er ist immer noch übersät mit verkohlten Gummistücken. Resten von Autoreifen, die Mitglieder der Bande ihren Opfern umlegten, sie mit Benzin füllten und anzündeten. Dicker schwarzer Rauch stieg dann auf über der Siedlung und die Schreie der Mordopfer waren bis in die am Fuß des Hügels gelegene Schule zu hören, wo sich die Schüler die Ohren zuhielten, um sich ungestört auf die Fußball-WM und die Olympischen Spiele freuen zu können.
Dass sich die Schüler auf die WM und die Olympischen Spiele freuen, während sie sich die Ohren zuhalten, das habe ich mir ausgedacht. Dass das Geschrei der in den brennenden Autoreifen steckenden Opfer von Amigos dos Amigos bis in die Klassenzimmer dringt, das steht in einer Reportage über die Olympiastadt Rio de Janeiro. Das hat der Autor der Reportage, der US-Amerikaner Wright Thompson, gesehen, wie sich die Schüler die Ohren zuhalten, oder jemand, der es gesehen hat, hat es ihm erzählt, oder er hat das in einer brasilianischen Illustrierten gelesen oder er hat es sich ausgedacht in der Absicht, die Phantasie seiner Leser anzuregen, damit sie sich vorstellen, wie schrecklich die Schmerzensschreie gewesen sein müssen und unter welchen Qualen die Opfer gestorben sind. Bei mir hat das nicht funktioniert, weil meine Phantasie nicht darauf aus ist, sich Details von Grausamkeiten vorzustellen. Deshalb hat sie sich in den Sarkasmus geflüchtet, dass die Studenten an die kommenden Sportereignisse denken, während sie sich die Ohren zuhalten. Daran wie die brasilianische Nationalelf triumphiert beim WM-Finale in Rio oder wie die Jugend der Welt, sich im Rhythmus von 100.000 Samba-Trommeln wiegend, einmarschiert ins Stadion zur Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele, die an Buntheit alles überbietet, was die Welt je gesehen hat. Während zur gleichen Zeit in Macacos, so heißt die Favela in der schönen Hanglage, die Menschen sich auf die Rückkehr der Amigos dos Amigos vorbereiten. Denn sobald die Olympischen Spiele beendet und die ausländischen Gäste abgereist sind, wird sich die Polizei aus Macacos zurückziehen und das Feld wieder den Drogendealern überlassen. Davon sind die Einwohner von Macacos überzeugt, dass es so kommen wird. Deshalb können sie die vorolympische Ruhe in ihrer Siedlung nicht genießen. Denn die Augen und Ohren von Amigos Dos Amigos sind weiterhin überall. Das ist der Kern der Geschichte, die der Autor der Reportage erzählt. Und das ist es, was seine Gesprächspartner in Macacos ihm erzählt haben. Wenn er dort war. Wenn er sich dort hin getraut hat. Wenn er das nicht nur gelesen hat und gesehen hat in brasilianischen Illustrierten und im brasilianischen Fernsehen, während er in seinem Hotelzimmer saß und es ihn gegraust hat.
Der Titel der Reportage ist Deadly Games, erschienen im Sportmagazin ESPN, und ich gebe zu, dass meine Phantasie mit mir durchgegangen ist. Denn es ist undenkbar, dass ein Reporter eines so renommierten US-amerikanischen Magazins es sich unterstehen würde, mit einer solchen Hotelzimmer-Recherche nach Hause zu kommen. Womit ich anspiele auf den Fall des Spiegel-Journalisten René Pfister und seiner Reportage Am Stellpult. Ausgezeichnet mit dem Henri-Nannen-Preis, den die Jury dem Autor wieder aberkannt hat, nachdem er frohgemut enthüllt hatte, die Modelleisenbahn Horst Seehofers, die er im szenischen Einstieg seines Textes beschreibt, nie mit eigenen Augen gesehen zu haben. Seine Eindrücke hatte er einem Bericht der Zeitschrift BUNTE entnommen. Wahrscheinlich im Wartezimmer seines Zahmarztes gelesen. Spiegel-Journalist. Der Spiegel. Das Hamburger Nachrichtenmagazin.
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Bei Oghuzan gewesen und Zigaretten gekauft; vor allem aber hat mich interessiert, ob er meinen Text von gestern gelesen hat. Wenn, dann wusste er es geschickt vor mir zu verbergen. Er hat auch gerade andere Sorgen. Der Hamburger hat nämlich Geschenkgutscheine für die Theaterkasse verkauft, die er neben dem Lotto- und Tabakwarengeschäft betrieben hat. Jetzt kommen die Beschenkten in den Laden, wollen sie einlösen, kriegen mit, dass es die Theaterkasse nicht mehr gibt, und wollen das Geld für die Gutscheine ausgezahlt bekommen. Oguzhan hat das Geld aber nicht, nie gehabt. Er ist zwar der Nachfolger des Hamburgers im Laden, aber nicht sein rechtlicher Nachfolger. Was für die Leute mit den Geschenkgutscheinen natürlich nur schwer zu begreifen ist. – Sag ihnen doch, dass der Hamburger ihr Geld mit ins Grab genommen hat. Und sie sollen sich an seine Witwen und Waisen halten. – Oguzhan verdreht die Augen: Sag ich ihnen ja. Aber dann wollen sie die Telefonnummer und Adresse haben und die habe ich nicht. – Anschließend zum Taschenladen. Obwohl mir nicht danach ist, will ich nach dem Besitzer schauen, ihm sagen, dass ich gerne mal mit ihm reden würde, aber auch bei ihm interessiert mich vor allem, ob er gelesen hat, was ich über ihn geschrieben habe, und wie er darauf reagiert. Als ich hinkomme, ist der Rollladen vor der Tür runtergelassen. Am Montagnachmittag um 15.10 Uhr. Sonderbar. Das hat bestimmt – nichts mit mir zu tun.
Sonntag, 15. Mai 2011
Akazienstraße 2
Links die Kneipe, der Felsenkeller, rechts der Lotto-, Tabakwaren- und Zeitungsladen. Den hat der Hamburger ein halbes Jahr vor seinem Tod an die Leute verkauft, die in der Hauptstraße Kaiser Kiosk machen: 24 Stunden für Sie geöffnet, 25 Stunden für Sie da. Wenn man da Kunde ist, weiß man, es ist was dran an diesem Spruch. Denn sie sind selbst für türkische Verhältnisse unwahrscheinlich freundlich: Serhat (25), deutsche Mama, türkischer Papa, Oguzhan (21) und ihre Mitarbeiterin, die Frau mit dem Kopftuch, die ich noch nicht nach ihrem Namen gefragt habe, von der ich nur weiß, dass sie so alt ist wie Oguzhan. Was ich allerdings weiß: wie viel sie dem Hamburger bezahlt haben für seinen Laden. Ich habe Erhat damals versprochen, es nicht weiterzusagen, daher nur, wie ich mich rangefragt habe, um es rauszukriegen: Mehr als 50.000? – Ja. – Mehr als 100.000? – Nein. – Auf Wunsch des Hamburgers haben ihn die neuen Besitzer den Laden noch bis Jahresende weiterführen lassen, danach wollten sie die Räumlichkeiten umbauen, haben sie dann doch nicht gemacht, Anfang April haben sie eröffnet. Wände grün gestrichen. Neue Theke. Völlig anderer Eindruck. Heller. Frischer. Ganz andere Welt. Ganz anderer Umgang als mit dem Hamburger sowieso.
Am Freitag will ich gerade reingehen in den Laden, um Zigaretten zu kaufen, da sehe ich Michaela, die eben ihr Fahrrad abstellt. 15.30 Uhr. In einer halben Stunde wird sie ihre Kneipe öffnen. Im Felsenkeller war ich mal Stammgast, weil es dort das bestgezapfte Bier im weiten Umkreis gibt. Und Michaela ist eine von drei Personen gewesen, mit denen ich es gerne zu tun hatte, während ich das Bier trank. Jetzt frage ich sie, wie es sich anlässt mit ihren neuen Nachbarn. Ich habe keinen Zweifel daran, dass sie sagen wird, gut. Ich habe die Frage nur gestellt, um mit ihr ins Gespräch zu kommen über die Jungs, weil ich die mag und mehr über sie erfahren möchte. Werde ich auch gleich. Aber anders als erwartet. Die Jungs seien ganz in Ordnung, aber dann gebe es noch die Onkel. – Die Onkel? – Ihre Geldgeber im Hintergrund. Und mit denen liegen sie und ihr Mann Günter im Streit. Oder ist es nur der eine Onkel? Der, mit dem sie sich so gefetzt hat, dass schon viel passieren muss, dass es wieder gut wird, wie sie meint.
Es geht um die Tische und Stühle, die Günter und Michaela in der schönen Jahreszeit auf den Bürgersteig stellen. Zwei Tische direkt vor die Kneipe. Zwei Tische vor den Laden nebenan. Das war mit dem Hamburger so abgesprochen. Den hat der Kneipenbetrieb vor seiner Tür nie gestört. Allerdings hat er seinen Laden auch schon um 18.30 Uhr zugemacht, wenn der Kneipenbetrieb erst richtig los ging. Während die neuen Besitzer bis 22 Uhr geöffnet haben. Das wahrscheinlich der Grund, warum sie nicht wollen, dass Michaela und Günter weiterhin ihre Tische und Stühle vor ihren Laden stellen. Von dem Onkel, mit dem Michaela sich gefetzt hat, wurde als ein weiterer Grund genannt, dass ihre Gäste Proleten seien. Und da darf man sich nicht wundern, wenn Michaela sich im Gegenzug über Kopftuchmädchen lustig macht, die sich nicht in den Laden trauen, wenn sie an den Alkohol trinkenden Gästen des Felsenkellers vorbeigehen müssen. Außerdem, so Michael, vergessen die Onkel ganz, welchen Umsatz die Alkohol trinkenden Proleten des Felsenkellers ihnen bringen - mit den Rauchwaren, die sie bei ihnen kaufen, und den Lotto-Tippzetteln, die sie bei ihnen abgeben, wenn ihnen nach dem dritten Pils plötzlich einfällt, dass schon wieder Freitag ist. – Kannst du den Tisch, der vor dem Laden stand, denn nicht an den Straßenrand stellen, frage ich. - Michaela: Es waren zwei Tische. Und wenn ich die an den Straßenrand stelle, kriege ich es sofort mit dem Ordnungsamt zu tun, weil: Streng verboten! Und dass ihr dadurch im Sommer das Geschäft kaputt gemacht wird, weil ihr die Hälfte des Umsatzes verloren geht, das interessiert die Leute vom Ordnungsamt ebenso wenig wie die Onkel von nebenan. – Was willst du jetzt machen? – Mal mit den Vermietern reden. Und wenn es dabei bleibt, dann eben aufhören. – Och, Michaela, wie oft hast du das schon gesagt? – Ich mache den Felsenkeller jetzt seit 18 Jahren. Wenn wir jemanden finden, der ihn uns zu einem guten Preis abkauft, sofort. – Vielleicht die Onkel? Diesen Kalauer habe ich ihr erspart und mir vorgenommen, mit den Jungs zu reden, eventuell auch mit den Onkeln im Hintergrund. Hören, was die sagen. Vielleicht vermitteln, indem ich über den Konflikt schreibe.
Doch wie es aussieht, ist da nichts zu vermitteln. Und nicht etwa, weil die Fronten so verhärtet sind. Das sind sie außerdem noch. Aber offenbar nur zwischen Michaela und dem Onkel, mit dem sie sich gestritten hat. Serhat hingegen weiß erst gar nicht, wovon ich rede, als ich ihn heute Nachmittag auf den Fall anspreche. – Mit den Nachbarn ist alles gut, sagt er. – Und das mit den Tischen? – Ach das. Das ist doch kein Fall. Und das ist auch kein Konflikt für Serhat. Das ist eine ganz klare Sache. Als sie den Laden übernommen haben, wussten sie von dem Gewohnheitsrecht des Felsenkellers mit den zwei Tischen. Hatten auch nichts dagegen. Haben es eine Woche lang zugelassen, dass die Tische vor ihrem Laden standen. Aber dann gab es Beschwerden von Kunden. – Warum? – Will er nicht darauf eingehen. Ist auch nicht entscheidend, sagt er. Was für ihn zählt ist die Woche darauf, als die zwei Tische nicht mehr vor ihrem Laden standen und sie spürbar mehr Geschäft hatten. Nicht ein bisschen mehr Geschäft, deutlich mehr. – Oh ja! sagt Oguzhan, der gerade dazu kommt und mich forschend anschaut, weil er sich fragt, auf welcher Seite ich stehe. - Weiß ich noch nicht. Jeder tritt für seine Interessen ein, sagt Serhat und fragt mich dann, wie ich mich verhalten würde, wenn ich ein Geschäft hätte. Ich antworte, dass ich auch für meine Interessen eintreten, mich aber auch um gute nachbarschaftliche Beziehungen bemühen würde. – Klar, sagt Serhat. So machen sie es auch. – Ich frage dann noch nach den Onkeln und will auf die Bemerkung über die Proleten zu sprechen kommen, doch darauf lässt er sich nicht ein. Eine Woche mit Tischen. Zweite Woche ohne Tische. Umsatz in der einen Woche. Umsatz in der zweiten Woche. Darum geht es, sagt er. Um nichts anderes. Geschäft, Umsatz. Das, worum es Michaela und Günter aus dem Felsenkeller auch geht.
Am Freitag will ich gerade reingehen in den Laden, um Zigaretten zu kaufen, da sehe ich Michaela, die eben ihr Fahrrad abstellt. 15.30 Uhr. In einer halben Stunde wird sie ihre Kneipe öffnen. Im Felsenkeller war ich mal Stammgast, weil es dort das bestgezapfte Bier im weiten Umkreis gibt. Und Michaela ist eine von drei Personen gewesen, mit denen ich es gerne zu tun hatte, während ich das Bier trank. Jetzt frage ich sie, wie es sich anlässt mit ihren neuen Nachbarn. Ich habe keinen Zweifel daran, dass sie sagen wird, gut. Ich habe die Frage nur gestellt, um mit ihr ins Gespräch zu kommen über die Jungs, weil ich die mag und mehr über sie erfahren möchte. Werde ich auch gleich. Aber anders als erwartet. Die Jungs seien ganz in Ordnung, aber dann gebe es noch die Onkel. – Die Onkel? – Ihre Geldgeber im Hintergrund. Und mit denen liegen sie und ihr Mann Günter im Streit. Oder ist es nur der eine Onkel? Der, mit dem sie sich so gefetzt hat, dass schon viel passieren muss, dass es wieder gut wird, wie sie meint.
Es geht um die Tische und Stühle, die Günter und Michaela in der schönen Jahreszeit auf den Bürgersteig stellen. Zwei Tische direkt vor die Kneipe. Zwei Tische vor den Laden nebenan. Das war mit dem Hamburger so abgesprochen. Den hat der Kneipenbetrieb vor seiner Tür nie gestört. Allerdings hat er seinen Laden auch schon um 18.30 Uhr zugemacht, wenn der Kneipenbetrieb erst richtig los ging. Während die neuen Besitzer bis 22 Uhr geöffnet haben. Das wahrscheinlich der Grund, warum sie nicht wollen, dass Michaela und Günter weiterhin ihre Tische und Stühle vor ihren Laden stellen. Von dem Onkel, mit dem Michaela sich gefetzt hat, wurde als ein weiterer Grund genannt, dass ihre Gäste Proleten seien. Und da darf man sich nicht wundern, wenn Michaela sich im Gegenzug über Kopftuchmädchen lustig macht, die sich nicht in den Laden trauen, wenn sie an den Alkohol trinkenden Gästen des Felsenkellers vorbeigehen müssen. Außerdem, so Michael, vergessen die Onkel ganz, welchen Umsatz die Alkohol trinkenden Proleten des Felsenkellers ihnen bringen - mit den Rauchwaren, die sie bei ihnen kaufen, und den Lotto-Tippzetteln, die sie bei ihnen abgeben, wenn ihnen nach dem dritten Pils plötzlich einfällt, dass schon wieder Freitag ist. – Kannst du den Tisch, der vor dem Laden stand, denn nicht an den Straßenrand stellen, frage ich. - Michaela: Es waren zwei Tische. Und wenn ich die an den Straßenrand stelle, kriege ich es sofort mit dem Ordnungsamt zu tun, weil: Streng verboten! Und dass ihr dadurch im Sommer das Geschäft kaputt gemacht wird, weil ihr die Hälfte des Umsatzes verloren geht, das interessiert die Leute vom Ordnungsamt ebenso wenig wie die Onkel von nebenan. – Was willst du jetzt machen? – Mal mit den Vermietern reden. Und wenn es dabei bleibt, dann eben aufhören. – Och, Michaela, wie oft hast du das schon gesagt? – Ich mache den Felsenkeller jetzt seit 18 Jahren. Wenn wir jemanden finden, der ihn uns zu einem guten Preis abkauft, sofort. – Vielleicht die Onkel? Diesen Kalauer habe ich ihr erspart und mir vorgenommen, mit den Jungs zu reden, eventuell auch mit den Onkeln im Hintergrund. Hören, was die sagen. Vielleicht vermitteln, indem ich über den Konflikt schreibe.
Doch wie es aussieht, ist da nichts zu vermitteln. Und nicht etwa, weil die Fronten so verhärtet sind. Das sind sie außerdem noch. Aber offenbar nur zwischen Michaela und dem Onkel, mit dem sie sich gestritten hat. Serhat hingegen weiß erst gar nicht, wovon ich rede, als ich ihn heute Nachmittag auf den Fall anspreche. – Mit den Nachbarn ist alles gut, sagt er. – Und das mit den Tischen? – Ach das. Das ist doch kein Fall. Und das ist auch kein Konflikt für Serhat. Das ist eine ganz klare Sache. Als sie den Laden übernommen haben, wussten sie von dem Gewohnheitsrecht des Felsenkellers mit den zwei Tischen. Hatten auch nichts dagegen. Haben es eine Woche lang zugelassen, dass die Tische vor ihrem Laden standen. Aber dann gab es Beschwerden von Kunden. – Warum? – Will er nicht darauf eingehen. Ist auch nicht entscheidend, sagt er. Was für ihn zählt ist die Woche darauf, als die zwei Tische nicht mehr vor ihrem Laden standen und sie spürbar mehr Geschäft hatten. Nicht ein bisschen mehr Geschäft, deutlich mehr. – Oh ja! sagt Oguzhan, der gerade dazu kommt und mich forschend anschaut, weil er sich fragt, auf welcher Seite ich stehe. - Weiß ich noch nicht. Jeder tritt für seine Interessen ein, sagt Serhat und fragt mich dann, wie ich mich verhalten würde, wenn ich ein Geschäft hätte. Ich antworte, dass ich auch für meine Interessen eintreten, mich aber auch um gute nachbarschaftliche Beziehungen bemühen würde. – Klar, sagt Serhat. So machen sie es auch. – Ich frage dann noch nach den Onkeln und will auf die Bemerkung über die Proleten zu sprechen kommen, doch darauf lässt er sich nicht ein. Eine Woche mit Tischen. Zweite Woche ohne Tische. Umsatz in der einen Woche. Umsatz in der zweiten Woche. Darum geht es, sagt er. Um nichts anderes. Geschäft, Umsatz. Das, worum es Michaela und Günter aus dem Felsenkeller auch geht.
Samstag, 14. Mai 2011
Gesellschaftsleben
Konversation mit dem Unglück. Wochenrückblick. Anschließend raus und der Erste, den ich treffe, ist Amadeus. Wir freuen uns, dass wir uns mal wieder sehen, bemerken jedoch bald, dass wir uns nichts zu sagen haben. Ich spreche es aus und erkläre es mir bei ihm so, dass er gerade erst aufgestanden ist, nach fast 12 Stunden Schlaf, wie er erzählt, seit langem mal wieder richtig ausgeschlafen. Und so sieht er auch aus. Wie ein kleiner Junge sieht er aus hinter seinem Dreitagebart. – Hast du den eigentlich immer schon gehabt? – Ja. - Mir fällt wirklich nichts ein, was ich ihn fragen könnte. Zum soundsovielten Mal frage ich ihn deshalb, was für ein Jahrgang er ist. – 1950. – Und du bildest immer noch Nachwuchs für die Gastronomie aus? – Ja. – Und die Kinder? – Die Tochter macht gerade ihr Diplom. – In was? - In Biologie. Und der Sohn macht Garten- und Landschaftsbau und hat eine hübsche kleine Wohnung in Zehlendorf. – Hat er denn auch eine kleine hübsche Frau? – Nein, das kommt noch. – Wie alt? – 28. – Da wird es aber Zeit, sage ich nicht. Und: Zehlendorf? Was macht dein Sohn in Zehlendorf? das frage ich auch nicht. – Amadeus fragt, wie es mir geht. Das habe ich zuvor schon ausführlich mit dem Unglück besprochen. Das ist einer der Gründe, warum ich jetzt nichts zu sagen habe. Bemühen Sie sich nicht, ich bespreche das mit meinem Unglück. – Amadeus muss jetzt einkaufen gehen. Das tut er nicht gerne. Ich schon. – Du kaufst auch für dich alleine ein, sagt er. – Während du einen Einkaufszettel in die Tasche gesteckt gekriegt hast? – Ja. – Mit den Wünschen seiner Frau, der Isolde, denke ich mir und sage nicht, dass ich auch dann noch gerne einkaufen würde, wenn ich einen Einkaufszettel in der Tasche hätte von einer Isolde. Ich umschreibe es stattdessen mit einer meiner ältesten Schoten: Einkaufen ist meine Art von Gesellschaftsleben. Und weil ich so verbittert bin, füge ich hinzu: Es ist die einzige Art von Gesellschaftsleben, die ich habe. Und für das muss ich bezahlen. – Mehr Gesellschaftsleben kann ich mir nicht leisten, weil dafür mein Geld nicht reicht, hätte ich noch sagen können. Aber so verbittert bin ich nun doch nicht, dass ich das sage. Obwohl es so ist. - Konversation mit dem Unglück:
Nomade
Keine Lust, jetzt auch noch die zwei gestern in DiB geposteten Texte durchzusehen. Hatte schon genug zu tun mit den beiden BzB-Texten. Bei Entwarnung fehlte der erste Absatz (Peters Knubbel-Befund). Nachdem gestern die Störung auf Blogger behoben war, fehlte zuerst sogar der gesamte Text; war nicht mal mehr als Entwurf im Dashboard vorhanden, während der bereits am Mittwoch veröffentlichte Geschnitten-Text auf Entwurf zurückgesetzt war. Nebeneffekt der Text-Wiederherstellung: mir wird deutlich, wie schlecht das Zeug ist, ungelenk, umständlich, zu ausführlich. Wen interessiert das, wer soll sich da durchquälen durch dieses unbeholfen formulierte Zeug, wenn ich selbst schon das Durchsehen der Texte als eine Qual empfinde? – Es liegt am Sujet. Es liegt daran, dass ich das nur schreibe für mich, protokolliere meine soziopathischen Verwicklungen, nur aus einem Grund: weil es sie gibt. Immerhin habe ich damit einen Selbsttherapie-Erfolg erzielt im Laufe der Woche. Der Erfolg war die Lektion über das Nein. Aber scheußlich sind die Texte trotzdem und scheußlich ist, dass ich nichts anderes erlebe als das. Liegt es wirklich nur an mir oder bin ich nur am falschen Ort? Müsste ich einfach nur sagen, ich komme mit den Leuten hier nicht zurecht. Die können mit mir nichts anfangen, ich nichts mit denen. - Also? - Gehe ich woanders hin – und erlebe dort genau das Gleiche. Dann liegt es an mir. Oder ich mache andere Erfahrungen. Dann hat es am Ort gelegen. Ort ist Schöneberg, Zentral-Schöneberg. Sujet ist, womit ich es hier zu tun habe. Ablehnung, Befremden und im besten, im schönsten Fall, wenn es einmal mit Zauber ist, dann ist es so was von verwirrend, dass ich daraus nicht schlau werde und nichts anfangen kann damit. Das auch mal sehen, dass da nicht nur meine Wünsche nicht in Erfüllung gingen, weil es gerade nicht passte oder ich mir sowieso zu viel gewünscht habe, sondern dass ich nichts anfangen konnte damit, wie sie sich aufgeführt hat. Sie. Und auf sie komme ich jetzt nicht schon wieder, weil sie immer im Spiel ist, weil ich immer an sie denke. Auf sie komme ich jetzt, weil das mit ihr auch ein Fall von Soziopathie ist. Der einfachste Umgang zweier Menschen miteinander nicht möglich. Und damit meine ich nicht: Sie gehen mir nicht aus dem Sinn, seit sie mir da und da aufgefallen sind und dies und das gesagt haben. Damit meine ich: Hallo! Lange nicht gesehen. Wo gehen Sie denn jetzt schwimmen? Und kann es sein, dass ich Sie in der Dachwohnung gegenüber meiner Wohnung gesehen habe? Wohnen Sie da oder sind Sie da nur manchmal zu Besuch.– So, und dann wird daraus ein Gespräch und aus dem Sie ein Du oder es ist ihr lieber, wenn es beim Sie bleibt, weil sie mit meiner Art nichts anfangen kann. So wie der Sannyasin aus dem Zeitungsladen nichts mit meiner Art anfangen kann. Und das hat er mir klar gemacht, indem er mir gezeigt hat, dass er mein Duzen als eine Zumutung empfand. Was ich als einen Krampf beschrieben habe, das war tatsächlich das Zurückweisen einer Zumutung. Zumutung des Duzens stellvertretend für die Zumutung, als die er mich empfindet in meiner Art, die nicht die seine ist. Was ich bedauern kann und dann denken, wie klein und eng sind die Köpfe und die Verhältnisse, wo sie einen nur annehmen, wenn man so ist wie sie; wenn man konform ist mit ihrem Common Sense überassimilierter Provinzler, Leuten aus Dörfern und Kleinstädten, die denken, so müsse es sein, wenn man in einer Großstadt lebt. Aber da bin ich schon mittendrin in der Soziopathie, in dem Fall in meiner Soziopathie. Bestehend darin, dass ich mich verkralle in etwas, von dem ich längst hätte erkennen müssen, es geht nicht, und deshalb ziehe ich weiter irgendwohin, wo es geht, und wenn da auch nicht, dann wieder weiter, und werde dabei zum Nomaden, wenn es nirgendwo geht. Aber mache mich doch nicht krampfhaft gemein mit Leuten, die mich nicht wollen so wie ich bin. Also ist der Krampf mein Krampf so wie die Soziopathie meine Soziopathie ist. Alle sind in Ordnung und ich bin es auch, ich muss nur weiterziehen. Oder bleiben in der Rolle des Fremden. Den Einheimischen zuschauen, sie befragen zu ihren seltsamen Gebräuchen und Spaß daran haben. Wenn nicht mit ihnen lachen, dann eben über sie. - Aber warum denn bleiben? fragt das Unglück. Bin ich dir denn immer noch nicht groß genug? – Da weiß ich erst auch nicht, was ich sagen soll. Murmele: Wegen der Häuser und der Straßen? Merke, dass das nicht einmal ein Kalauer ist und dann sage ich: Weil ich noch nicht alles weiß. Weil ich noch nicht alles gesehen habe. Weil ich hier nicht weggehe, bevor ich gelacht habe. Und wohin soll ich denn gehen?
Nomade
Keine Lust, jetzt auch noch die zwei gestern in DiB geposteten Texte durchzusehen. Hatte schon genug zu tun mit den beiden BzB-Texten. Bei Entwarnung fehlte der erste Absatz (Peters Knubbel-Befund). Nachdem gestern die Störung auf Blogger behoben war, fehlte zuerst sogar der gesamte Text; war nicht mal mehr als Entwurf im Dashboard vorhanden, während der bereits am Mittwoch veröffentlichte Geschnitten-Text auf Entwurf zurückgesetzt war. Nebeneffekt der Text-Wiederherstellung: mir wird deutlich, wie schlecht das Zeug ist, ungelenk, umständlich, zu ausführlich. Wen interessiert das, wer soll sich da durchquälen durch dieses unbeholfen formulierte Zeug, wenn ich selbst schon das Durchsehen der Texte als eine Qual empfinde? – Es liegt am Sujet. Es liegt daran, dass ich das nur schreibe für mich, protokolliere meine soziopathischen Verwicklungen, nur aus einem Grund: weil es sie gibt. Immerhin habe ich damit einen Selbsttherapie-Erfolg erzielt im Laufe der Woche. Der Erfolg war die Lektion über das Nein. Aber scheußlich sind die Texte trotzdem und scheußlich ist, dass ich nichts anderes erlebe als das. Liegt es wirklich nur an mir oder bin ich nur am falschen Ort? Müsste ich einfach nur sagen, ich komme mit den Leuten hier nicht zurecht. Die können mit mir nichts anfangen, ich nichts mit denen. - Also? - Gehe ich woanders hin – und erlebe dort genau das Gleiche. Dann liegt es an mir. Oder ich mache andere Erfahrungen. Dann hat es am Ort gelegen. Ort ist Schöneberg, Zentral-Schöneberg. Sujet ist, womit ich es hier zu tun habe. Ablehnung, Befremden und im besten, im schönsten Fall, wenn es einmal mit Zauber ist, dann ist es so was von verwirrend, dass ich daraus nicht schlau werde und nichts anfangen kann damit. Das auch mal sehen, dass da nicht nur meine Wünsche nicht in Erfüllung gingen, weil es gerade nicht passte oder ich mir sowieso zu viel gewünscht habe, sondern dass ich nichts anfangen konnte damit, wie sie sich aufgeführt hat. Sie. Und auf sie komme ich jetzt nicht schon wieder, weil sie immer im Spiel ist, weil ich immer an sie denke. Auf sie komme ich jetzt, weil das mit ihr auch ein Fall von Soziopathie ist. Der einfachste Umgang zweier Menschen miteinander nicht möglich. Und damit meine ich nicht: Sie gehen mir nicht aus dem Sinn, seit sie mir da und da aufgefallen sind und dies und das gesagt haben. Damit meine ich: Hallo! Lange nicht gesehen. Wo gehen Sie denn jetzt schwimmen? Und kann es sein, dass ich Sie in der Dachwohnung gegenüber meiner Wohnung gesehen habe? Wohnen Sie da oder sind Sie da nur manchmal zu Besuch.– So, und dann wird daraus ein Gespräch und aus dem Sie ein Du oder es ist ihr lieber, wenn es beim Sie bleibt, weil sie mit meiner Art nichts anfangen kann. So wie der Sannyasin aus dem Zeitungsladen nichts mit meiner Art anfangen kann. Und das hat er mir klar gemacht, indem er mir gezeigt hat, dass er mein Duzen als eine Zumutung empfand. Was ich als einen Krampf beschrieben habe, das war tatsächlich das Zurückweisen einer Zumutung. Zumutung des Duzens stellvertretend für die Zumutung, als die er mich empfindet in meiner Art, die nicht die seine ist. Was ich bedauern kann und dann denken, wie klein und eng sind die Köpfe und die Verhältnisse, wo sie einen nur annehmen, wenn man so ist wie sie; wenn man konform ist mit ihrem Common Sense überassimilierter Provinzler, Leuten aus Dörfern und Kleinstädten, die denken, so müsse es sein, wenn man in einer Großstadt lebt. Aber da bin ich schon mittendrin in der Soziopathie, in dem Fall in meiner Soziopathie. Bestehend darin, dass ich mich verkralle in etwas, von dem ich längst hätte erkennen müssen, es geht nicht, und deshalb ziehe ich weiter irgendwohin, wo es geht, und wenn da auch nicht, dann wieder weiter, und werde dabei zum Nomaden, wenn es nirgendwo geht. Aber mache mich doch nicht krampfhaft gemein mit Leuten, die mich nicht wollen so wie ich bin. Also ist der Krampf mein Krampf so wie die Soziopathie meine Soziopathie ist. Alle sind in Ordnung und ich bin es auch, ich muss nur weiterziehen. Oder bleiben in der Rolle des Fremden. Den Einheimischen zuschauen, sie befragen zu ihren seltsamen Gebräuchen und Spaß daran haben. Wenn nicht mit ihnen lachen, dann eben über sie. - Aber warum denn bleiben? fragt das Unglück. Bin ich dir denn immer noch nicht groß genug? – Da weiß ich erst auch nicht, was ich sagen soll. Murmele: Wegen der Häuser und der Straßen? Merke, dass das nicht einmal ein Kalauer ist und dann sage ich: Weil ich noch nicht alles weiß. Weil ich noch nicht alles gesehen habe. Weil ich hier nicht weggehe, bevor ich gelacht habe. Und wohin soll ich denn gehen?
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