Dienstag, 20. November 2012

Anteilnahme


Wenn ich morgen erfahre, dass ich Darmkrebs habe, dann schreibe ich doch nicht übermorgen ungerührt weiter an einem längeren Text über eine bucklige ältere Frau, neben der ich gestanden habe, und ihr Mundgeruch war kaum auszuhalten. Warum habe ich sie aber auch so nah an mich ran gelassen? Nur ein Schritt weg von ihr und der Gestank aus ihrem Hals wäre nicht bis zu mir gedrungen und ich hätte ihre heuchlerische Anteilnahme wahrscheinlich auch gleich durchschaut und nicht erst im Nachhinein verstanden, dass sie mich nur quälen wollte mit ihrem Gejammer, wie schlecht ich aussähe, was denn los sei, nicht zum Ansehen, so schlimm sei es. Oh weh, oh weh! - Jetzt hör doch mal auf! Das ist ja ekelhaft! habe ich sie unterbrochen. Und als sie sich wieder eingekriegt hatte und mich gefragt hat, was denn mit mir sei, da habe ich geantwortet: Krank bin ich, aber man weiß noch nicht, was es ist. - Was hat er? hat darauf Sabrina, ihre Freundin aus der Kneipe, gefragt, die sie zu der Vernissage mitgenommen hatte, und sie hat für Sabrina dann wiederholt: Krank ist er. Aber er weiß noch nicht, was er hat. Das wiederholt völlig teilnahmslos, ohne weiter die Gemütsbewegung vorzutäuschen, die sie auch vorher nicht hatte. Ihre überschäumende Anteilnahme nichts als ein Versuch, mir schlechte Gefühle zu machen, weil ich zuvor ihr schlechte Gefühle gemacht hatte, nehme ich an, dass ich das tat, als ich über ihre allzu große Leidenschaft für sich selbst geschrieben habe, die nichts übrig lässt an Leidenschaft für ihre Kunst. Schlagabtausch. Sie lässt sich nichts gefallen. Ich schenke ihr nichts. Zahle es ihr gleich wieder heim, indem ich ein Foto von ihr poste, das ich aus Rücksichtnahme auf sie sonst nie gezeigt hätte im Blog wegen des unvorteilhaften grotesken Anblicks, den sie darauf bietet. Doch dann, nachdem ich es in das Blog gestellt habe, in das andere, da merke ich, dass ich es in jedem Fall hätte zeigen müssen, was mir da gelungen ist an Porträt von ihr. Das Foto zeigt sie, wie ich sie sehe nach einem Jahr, in dem ich sie immer mehr durchschaut habe, bis sie für mich zu dem Scheusal geworden war, das auf dem Bild zu sehen ist. Mit meinen Augen.