Aus der Contessa ist ein hilfreicher Geist in einer roten Kapuzenjacke geworden. Schwimmen geht die anderswo. Vielleicht in Tiergarten in der Seydlitzstraße. 50m-Bahn. War nie da. Bestimmt nicht so schön wie das Stadtbad Hans Rosenthal in der Hauptstraße. Alleine schon wie die Halle leuchtet beim Draufzugehen in der Dunkelheit am Morgen. Aber wie klein es ist! Wie eine Puppenstube kommt es mir vor inzwischen. Und kaum sind mehr als sechs Leute im Becken, geht es los mit den Neurosen und keine Contessa, die mich ablenkt. Sieben Eintritte habe ich noch auf meiner Zehnerkarte. Wenn die schlimmste Kälte vorbei ist, mache ich mich wieder auf den weiteren Weg zum Sachsendamm. Dort kenne ich die Leute und dort bin ich der einzige Neurotiker.
Hier: Fortsetzung Eintritt frei.
Und hier eine Anmerkung dazu: Copy & Paste.
Dienstag, 31. Januar 2012
Montag, 30. Januar 2012
Größenunterschied
Man sagt nicht Neger und Zwerg sagt man auch nicht. Ich denke nicht mal Neger. Wenn ich eine Frau oder einen Mann afrikanischer Herkunft sehe, denke ich: Schwarze(r) oder gleich Afrikaner(in). und wenn die Vorfahren des Mannes oder der Frau vor langer Zeit in die USA verschleppt worden sind, dann ist es mir nicht zu umständlich zu denken oder zu sagen: Afroamerikaner. Aber wenn ich eine kleinwüchsige Person sehe und erst recht, wenn ich es gerade bei einer mir bekannten Person entdecke, dass sie kleinwüchsig ist, denke ich: Huch, ist der/die klein. Der/die ist ja ein Zwerg. Zwerg, Zwerg, Zwerg, Zwerg. Das hört dann erst mal nicht mehr auf. Alles, was ich über die Person weiß, wird noch einmal neu betrachtet, verknüpft mit der Vorstellung, wie klein der/die ist. Noch kleiner als Madonna und die ist schon sehr klein. Seine Freundin ist vielleicht gar nicht so groß, nur im Unterschied zu ihm, der ja winzig! ist. Gibt es das? Oder ist das ein Witz, ein Fototrick auf den Bildern auf ihrer Facebook-Seite, die sie zeigen mit ihm? Nein, solche Witze macht sie nicht. Wie groß ihre Liebe sein muss, dass sie mit dem kleinen Mann ... (striktes Verbot sexueller Assoziationen wird befolgt, ist aber auch dringend nötig). Und dass sie von Paris nach New York umgezogen ist zu ihm - wenn das mal kein Fehler war, habe ich neulich gesagt, als ich jemand von den beiden erzählte; ich erzähle oft von den beiden, weil ich sie bewundere für ihre Arbeit und sie mir gefallen als Paar. Bislang ohne zu wissen von ihrem Größenunterschied. Mit diesem Größenunterschied kriegt die Frage, ob das ein Fehler war mit dem Umzug von Paris nach New York noch einmal einen ganz anderen Ernst. So geht das schon den ganzen Tag, seit ich heute Früh auf der eben entdeckten Facebook-Seite von Garance Doré die Fotos gesehen habe, auf denen deutlich zu erkennen ist, was ich letzte Woche schon nur flüchtig bemerkt hatte, wie klein Scott Schuman ist: weltbekannt als The Sartorialist, Vorbild aller Street Style Photographers, bewundert von mir, seit ich vor zwei Jahren seinen Blog entdeckt habe, und beneidet, seit ich letztes Jahr in den Blogs von ihm und Garance Doré mitgekriegt habe, dass sie ein Paar sind, und dann ist sie im Spätsommer auch noch zu ihm gezogen, ich glaube nach Montauk. Die Bewegungen der beiden zwischen New York, Mailand, Paris und London verfolgt wie eine Daily Soap. Und jetzt die Entdeckung, wie klein der ist, die den Blick auf die beiden völlig verändert. Aber jetzt bloß nicht denken, das sei ein ernst zu nehmender Beitrag zum Thema! Es ist nur das, was unter dem Stichwort Zwerg heute bei mir abgelaufen ist. Und der Hammer war: nachdem ich die Website von Garance Doré entdeckt hatte, habe ich getan, was ich nur sehr selten tue: den Like-Button angeklickt. Bei Scott Schuman, über dessen - neue - Facebook-Seite ich überhaupt erst auf die von Garance Doré gekommen bin, musste ich keine Sekunde überlegen, ob ich da auch Like anklicken soll, ich kam gar nicht auf die Idee. Weil ich mich erst noch daran gewöhnen muss, dass er ein Zwerg ist? – JAAA! Ich gebe es zu, dass es damit auch zu tun hat. Doch vor allem aber liegt es daran, dass ich seinen Blog nicht mehr ganz so verehrungswürdig finde, seit er von seiner bisherigen strengen Linie abweicht und nicht mehr nur seine genialen – er ist der Beste! – Fotoporträts aus den Straßen der Mode-Metropolen zeigt. Trotzdem mache ich jetzt etwas, was ich schon lange machen will, aber dann doch lieber nicht gemacht habe, obwohl ich die beiden jedes Mal empfehle, wenn mich jemand fragt, welche Blogs ich verfolge: ich richte eine Blogroll ein und obenan setze ich die Blogs von Scott Schuman und Garance Doré.
Außerdem bitte beachten: hier das Link zum ersten Teil von Eintritt frei.
Sonntag, 29. Januar 2012
Nachsatz
Haus am Kleistpark 15:45 |
Mail an den Galeristen mit dem Link zum Posting Dr. Future und dem sparsamen Text: Danke für den guten Abend. W.G. – Das Wenigste und das Beste, was noch zu sagen war: Gute Leute, die er zusammengebracht hat an dem Abend mit seiner Ausstellung, tolle Ausstellung. Das steht auch in meinem Posting am Ende, aber wird es deutlich? Mit keinem Satz erwähnt, was geleistet wurde damit, diese Ausstellung (31 Künstler aus 10 Ländern und 3 Kontinenten) zustande zu bringen. Gerade noch unterdrückt den Impuls, mich lustig zu machen darüber, dass im Textauftritt unter dem Titel der Ausstellung steht: Kuratiert von Matthias Seidl - und Matthias Seidl ist der Galerist selbst. Dabei ist es nur zu verständlich nach der galeristischen, meinetwegen auch kuratorischen Leistung, dass er die auch ausgewiesen haben will. So wie auch verständlich ist, im Sinne von entschuldbar, der Humbugismus des Begleittextes zur Ausstellung und in Teilen der Eröffnungsrede. Das gehört eben dazu: der Katalogsprech und das An-den-Haaren-herbeiziehen einer Relevanz, als hätte die Kunst selbst keine. Womit sie letzten Endes zeigen, wie wenig sie von der Kunst selbst halten und wie wenig sie ihnen sagt. Deswegen bin ich hergefallen über den Text des Galeristen und seine Rede. Und als ich ihm am Samstag die Mail geschrieben habe, da war ich angefressen, weil er mich am Vortag hatte hängen lassen und mir nicht jpgs geschickt hatte wie versprochen. So dass ich mir mit der Köpfe-und-Kunst-Serie helfen musste, die ich fotografiert hatte. Offenbar hat die Matthias Seidl gut gefallen, denn in seiner Antwort-Mail schreibt er mir, dass meine Bildauswahl seines Erachtens doch ausreichend sei. Stimmt auch wieder und ich will mal nicht so tun: Mir war klar, dass er nicht liefern würde, und deshalb habe ich die Köpfe-Kunst-Fotos gemacht. Ende Vorwort.
Am Anfang seiner Mail schreibt der Galerist: Danke für den link zum Blog. Die freie Meinungsäußerung ist eines der höchsten Güter unserer Gegenwart - und hoffentlich, da ständig bedroht, auch unserer Zukunft! – Wie es anderen Lesern ergeht? Bei mir war es so, je länger ich den Satz wirken ließ auf mich, desto mehr kam der Nachsatz rüber wie eine versteckte Drohung. Und wie es zu der kommt, erkläre ich mir so: Der Galerist hat sich geärgert über mein Posting. Aber der Verhaltenskodex verlangt, dass er gelassen reagiert, cool bleibt. Das ist ihm auch beispielhaft gelungen. Nur irgendwo muss er hin, der Ärger, der Zorn. Und da ist er in diesen Nachsatz geschlüpft, der eine Hoffnung ausspricht und wie eine Drohung klingt. Wie elegant! Da bin ich bei ähnlicher Gelegenheit unbeholfener gewesen im Umgang mit meinem unterdrückten Ärger, mit meinem unausgelebten Zorn. Neun Seiten Text brauchte es, bis mein Zorn sich aufgelöst hatte im Orange von Ulianes Farblehre. Und als er fertig war, kam es mir vor, als hätte ein anderer den Text geschrieben. Ein scheußlicher Text war es, aber was darin stand, war so, dass ich dachte, das soll unbedingt festgehalten werden, und so habe ich ihn überarbeitet wie einen Text von jemand anderem. Bis ich gestern die Schnauze voll hatte und mir sagte: Jetzt lasse ich ihn, wie er ist, so klobig und so plump. So plump war ich, als ich ihn geschrieben habe und um Plumpheit geht es doch auch in dem Text an einer wichtigen Stelle. Der Titel des Textes ist Eintritt frei. Morgen gibt es den ersten Teil.
Samstag, 28. Januar 2012
Farbspiel
Du bist feige, sagt Beate. Das nächste Mal machst du es alleine und wir gucken dir zu, sagt Petra. Ich bin der Einzige, der nicht mitmacht beim Farbspiel – außer Uliane, die ist Spielleiterin. Nachdem sie erklärt hat, wie es geht, zieht sie sich zurück in ein anderes Zimmer, denn sie wird später die Papierschnitzel-Kompositionen deuten – intuitiv deuten nach den Prinzipien ihrer Farblehre – und dazu darf sie nicht wissen, welches Bild von wem ist.
Da ich feige bin u n d mutig, macht es mir nichts aus zuzugeben, dass ich feige bin. Aber Feigheit ist nicht der Grund, weshalb ich nicht mitmache. Ich mache nicht mit, weil ich bald wieder gehen will. Und bald wieder gehen will ich, weil ich mir nicht viel verspreche von diesem Abend: Finissage der Schülerausstellung mit Farbspiel. Ulianes Schüler kenne ich schon; besser, ich lasse mich nicht auf sie ein, lerne sie nicht noch näher kennen, verwickle mich und muss dann darüber schreiben. Das Farbspiel: das hat mit Ulianes Farblehre zu tun, die kenne ich nur obenhin und ich sag mal so: Es wäre mir lieber, wenn sie keine Farblehre hätte. Aber dann gibt mir Uliane ein Skript, bevor sie ins andere Zimmer geht, und während die Schüler, Angehörigen und Freunde farbiges Papier collagieren, lese ich mich in den Farbtexten fest.
Schwarz spricht mich an, weil ich mich schwarz anziehe. Weiß lese ich so aufmerksam, weil ich mich einmal über das Weiß von jemand lustig gemacht habe. Diejenige Person habe ich dann nie kennengelernt (aus anderen Gründen), aber da ich sie nach allem trotzdem ein bisschen einschätzen kann, sagt mir der Weiß-Text sehr viel über sie. Am meisten beeindruckt mich, was Uliane über Orange und den Zorn geschrieben hat: Orange die Farbe / der untergehenden Sonne / die Überwindung von Zorn/ Orange Körper und Geist / Genuss / Trieb / Sex / Freude / Die Orange ist orange / Orange die Mischung aus / ROT des Blutes und / GELB der Idee der Sonne. – Warum stellt sie diese Texte nicht auf ihre Website, vergesse ich sie zu fragen, denn dann fotografiere ich sie an ihrem Rückzugsort, die Augurin, die Seherin, die sie heute Abend ist. Ich erzähle ihr, wie ich mich in ihrem Schwarz-Text wiederfinde. Aber Abgrenzung sei nur das eine bei mir, das andere sei der Wunsch zu verschmelzen. Und beides zusammen macht dann mein Lebenschaos, sage ich. – Ich liebe dein Lebenschaos, sagt Uliane und meint mein aufgeschriebenes Lebenschaos.
Mal gespannt was Uliane zum Drachen von Beate sagt und der filigranen Komposition der großen blonden Frau, die Ursula als Gast mitgebracht hat.
Ich werde noch abwarten, bis Uliane über die Collage von Leonie gesprochen hat und über die ihres Vaters, die gleich daneben liegt. Danach werde ich mich aus dem Zimmer schleichen und grußlos weggehen, um nicht zu stören. Das nehme ich mir vor, aber dann bleibe ich bis zum Schluss, und wenn Uliane statt der vierzehn, doppelt so viele Papierschnitzel-Bilder besprochen hätte, wäre ich auch geblieben. Obwohl sie sich wiederholt, was nicht zu vermeiden ist, verbraucht es sich nicht, wie sie mit ihren Farbassoziationen Persönlichkeiten beschreibt, dabei großzügig über Abgründe und Einöden hinweggehend und, so wie sie es auch sonst tut, in den Personen immer ihre Stärken und Entwicklungspotenziale sehend.
Ich beobachte Beate, Leonie und ihren Vater, während Uliane über ihre Bilder spricht, ohne zu wissen, dass sie von ihnen sind. Noch spannender wäre es, selbst ein Bild da liegen zu haben.
Am Schluss versucht Uliane zu raten, welches Bild von wem ist. Das hat anscheinend schon mal geklappt. Heute klappt es nicht. Gleich zweimal haut sie daneben bei Beate. Ihre Komposition ist die einzige Figurative: einen Drachen hat sie zusammengesetzt aus Papierschnitzeln. Uliane kommt nicht drauf, dass er von Beate ist. Von Dinosaurier hat Uliane gesprochen bei ihrer Analyse. Woran ist eigentlich zu erkennen, dass das ein Drache und kein Dino ist, Beate? – Sie deutet auf das Kinn der Figur und sagt: Am Schnurrbart. Dinosaurier haben keinen Schnurrbart. – Ach so.
Beim nächsten Farbspiel mache ich mit.
Überlebender
... nicht als Historiker spreche ich, sondern als ein Zeitzeuge, genauer: als Überlebender des Warschauer Gettos.
Text der Rede: Ein Tag in meinem Leben.
Ilka Schäfer (45) spricht als Lehrerin einer Hauptschule in Oberhausen: ... Ich persönlich bin jetzt zwar die zweite Generation nach der Nazizeit, aber letztendlich muss ich dafür Verantwortung tragen, dass sowas wie der Holocaust nie wieder passiert. Und dass keine Gruppe, seien es Muslime oder Juden, ausgegrenzt wird.
Text der Rede: Ein Tag in meinem Leben.
Ilka Schäfer (45) spricht als Lehrerin einer Hauptschule in Oberhausen: ... Ich persönlich bin jetzt zwar die zweite Generation nach der Nazizeit, aber letztendlich muss ich dafür Verantwortung tragen, dass sowas wie der Holocaust nie wieder passiert. Und dass keine Gruppe, seien es Muslime oder Juden, ausgegrenzt wird.
Freitag, 27. Januar 2012
Dr. Future
31 Arbeiten aus 10 Ländern und 3 Kontinenten sind zu sehen in der Ausstellung, sagt der Galerist in seiner Rede. Ihnen gemeinsam ist: Sie sind kleinformatig, sonst würden sie nicht alle zusammen in die drei kleinen Räume der Galerie Dr. Julius passen. Und bei allen 31 Arbeiten handelt es sich um nicht-gegenständliche Kunst, wie es im Begleittext auf der Website von Dr. Julius korrekt heißt gemäß Sprachgebrauch, aber im Grunde genommen unzutreffend. Nicht-gegenständlich will sagen, dass es keinen Gegenstand außerhalb der Bilder oder der Objekte gibt, auf die sie sich nachahmend oder abbildend beziehen. Die Arbeiten stehen für sich selbst: als reine, autonome Bildlichkeit und als reine, autonome Gegenständlichkeit im Falle von Objektkunst. Insofern sind sie gegenständlich - und wie! Aber keinen Gegenstand nachbildend, sondern im besten Fall einen Gegenstand schaffend, wie die Welt zuvor noch keinen gesehen hat.
FutureShock OneTwo. Das OneTwo soll sein wie das Anzählen eines Musikstücks. Muss man, kann man einen Schock anzählen? Kriegt man den nicht, ob man will oder nicht, so wie der Galerist Matthias Seidel einen Schock gekriegt hat letztes Jahr, zuerst von den Ereignissen in Fukushima und dann von der Finanzkrise. Warum er davon nicht einen Gegenwartsschock, sondern einen Zukunftsschock gekriegt hat, das hat er in seiner Rede nicht begründet. Ich nehme an, es hat zu tun mit dem Buch von Alvin Toffler, Future Shock, das der Galerist während seiner Eröffnungsrede bei sich hatte.
Das Buch ist erschienen 1970 und es geht darin um die Überforderung von uns Menschen durch eine immer komplexer werdende Technologie. Wenn man will, ist der Nuklearreaktor-Unfall in Japan ein krasses Beispiel dafür. Während die Finanzkrise eher ein Fall der Überforderung von uns Menschen durch Ökonomie ist oder, deutlicher gesagt, der Unterwerfung von uns Menschen durch das, was früher einmal das Kapital genannt wurde und auch immer noch die treffendste Bezeichnung dafür ist. Der Galerist hat dann noch auf Filmmaterial zum Buch von Alvin Toffler hingewiesen, unter anderem auf einen Clip mit Orson Welles. Und sonst konnte er sich gar nicht genug freuen, dass trotz des traurigen Anlasses – Future Shock – gestern Abend so erstaunlich viele Leute zur Eröffnung der Ausstellung gekommen waren. Es muss an der Kunst gelegen haben, die unter dem unglücklich gewählten, man könnte auch sagen: dämlichen Titel gezeigt wird, der ihr nichts tut, ihr aber auch nichts nimmt, denn sie steht für sich selbst. 31 Arbeiten aus 10 Ländern und 3 Kontinenten.
FutureShock OneTwo
Internationale Neue Konkrete +
Eine dr. julius / ap Gruppenausstellung
Kuratiert von Matthias Seidel
Bis 17. März 2012
Leberstraße 60
10829 Berlin
Kunst: © dr. julius / ap Gruppenausstellung
Fotos: © w.g.
Fotos: © w.g.
Donnerstag, 26. Januar 2012
Street Art
15:26 |
Feuerwache in der Feurigstraße. Klingt wie schlecht erfunden. Schräg gegenüber der Feuerwache, mitten auf der Straße:
Hat jemand eingeteert die Dose. Mit einer persönlichen Bewandtnis? Oder l´art pour l´art? Konkrete Kunst?
Fotos: © w.g.
Grausen
Vertrauter Ort, aber nicht hier. Straßenecke mit einem Denkmal aus schwarzem Marmor, efeubewachsen, ein niederer Gitterzaun drumherum. An der Ecke eine Ansammlung von Schulmädchen, 12jährige Mädchen, alle schwarz gekleidet und in ihrer Mitte eine Frau aus der Nachbarschaft von hier, auch schwarz gekleidet. Ich erschrecke, denn ich weiß sofort, wer gestorben ist. Ich betrete einen Hof. Der Tod des Mädchens ist jetzt eine bekannte Tatsache. Der Vater des Mädchens geht an mir vorbei. Er sagt, dass man in so einem Fall merkt, wie alleine man auf der Welt ist. – Was meinst du, wie alleine du erst sein wirst, wenn du selbst stirbst, will ich sagen, aber sage es aus Feingefühl nicht.
In den ersten Minuten nach dem Aufstehen immer noch abergläubiges Grausen. Was, wenn das nun wirklich passiert?! Keine Vernunftüberlegung hilft. Vorstellung, ich gehe an der offenen Wohnungstür der Familie vorbei und beim Blick in die Wohnung sehe ich Erwachsene in Trauerkleidung. Dabei auch der Mann oder die Frau und ich muss gar nicht fragen, wer gestorben ist.
Dann wie überinszeniert, aber es hilft, die Reste des Grausens zu vertreiben, als ich am Nachmittag an der Wohnungstür der Leute vorbeigehe, die Tür steht offen und gerade kommt die Tochter, um sie zu schließen, grüßt lächelnd, als sie mich sieht, und ich denke, wie klein sie noch ist.
Mittwoch, 25. Januar 2012
Jackpot
Von 9 bis 21 Uhr steht Oguzhan im Tabakwaren- und Lottoladen in der Akazienstraße 2. Das macht mürbe. Das geht nicht lange gut. Deshalb kommt ab 2. Februar eine Frau, die sich den Tag mit ihm teilen wird. Türkische Frau, 25 Jahre alt. Die hat Serhat gefunden.
Hoffentlich nimmt er sie dir nicht gleich wieder weg und setzt sie im Kaiser Kiosk ein wie Gülcan.
Und nach vier Wochen hat sie dann aufgehört.
Weil ihr der Urlaub nicht reichte.
Wie kommst du denn darauf?
Wurde so gesagt.
Oguzhan sagt mir, was der tatsächliche Grund war. Ich nehme mal an, dass er damit nicht zitiert werden will, und spreche das vielleicht demnächst mal gegenüber der betroffenen Person an.
Mann kommt zum Lottospielen rein.
Ist der Jackpot geknackt? frage ich.
Nein. Jetzt sind es elf Millionen, sagt Oguzhan.
Das ist zu viel, sage ich und erkläre, wie ich das meine: So viel Glück haben wir nie.
Der Mann, der einen Riesen-Tippzettel abgibt, bestätigt das mit einem Nicken.
Oguzhan: Elf Millionen sind genau richtig für mich.
Ich: Du spielst Lotto, Ozan?
Oguzhan: Und wie!
Ich: Das ist eines meiner letzten Ziele im Leben – mit dem Lottospielen aufhören.
Der Mann zahlt einen aberwitzigen Betrag für seinen Riesen-Tippzettel. Während er das Rückgeld und seine Spielquittung einsteckt, mache ich noch ein paar Fotos von Oguzhan.
Ich warte, bis der Mann draußen ist, dann sage ich: Lottospielen ist Verliererstrategie.
Natürlich ist Lottospielen Verliererstrategie, antwortet Oguzhan.
Hätte ich jetzt nicht gedacht, dass wir uns da einig sind. Dafür komme ich ihm bei den elf Millionen entgegen: Du hast recht, elf Millionen müssen es schon sein. Bei elf Millionen kann man auch mal einen schweren Fehler machen, ohne dass dann gleich alles weg ist.
Oguzhan: Richtig. Ganz schlecht ist eine Million. Wollte ich nie gewinnen eine Million.
Ich: Weil man sich da einbildet, man ist reich.
Oguzhan: Aber dann ist es weg wie nichts.
Ich: Und hinterher ist man schlechter dran als vorher. Wegen der Scheiße, die man erlebt hat mit dem Geld.
Oguzhan: So ist es.
Ich brauche mehr Bodenkontakt. Ich muss wieder öfter mit Oguzhan reden. Übrigens: Niemand hat so viele Fans wie er hier im Blog. Nicht einmal Uliane, obwohl die auch viele Fans hat.
Dienstag, 24. Januar 2012
Versiebt
Bei Birgitt von art Rahmen. Variation über das Thema: Der Gruß des Kaufmanns ist die Klage. 10 000 Euro fixe Kosten jeden Monat (Gehälter, Versicherungen, Miete) müssen erst einmal reingeholt werden. Wenn der Laden da mal einen Vormittag lang nicht so brummt wie gewohnt, dann geht es schon los mit den Sorgen.
Anruf. Irgendwas mit Kopp verstehe ich. Kopp? – Birgitt legt zur Erklärung drei Drucke auf ihre Arbeitsplatte. Drei Köppe. Revellio ist der Name des Künstlers. Ich darf die drei Köppe fotografieren. Siebdrucke. Rötlich, gelb, blau.
Beim Fotografieren der Köppe fällt mein Blick auf ein Poster mit einem Strandfoto von Marilyn Monroe, das auf Birgitts Arbeitsplatte liegt. Bilderrahmen-Auftrag.
Ausschnitt Poster |
Wer hat das Poster gebracht? – Eine Kundin. – Statt zu fragen, was für eine Kundin das ist, was interessant hätte werden können, sage ich, dass Marilyn Monroe mir einfach zu viel Frau war und die Kombination von sich selbst für nichts wert halten, aber von allen bewundert, verehrt und geliebt werden wollen, die sei einfach tödlich – und an dieser tödlichen Kombination ist sie ja dann auch tatsächlich gestorben, sage ich, rede und rede und kann heute nicht zuhören. Ich erzähle, wie ich durch die Kurzgeschichte A Beautiful Child von Truman Capote dann doch noch dazu gekommen bin, Marilyn Monroe zu bewundern und zu verehren, aber eigentlich will ich Birgitt rumkriegen, sich von mir fotografieren zu lassen ... Und an dieser Stelle breche ich ab. Aktion versiebt. Den Text von heute versiebt. An Birgitt hat es nicht gelegen. Nicht am bekannten Geziere und Gezicke. So ist Birgitt nicht. Es hat daran gelegen, dass ich nicht zugehört habe. Nicht auf sie gehört. Fotos von ihr ein andermal.
Kunst: © Revellio
Montag, 23. Januar 2012
Fabeltier
Feiertag in der Volksrepublik.
© NYT 1-23-2012 |
Indien wünscht China ein frohes neues Jahr.
Jahr des Drachen. Wasser-Drache. Jedem Jahr ist in der Chinesischen Astrologie ein Zeichen und ein Element zugeordnet; zwei Jahren ein Element. Nächstes Jahr ist ein weiteres Wasser-Jahr, Wasser-Schlange. Es folgt ein Holz-Jahr, Jahr des Pferdes, Holz-Pferd. Und natürlich ist das alles noch einmal viel komplizierter, weil viel differenzierter zu betrachten, wenn man sich richtig darauf einlässt.
Alter chinesischer Text, Charakterbeschreibung Drache. Das Bild, das der Text von den Drache-Geborenen zeichnet, wird immer großartiger, je weiter man liest. Mich wundert es nicht, denn ich bin selbst in einem Drache-Jahr geboren. Doch dann kommt es. Ganz zum Schluss steht da: Aber vergessen wir nicht, der Drache ist ein Fabeltier. Er ist also reine Illusion. - Großer chinesischer Humor.
Wer die Musik aushält, kann hier Drachenbilder gucken:
Garantiert astrologiefrei. Von Michael Cimino:
Sonntag, 22. Januar 2012
Prinzessinnen
Die Skulptur ist von Rena Lux und heißt: Prinzessin auf den Spulen.
Und wer seid ihr? Ausstellungsbesucher? Oder Freunde einer der Töchter von Sabine Baer?
Freunde von Sabine Baer.
Und gar nicht von den Töchtern?
Nein.
Ach.
Der Mann mit der Wollmütze und die Frau aus Jamaika sind so jung auch wieder nicht; schon um die 30 und verheiratet miteinander. Die Frau hat Modell gestanden zu Sabines Bild mit der Frau, von der ich dachte, es sei Marsha Hunt. Aber es ist die Frau des Mannes mit der Mütze und zur Vernissage konnte sie nicht kommen, um sich ihr Bild anzusehen. Deshalb hat sie heute die letzte Gelegenheit genutzt. Finissage. Dazu ist eine Finissage da. Letzte Gelegenheit.
Kunst: © Rena Lux
Fotos: © w.g.
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