Samstag, 24. November 2012

Strickerin


Beim Kunststraßenfest Pohlposition habe ich sie barfuß vor einem Baum stehen und stricken gesehen. Ich habe lange mit ihr geredet, war dann jedoch froh, als ich weg war, und als ich zurück kam, hat sie immer noch gestrickt, hatte immer noch keine Schuhe an, obwohl der Asphalt an dem Septembertag schon ziemlich kühl war - und sie strickte jetzt im Raum, wie sie es nannte. Sie war zuvor strickend an eine Stelle gekommen, wo sie auf einmal wusste, ich muss jetzt in den Raum gehen. Als sie das sagte, da habe ich mich an den Leguanforscher in Werner Herzogs Wüstenfilmepos Fata Morgana erinnert. Die Mischung aus Ernst, Besessenheit, Craziness und Demut gegenüber der gefundenen Lebensaufgabe. Beim Leguanforscher steigert sie sich zur menschlichen Komödie. Vor lauter Sympathie für ihn muss man über ihn lachen. Bei der Strickerin gibt es nichts zu lachen. Ich habe mir nur Sorgen um ihre großen knochigen Füße gemacht, und als ich mich zum zweiten Mal von ihr verabschiedete, wusste ich schon, dass ich nichts über sie schreiben würde. Habe mir trotzdem ihre Website angeschaut. Gesehen: Kooperation mit der Ladenkette STEFANEL. Wo auch sonst soll es hin, das textile Gestalten? Weiterhin viel Erfolg und alles Gute. 

Poetisch-spielerisch setze ich mich mit Farben, Formen, Ornamenten und Linien auseinander. Am Anfang dieser Reise steht immer ein textiles Material in Form von Stoffen oder Wolle.
Nach interessanten Motiven, Ornamenten und deren Beschaffenheit suche ich industriell gedruckte und gefärbte Textilien aus und spanne sie in Serien auf Keilrahmen. Anschließend trage ich Motive grafisch und malerisch zu eigenen konkreten Themen aus Bereichen der Flora und Fauna auf die Stofffläche auf. Völlig frei entstehen neue Bild - und Motivwelten. Die große Herausforderung hierbei stellt immer wieder auf ein Neues die Verschmelzung von Industriellem und Eigenem zum absoluten Unikat dar.

Es ist nicht schwer, das zu verstehen. Doch ab dem dritten Satz muss ich mich sehr anstrengen weiterzulesen. Da fühle ich mich in die Szene vor dem Baum in der Pohlstraße zurückversetzt, wo ich auch nur weg wollte und froh war, dass ich kein Feuilletonist, sondern ein Blogger bin und es mir aussuchen kann, worüber ich schreibe. Ich muss nicht erklären, warum ich keinen Zugang finde zu Ulrike Stoltes Textilkunst. Aber als ich nun die Sammelmail von ihr bekomme und mich an sie erinnere, wundere ich mich doch, wie gleichgültig ich über die Begegnung mit ihr und ihren Arbeiten hinweg gegangen bin. Ich wollte einfach nichts davon wissen.


In ihrer Mail weist sie auf Ausstellungen in Miami, Zürich und Berlin hin, an denen sie beteiligt ist. Die Arbeiten, die sie in Miami zeigen wird, haben eine so leuchtende Hübschheit, dass ich mir vorstellen kann, dass sie damit herausstechen und Erfolg haben wird bei der Red Dot Miami , einer Parallelveranstaltung zur Monstermesse Art Basel Miami Beach. Das ist aber auch schon alles, was mir dazu einfällt. Und dann habe ich in ihrer Vita noch bemerkt, dass sie in der ersten Hälfte ihres Lebens mit hohem Einsatz und großem Erfolg Klavier studiert hat. Aber dann die Sehnenscheidenentzündung oder die Erkenntnis, dass sie es zur vollkommenen Meisterschaft nie bringen wird? Irgendetwas Einschneidendes muss passiert sein, und dann die Kunstakademie in Dresden, die Grafik und bald schon das textile Gestalten. Wenn sie eine von mir erfundene Figur wäre, würde ich sie jetzt wieder eine Krise kriegen und erneut etwas ganz anderes machen lassen. Wird ihr schon nichs passieren mit diesem mächtigen musischen Drang in sich und wenn es mal stockt und nicht mehr weiter zu gehen scheint, dann eben Kulturförderung, dann mal wieder ein Studienaufenthalt in Australien.