Montag, 12. März 2012

DDR

Mann ist wieder zurückgezogen in seine Wohnung. Wie gut, dass er die hat. Letzten Sommer hat er sie noch angeboten im Freundes- und Bekanntenkreis. Das muss also im letzten dreiviertel Jahr passiert sein, was er meint, wenn er jetzt immer wieder sagt, es habe sich schon lange vorbereitet. Trennung nach neun Jahren. Er 57. - Und sie? - 31. Ist doch klar, dass sie jetzt anfängt an Kinder zu denken, und da will er ihr nicht dabei im Wege stehen. Was nicht heißt, dass er nicht gerne Kinder mit ihr gehabt hätte. Doch bei seinem Einkommen: gar nicht daran zu denken. 

Ich frage lieber nicht, was mit seinem Einkommen ist. Ich frage, ob es einen anderen Mann gibt, und hätte es auch lassen können. – Nein, sagt er, kein anderer Mann. Weil er es mir nicht sagen würde, wenn es einen anderen Mann gäbe; er nicht. Oder weil er es nicht zu wissen braucht, wenn es einen anderen Mann gibt. Warum soll sie ihm weh tun? Faire, einvernehmliche Trennung. Kein Trennungsverlierer. Schön war es und trotzdem sind sie froh, dass es vorbei ist. Alleine schon, dass er sich nicht mehr mit ihrer Verwandtschaft abgeben muss. DDR. Er kann es nur immer wieder sagen: DDR. – Und was heißt das? – Na, das weißt du doch. – Nein, keine Ahnung, was das heißt im 23. Jahr nach der Wende. – Es heißt piefig, spießig, kleinbürgerlich, sagt er. – Aber das gibt es doch in Westdeutschland auch, wenn du auf die Dörfer und in die Vorstädte gehst. Und nicht nur dort. Überall gibt es das, wenn ich es mir recht überlege. Fast alle sind piefig, spießig, kleinbürgerlich, wenn es ernst wird, wenn es richtig ernst wird, wenn es um das Geld geht oder die Genitalien nahestehender Personen. Der Unterschied ist nur, dass die Verwandtschaft von seiner Ex sich dazu bekennt, und das wäre mir schon wieder sympathisch. Aber das habe ich nicht zu ihm gesagt, stattdessen habe ich ihn gefragt, wie es denn dann mit ihr war bei dieser Verwandtschaft, die sie hat in ihren Genen. – Nein, sie war nie so piefig, spießig, kleinbürgerlich. War eben auch noch sehr jung damals, als sie sich kennengelernt haben. 22 nach meiner Rechnung. Was macht sie beruflich? – Luftverkehr. – Flugbegleiterin? – Nein, am Boden. Sie ist Luftverkehrskauffrau. – Noch ein Punkt, wo es nicht mehr gepasst hat: Sie ehrgeizig. Will noch was erreichen. Hängt sich rein beruflich. Während er … . Was? Es hinter sich hat? Auch danach frage ich ihn lieber nicht. Sie jedenfalls am Abend erschöpft. Wenn sie nach Hause kommt, hockt sie nur noch matt auf der Couch und macht an ihrem Smartphone oder am Laptop rum. Ein Gespräch war da nicht mehr möglich. Und auch deshalb ist er erleichtert wegen der Trennung. Er will auch mal über was anderes reden als nur über Alltagskram. Über Kunst zum Beispiel, sagt er (sagt er tatsächlich; kein Text mehr von mir ohne Kunst). Er war schließlich mal lange mit einer Künstlerin zusammen. – Ach! – Ja. Zu Anfang, da hatten sie noch richtige Gespräche. Auch über Kunst. Und über Politik. Was haben sie sich gestritten. Er in der CDU. Sie in der SPD.  – Du bist in der CDU? – Jetzt nicht mehr.  Ob sie noch in der SPD ist? Vergessen zu fragen. Stattdessen frage ich ihn zwei-, dreimal, ob die Trennung nicht bitter für ihn ist, schmerzhaft, unendlich traurig? – Nein. Kann er nicht sagen. Weil es nicht so ist. Weil es sich schon lange vorbereitet hat. Weil es besser so ist. Sagt er immer wieder, bis ich es ihm glaube, dass er nicht so ein sentimentaler alter Depp ist wie ich einer bin.