Donnerstag, 30. Juni 2011

Pośpiech

Alice vor dem Spiegel
Öl auf Leinwand 140x130, 2001

Warum gerade das? fragt mich Karina Pośpiech, als ich in der Mappe mit Fotos ihrer Gemälde zurückblättere und sage, das will ich haben. - Die Farben, antworte ich. Der Raum. Und die Frauengestalt - aus einem Grund, auf den ich erst später komme. - Das Bild ist das Porträt einer Freundin, mit der sich Karina zerstritten hat wegen des Bildes. Darauf hat sie es überarbeitet, indem sie das Gesicht der Freundin mit einem Porträt ihrer älteren Schwester übermalt hat. Das Gemälde ist noch in ihrem Besitz. Während wir es betrachten, erzählt Karina, dass sie neulich überlegt hat, es ganz zu übermalen. Auf der Rückseite klebt noch der Preis, zu dem die Galerie in der Augustastraße es angeboten hat, in der es vor ein paar Jahren ausgestellt war: 3000 Euro.

"Romy mit David", 3 Teilig 40x120,
Acryl auf Leinwand, Fotocollage, 2005

Karina Pośpiech verehrt Romy Schneider mindestens ebenso sehr wie ich. Als ich sie nach ihren Vorbildern frage, nennt sie Joseph Beuys, klar, und zu meiner Überraschung: Rainer Werner Fassbinder. Vor allem der frühe Fassbinder, sagt sie. Ich zähle andächtig auf: Liebe ist kälter als der Tod; Katzelmacher; Götter der Pest; Warum läuft Herr R. Amok? Der amerikanische Soldat; Händler der vier Jahreszeiten, und sie sagt noch Angst essen Seele auf. Ich erzähle ihr, dass Fassbinder mit Romy Schneider arbeiten wollte, aber er hat sich lange nicht getraut, sie zu fragen, und nachdem er sich getraut hatte, war es zu spät: Romy Schneider † 29. Mai 1982 in Paris. Rainer Werner Fassbinder † 10. Juni 1982 in München.

Kroko
Öl auf Leinwand 130x140, 2002

Website von Karina Pośpiech: www.unisono-art.de
Bilder: © Karina Pośpiech

Mittwoch, 29. Juni 2011

Suche

Das spindeldürre kleine Mädchen isst ein giftgrünes Eis aus einem durchsichtigen Becher. Die Mutter des Kindes trägt ein kurzes Sommerkleid in der Farbe des Eises. Als ich das bemerke, sagt die Mutter, dass sie zwei Stunden lang gesucht haben, bis sie ein Eis im passenden Farbton gefunden haben. Wäre ihnen das nicht gelungen, hätte das Kind kein Eis gekriegt. Die Mutter ist Vanessa, die beste Freundin von Liljana. Und warum bin ich nicht noch ein bisschen geblieben? Dann hätte ich jetzt noch mehr Dialog dieser Sorte. – Ich bin nicht geblieben, weil sie gleich mittagessen wollten. Mittwoch ist nämlich Kantinentag in den Höfen, in denen sich Liljanas Galerie befindet. Es gibt jemanden, der kocht, das  Essen zum Preis von 3 Euro 50 pro Person verkauft, und so wie Liljana es mir angepriesen hat, muss das Essen sehr gut sein. Aber ich habe gesagt, ich bin kein Mittagesser, ich bin Abendesser. Eine typische Antwort von mir. Was ich alles nicht bin und was mir dadurch schon entgangen ist im Leben. Jetzt der Mittagstisch mit den beiden Frauen und dem kleinen Mädchen und den scharfzüngigen schnellen Dialog, den es dabei bestimmt gegeben hätte. Die Frauen beide aus Bosnien. Liljana abgehauen, gleich 1990, als der Krieg losgegangen ist. Sie war in Sarajewo. Montags wollte sie in einer Firma anfangen, Stelle im Management, sonntags ging der Krieg los. – Während ich mich verabschiede, kommt der Künstler der vergangenen Woche in den Hof gefahren mit seinem Fahrrad. Wir begrüßen uns. Zwischen der Galeristin und dem Künstler kein Wort, kein Blick. Der Künstler sagt, das sei nett von mir gewesen, dass ich nicht mehr über ihn geschrieben habe, als dass er nicht will, dass ich über ihn schreibe. -  Nett? Korrekt war das, würde ich sagen. Außerdem will ich mich doch nicht gleich verfeinden mit dir, kaum dass wir uns näher kennengelernt haben. – Zu meiner Überraschung ist er nun doch bereit, seine Bilder zu zeigen in meinem Blog und will auch gerne was dazu sagen. Nur nichts Persönliches. – Von mir aus. Dann eben so. Nur über die Bilder. Als wären die nicht auch persönlich. Aber eben kontrolliert persönlich. Inszeniert. Gestaltet. Abgesichert. Jeder kann es sehen, das ist substanzielle Kunst. Bürgerliche Kunst. Gibt es noch eine andere? Suche danach.

Flip-Flops
Hila hört auf im Kaiser-Kiosk. Nach einem Jahr. Morgen letzter Arbeitstag. Wenn es klappt, wird sie Ende August zwei Häuser weiter in der Apotheke anfangen. Mit einer Ausbildung zur Pharmazeutisch-technischen Assistentin. Sie will sich weiter entwickeln und eine Arbeit haben, die ihr so viel einbringt, dass sie finanziell unabhängig ist, wenn sie heiratet. – Gibt es den Mann dafür denn schon? – Nein. – Nein? Kein Freund? – Nein. – Wirklich nicht? – Nein. Es gibt Männer, die sie nett findet, aber keinen Freund. Sie will jetzt erst ihre Ausbildung machen und dann erst will sie heiraten. – Aber du guckst doch schon nach einem Mann (ich duze sie inzwischen).  – Nein, ich gucke nicht. Erst, wenn ich meine Ausbildung habe. – Und wenn du finanziell unabhängig bist. – Sie nickt auf diese inständige Hila-Art, deretwegen ich ihr jedes Mal. wenn sie so nickt, über das Kopftuch streichen möchte wie einem Kind. Das ist sie aber schon lange nicht mehr. Sie ist 21 Jahre alt. Und als wir nun auf ihre Schulzeit zu sprechen kommen, sagt sie, dass sie nicht das brave Mädchen gewesen ist, für das Viele sie halten. – Du hast schon einiges hinter dir? – Sie nickt wieder auf ihre Hila-Art und lächelt dabei so, dass ich  ab jetzt nicht mehr glaube, dass sie brav ist. 

Obwohl ich die Zigaretten nun schon habe, gehe ich noch bei Oguzhan im anderen Tabakwarenladen vorbei, weil ich hören will, ob sie schon Ersatz für Hila haben. Und das hätte ich mal besser nicht gemacht. Denn während er mir erklärt, dass Gülcan vom Laden in der Akazienstraße ins Kaiser-Kiosk wechseln wird und ich mich wundere über diese Personalentscheidung: wozu hat sie dann den Lehrgang für Toto-Lotto gemacht, das es im Kaiser-Kiosk nicht gibt? – während dessen fällt mein Blick auf die Füße Oguzhans und die Flip-Flops, die er trägt. Schwarz und schlicht. Wo hast du die her? – Hat meine Mutter gekauft. 1 Euro 50. – Ich setze mir in den Kopf, dass ich solche Flip-Flops sofort auch haben muss. Darauf führe ich in fünf Läden Gespräche mit Verkäuferinnen, die alle blond sind. Eine ist die Frau, zu der ich ein persönlich schwer belastetes Verhältnis habe und die anders als ich nachtragend ist. Sie schaut gleich wieder verbittert, als ich ihren Laden betrete, und teilt mir dann sowas von  kurz angebunden mit, dass sie keine Flip-Flops haben, dass ich es ihr nicht glaube und annehme, das sagt sie nur, weil sie nicht mit mir zu tun haben will. Doch dann entwickelt sich ein Gespräch, in dem sich herausstellt, dass sie die Wahrheit sagt. Und als sie mir am Ende einen Laden nennt, auf den ich selbst nicht gekommen bin, ist es auf einmal ein ganz unbelastetes Gespräch. Das immerhin habe ich erreicht: wir vertragen uns wieder. In dem empfohlenen Laden haben sie aber auch keine Flip-Flops: Letztes Jahr hatten wir welche. Die wollte niemand haben. Und dieses Jahr rennen sie uns die Tür ein wegen Flip-Flops. Mit Männerschuhen ist es ein schwieriges Geschäft, sagt die blonde Verkäuferin. – Im sechsten und letzten Laden, Laden mit Sportkleidung, spreche ich mit einem Mann mit dunklen Haaren, einer exzentrischen Frisur und einer mir sehr angenehmen schwuchteligen Art. Er bedauert, in dieser Saison keine Flip-Flops im Angebot zu haben und empfiehlt mir den Laden, in dem die Frau aus dem Posting von gestern arbeitet. Da kann ich heute aber auf keinen Fall hin, sonst denkt sie sich weiß was und fühlt sich von mir verfolgt. Ich beschließe, noch zwei Tage vergehen zu lassen, bis ich dort vorspreche, und frage mich jetzt schon, wie ich darüber schreiben soll, wenn ich wegen Anonymisierung der Frau aus dem Posting von gestern den Namen des Ladens nicht nennen kann. Vorstellung: ich finde dort die gesuchten schwarzen schlichten Flip-Flops zwar nicht gerade für 1 Euro 50, so ein Laden ist das nicht, aber zu einem Preis, den ich bezahlen kann, und dann kann ich den Laden nicht weiter empfehlen, weil ich seinen Namen nicht nennen darf. 

Dienstag, 28. Juni 2011

Hand

Vor dem Schuhladen, in dem auch Kleider verkauft werden, steht eine junge Frau mit hochgesteckten roten Haaren in der Sonne und will nicht, dass ich über sie schreibe. Zumindest nicht, dass ich ihren Namen nenne, wenn ich über sie schreibe, denn dass ich schreiben kann, dass ich mit meinem Fahrrad zu dem Laden gefahren bin und mit ihr mich unterhalten habe, das sieht sie ein. Sie stand in meinem Leben rum, ich bin nicht in ihr Leben eingedrungen wie der Stalker, mit dem sie es gerade zu tun hat. Kerl, der ständig bei ihr anruft und mit dem sie schon genug Ärger hat. Mit mir kriegt sie keinen Ärger. Um sie zu anonymisieren, sie unkenntlich zu machen, behaupte ich, dass sie rote Haare hat, obwohl es nicht stimmt. Wenn ich nicht so weit weg von ihr gestanden hätte und meine Ohren gespitzt hätte, wüsste ich sogar ihren Namen und könnte jetzt beweisen, wie korrekt ich bin, indem ich ihn nicht nenne. Den Namen hat sie mir nämlich genannt, als sie mir von ihrer Website erzählte. Jetzt kann ich meine Korrektheit nur beweisen, indem ich verschweige, mit welchem kreativen Beruf sie sich auf ihrer Website präsentiert. Bisher noch erfolglos, da es in Berlin viel zu viele junge Frauen gibt, die in diesem Beruf arbeiten möchten; andererseits steht sie noch ganz am Anfang, hat erst vor einem Jahr ihre Ausbildung abgeschlossen, eine Fortbildung angehängt, und ist gerade dabei, sich zu positionieren, um ins Geschäft zu kommen. Sich zu positionieren. Zu solchen Formulierungen kommt es, wenn man alles sagen will und nichts sagen darf. Was darf ich erzählen? – Dass sie zuerst stolz und gerne von sich erzählt hat, unverkrampft drauflos. Nur ein Mal hat sie innegehalten und hinüber geschaut zu den jungen Männern, die vor dem Café nebenan saßen. Die hören zu, hat sie mir zugeraunt. – Die bewundern Sie und jetzt hören sie Sie zum ersten Mal reden. – Nein, nein, hat sie darauf gesagt. – Inwiefern nein, nein, das hat sie nicht erklärt. Wahrscheinlich wollte sie damit sagen, dass sie mit den jungen Männern schon geredet hatte, bevor ich angekommen bin und vor dem Laden gehalten habe, weil mir Brigitte Stamm von der Galerie für junge KünstlerInnen ihn mir genannt hatte. Das habe ich der rothaarigen Frau, die gar nicht rothaarig ist, erzählt, und habe dabei gelogen. Ich habe nämlich gesagt, dass ich Brigitte Stamm nach Läden in der Goltz gefragt habe. Tatsächlich hatte ich ihr erzählt, dass ich möglicherweise ein Generationskluft-bedingtes Verständigungsproblem mit Frauen um die 34 habe und dass ich dem mal nachgehen will. Darauf meinte sie, da müssen Sie in die Modeläden in der Goltzstraße gehen, da treffen sie solche Frauen, und hat mir gleich zwei solche Läden genannt. Vor dem einen stehe ich jetzt an mein Fahrrad gelehnt, rede mit der jungen Frau, die in der Sonne steht, um ihre roten Haare für die jungen Männer im Café zum Leuchten zu bringen, während sie Pause macht - von was, kann ich wegen der Korrektheit nicht sagen. Und angelogen habe ich sie, weil ich es für möglich hielt, mit der rothaarigen jungen Frau eine der gesuchten 34jährigen vor mir zu haben und weil ich ihr nicht ihre Unbefangenheit nehmen wollte, indem ich ihr von vornherein klar mache, dass ich in ihr nichts anderes als einen Forschungsgegenstand sehe. Die Verständigung mit ihr war dann jedoch so unkompliziert, dass ich es schon bald ausgeschlossen habe, dass die rothaarige junge Frau zu der für mich problematischen weiblichen Kohorte zählt. Die Verständigung war so, dass sie mir, nachdem sie mir von ihrem schönen Beruf erzählt hatte und von dem Brot-und-Butter-Job, den sie hat, um sich ihren Beruf leisten zu können, bestimmt auch noch ihr Alter genannt hätte (ich tippe mal 27, 28, wenn sie alt ist, 30). Doch dann ist an einer Gesprächsstelle das böse Wort Blog gefallen, und da hat sie ihre Hände abwehrend in meine Richtung gehalten und NEIN gesagt. Auf keinen Fall! Bloß nicht! Schon genug Ärger wegen des Stalkers! Und beschwörend, begütigend, vielleicht auch ein wenig berechnend oder doch nur ganz unschuldig besänftigend hat sie ihre Hand kurz auf meine den Fahrradlenker haltende Hand gelegt und hatte es auf einmal ganz eilig, ihre Pause zu beenden. Nach der Adresse meines Blogs hat sie mich noch gefragt. Und als sie weggehen wollte, ist einer der jungen Männer vom Café herüber gekommen und hat ihr einen  großen Happen Sandwich gebracht mit Rührei, Schinken und Tomate drauf. Den hat sie ohne zu zögern angenommen und sich bei dem jungen Mann mit einem Lächeln bedankt. Während unseres Gesprächs, im vorderen Teil, als sie noch so unbefangen war, hat sie mich gemustert – unauffällig, was natürlich nicht geht. Dabei verweilte ihr Blick lange auf meinen nackten Zehen in den Sandalen und ich brauchte gar nicht hinzugucken, es war mir sofort klar: Ich muss mir dringend die Zehennägel schneiden. Das mache ich jetzt gleich. Aber vorher möchte ich mich noch für ihren unauffälligen Hinweis bedanken. Mit einem Rat: Wenn Sie wieder einmal in der Sonne stehen und ein Kerl wie ich kommt an, dann nutzen Sie den Kerl schamlos aus. Spielen Sie mit ihm, steuern Sie ihn, zeigen Sie sich ihm, wie Sie gesehen werden wollen. Verschaffen Sie sich einen Auftritt! Sie müssen sich nur zeigen, dann frisst er Ihnen aus der Hand (schreiberisch). Und wenn Sie einen guten Tag haben und er einen guten Tag hat, dann macht er Sie berühmt. Nicht nur für 15 Minuten, sondern für immer. Denn das Internet vergisst nichts. Machen Sie etwas daraus, statt in Panik zu geraten.

Montag, 27. Juni 2011

Zielgruppe

Brigitte Stamm von der Galerie für junge KünstlerInnen hat mir ihren Namen genannt und sie hat mir gesagt, dass sie schon gesprochen hat mit ihr über mich. Aber viel hat die Galeristin ihr offenbar nicht erzählt von mir, denn jetzt möchte Karina Pośpiech erst mal wissen, was für ein Blog das ist, in dem ich über sie schreiben will, und nach der Adresse des Blogs fragt sie, um ihn sich anschauen zu können, bevor sie sich mit mir trifft am Donnerstag in ihrem Atelier, um mir ihre Arbeiten zu zeigen: Malerei, Zeichnungen, Siebdrucke. Außerdem hat sie noch ein Projekt Kunst am Bau in der Lindauerstraße, das kann ich mir vorher schon mal anschauen, und Filme hat sie auch gemacht. Einen Film über eine alte Dame in ihrer Nachbarschaft, einen Handyfilm über Obdachlose, der bei einem Festival in Warschau gezeigt wurde, und einen Film über polnische Putzfrauen in Berlin. Den Film über die Putzfrauen würde ich zu gerne mal sehen und den Handyfilm auch, weniger wegen der Obdachlosen, muss ich zugeben, als wegen der Machart. Hoffentlich überlegt Frau Pośpiech es sich nicht anders, wenn sie meinen Blog gelesen hat, denke ich schon während unseres Telefonats und hinterher überlege ich mir, worüber ich heute schreiben könnte, um einen guten Eindruck bei ihr zu machen. Ursprünglich wollte ich über Hila schreiben und das crèmefarbene Kopftuch, das sie heute getragen hat, die Enden des Tuches über der Brust drapiert, und als ich sie fragte, ob ihr das nicht zu warm ist bei dem Sommerwetter, da hat sie mich einen Zipfel des Tuchs befühlen lassen – Baumwolle, so leicht wie ein Hauch, habe ich darauf erstaunt gesagt und hauchdünn damit gemeint. Dann hatte ich noch was über Truman Capote, um aufzuklären, wie das gestern gemeint war mit der Katze, deren Neugier sie das Leben gekostet hat. Und in losem Zusammenhang damit noch was über einen Mann, mit dem ich immer den freundlichsten Umgang hatte, der mich heute aber so was von knapp gegrüßt und finster angeblickt hat dabei, dass mir mein erfreutes Hey!! Hallo! fast im Halse stecken geblieben ist. Die Mutmaßungen darüber, was bei ihm vorliegen könnte gegen mich, lasse ich wegen Frau Pośpiech lieber mal weg. Ist ohnehin besser, wenn ich, statt lange zu grübeln, ihn bei unserer nächsten Begegnung darauf anspreche. Und jetzt schreibe ich noch was über das Telefongespräch mit Karina Pośpiech, damit sie eine Vorstellung davon bekommt, wie es ist, wenn ich über sie schreibe. Ihr Name ist ein polnischer Name – sprich: Poschpiéch. Sie lebt seit 31 Jahren in Berlin. Da sind Sie ja nicht mehr Polin, sondern längst Berlinerin. – Sagen wir polnische Berlinerin, antwortet sie darauf und fügt sinngemäß hinzu: Ich bin sehr gerne Polin. - Pośpiech ist ihr Mädchen- und jetzt ihr Künstlername. Ihr bürgerlicher Name ist ein deutscher Name. Der Name ihres Mannes, mit dem sie zwei Kinder hat (13 und 18). Der bürgerliche Name wird nicht verraten, denn hier wird sie auftreten als Künstlerin. Von ihrer Facebook-Seite weiß ich, dass sie an der UDK studiert hat (Abschlussklasse 1991) und wie sie aussieht. Wenn ich nicht wüsste, wie alt sie ist, hätte ich sie aufgrund ihrer Telefonstimme auf Mitte 20, Anfang 30 geschätzt. Sie hat eine mädchenhafte Stimme und ein frisches, offensives Auftreten. So genau wie sie wollte es noch niemand von mir wissen, was es mit meinem Blog auf sich hat. Für wen schreiben Sie Ihren Blog? hat sie mich zum Beispiel gefragt. – Als sie mich mit dieser Frage überrascht hat, habe ich die Antwort noch nicht gewusst, weil ich mir die Frage so noch nie gestellt hatte. Ich habe mir immer nur überlegt, was ich tun kann, um noch mehr Leser zu bekommen. Aber das habe ich ihr erst später erklärt, dass das so ist. Erst mal habe ich mich ein wenig provoziert gefühlt von ihrer Frage und habe mit unterdrücktem aggressiven Unterton und der Gegenfrage geantwortet: Für wen machen Sie Kunst? – Da musste sie auch einen Moment überlegen und hat dann gesagt: Von der Altersgruppe her eher für Leute über 35 und sonst: für Leute, die sich für Kunst interessieren. – Unterdessen hatte ich mir klar gemacht, dass das für eine Künstlerin eine ganz selbstverständliche Frage ist, die sie mir gestellt hatte: die Frage nach der Zielgruppe. Und inzwischen hatte ich auch die Antwort gefunden darauf, für wen ich schreibe: Am Ende eher für Leute meines Alters als für 17jährige. Aber sonst, Frau Pośpiech, schreibe ich für alle. Ich schreibe, was ich will und wie es mir gerade einfällt, aber ich gebe mir Mühe, so zu schreiben, dass jeder es verstehen kann. Mein Ziel ist es, irgendwann mehr Leser zu haben als die Bild-Zeitung, sage ich lachend und meine das im Spaß, aber als Zielgruppendefinition ist es mein voller Ernst. Heute allerdings gibt es ausnahmsweise nur eine Zielperson. Ich hoffe, ich habe Sie erreicht und es bleibt dabei: Donnerstag, 12 Uhr, Kyffhäuserstraße, in Ihrem Atelier.

Sonntag, 26. Juni 2011

Pädagogisch

True Grit ist in den USA zu den Weihnachtsfeiertagen 2010 in die Kinos gekommen und da hat der Film gut funktioniert. Denn da hatte die ganze Familie was zu reden nach dem Kinobesuch. Vor allem über die 14jährige Mattie Ross, die Altkluge und Eigensinnige, die es sich in den Kopf gesetzt hat, die Ermordung ihres Vaters zu rächen, und mit einem Kopfgeldjäger und einem Texas Ranger ins Indianerland reitet, um den Mörder zu jagen. Am Ende ist der Mörder gestellt und von ihr erschossen, aber der Rückstoß des Gewehres haut sie um und sie stürzt in eine Höhle, in der es sie erst graust vor einer Leiche, die dort liegt, und sie dann von einer Giftschlange gebissen wird, die im Bauch des verwesten Mannes schlummert und aufgeweckt wird, als Mattie der Leiche das Hemd wegzieht. Hätte ich nicht gemacht. Curiosity killed the cat. – And satisfaction brought it back? Doch das ist eine andere Geschichte. In True Grit (grit = Schneid) geht es so aus, dass Mattie von der Schlange in den rechten Arm (oder war es die Hand?) gebissen wird und halbtot ist, als der Kopfgeldjäger mit ihr den nächsten Zivilisationsposten erreicht, wo ihr das Leben gerettet wird. Doch dazu müssen ihr Hand und Unterarm amputiert werden, weil se schon schwarz sind. Das ist ein sehr pädagogisches Ende. Da müssen Mutter und Vater gar nicht viel sagen, das sehen die Kinder selbst, wohin es führt, wenn man so ist wie Mattie. Erst habe ich mich ein bisschen gelangweilt bei dem Film, weil Mattie immer gleich ist und die Schauspielkunst, mit der Jeff Bridges und Matt Damon die Kauzigkeit des Kopfgeld-Kauzes und des Texas-Kauzes zeichnen, die war mir anstrengend, aber dann hat es mich doch gepackt und ich habe an ein paar Stellen des Films reagiert wie in einer Kindervorstellung: Oh nein! Tu´s nicht! - Und das war überraschend und sehr schön, mich wieder einmal so erleben zu können.    

Eigensinn. Sturheit. Nie aufgeben. Hartnäckigkeit als Charakterfehler. Anruf bei einer der besten Freundinnen, früher eine der treuesten Leserinnen des Blogs, jetzt liest sie ihn nur noch sporadisch. weil ihr die Zeit fehlt; wäre sie noch süchtig wie zu Anfang, würde sie sich die Zeit nehmen. Zwei Fragen, Anneli. Würde dir was fehlen, wenn ich die Hacker- und Nachbarschaftsgeschichte im Blog nicht mehr weiter verfolgen würde? – Anneli: Im Gegenteil, es würde mich freuen, wenn diese Geschichte endlich aufhören würde. Es wäre wie eine Befreiung. – Das empfinde ich auch so. Ich wollte es nur noch mal aus deinem Mund hören. In der Hoffnung, dass es dann mehr Eindruck auf mich macht, als wenn ich es mir selbst sage.

Die zweite Frage betraf die unreifen Pfirsiche im Angebot der Supermärkte – und der Apfelgalerie. Ja, auch dort werden die Pfirsiche in einem Zustand verkauft, dass man sie zu Hause erst ein paar Tage hinlegen muss, um sie nachreifen zu lassen. Das schreibt mir Caty Schernus in einer Mail zu meinem Posting Reif, für das sie sich bedankt, aber was die Reife der Pfirsiche angeht, muss sie mir ein Mal mehr widersprechen: denn das geht gar nicht anders als so, die Pfirsiche in den Handel zu bringen. - Anneli muss erst mal lesen, was ich über die Pfirsich-Reife geschrieben habe, bevor sie dazu etwas sagen kann. Sie weist allerdings jetzt schon darauf hin, dass es immer wieder vorkommt, dass die zum Nachreifen daliegenden Pfirsiche, wenn sie an einer Stelle angestoßen sind, an dieser Stelle zu faulen anfangen, noch bevor sie weich geworden und zum Verzehr geeignet sind. - Neben Anneli werde ich noch andere ExpertInnen zum Thema unreife Pfirsiche befragen und darüber auch das Gespräch mit Caty fortsetzen. Nicht nur wegen der Wichtigkeit der Pfirsiche, sondern auch, um herauszufinden, ob es sich um einen auch von anderen erlebten Missstand handelt oder ob ich spinne. Wenn das so sein sollte, werde ich es zugeben. 

Zum Schreibunfall von gestern siehe Das innere Biest.

Samstag, 25. Juni 2011

Faul

Ich bin müde. Ich bin faul. Ich will mir gleich True Grit, den Film der Coen-Brüder anschauen, den ich mir bei Videoworld geholt habe. Der Textentwurf von heute Nachmittag ist missglückt. Das Beste, was ich tun kann: ihn aufgeben. Vielleicht erzähle ich morgen, was in dem Text passiert ist. Vielleicht gehe ich morgen auch einfach weiter, weil es mir nicht mehr wichtig erscheint, was in dem Text passiert ist. Vielleicht ist das Wichtige heute gewesen, dass mir der Textentwurf misslungen ist und dass ich nicht versucht habe, ihn zu retten. Vielleicht ist das der Schnitt, den ich machen sollte. Damit etwas anderes anfangen kann, es muss gar nicht mal neu sein.

Freitag, 24. Juni 2011

Machtlos

Vorsicht langweilig! – Nur für Leser, die es genau wissen wollen, für alle anderen geht es weiter mit Spucken. – Ich gebe bei Google ein: Facebook password hack und bekomme eine Trefferliste, die mir sämtliche Illusionen nimmt, was Passwort-Sicherheit angeht. Bei Facebook den Hack meines Passworts zu melden, kann ich mir also schenken. Die sind so machtlos wie ich. Das Einzige, was hilft gegen einen solchen Übergriff, das ist, niemanden zu kennen, der so etwas macht. Denn wer es machen will, der kann es auch. – Einzige wirksame Möglichkeit, sich davor zu schützen: den Facebook-Account deaktivieren. Kein Account, kein Passwort, kein Hack. Das kann ich immer noch machen. Nichts überstürzen. Vielleicht fällt mir noch etwas Besseres ein. 

Obwohl ich seit Tagen nur in der Bibliothek in den Facebook-Account von Biest zu Biest gehe, ist die Seite zweimal manipuliert worden, indem bei Page visibility angekreuzt wurde: Only admins can see this page. Heißt: Nur der Administrator der Seite, also ich, kann sie sehen. Alle anderen nicht. Die Seite ist mit dieser Einstellung nicht öffentlich. Es erscheint dann die Meldung: Your page has not been published. Diese Meldung bekam ich am Mittwoch. Darauf habe ich mein Passwort geändert. Heute habe ich sie wieder bekommen. Klar. Denn in der Zwischenzeit hatte wieder jemand ein Häkchen gesetzt bei Only admins can see this page. Ich war es nicht. Und nachdem ich nun weiß, wie einfach es ist, das Passwort zu knacken, um Zugang zu meiner Seite zu bekommen und sie manipulieren zu können, da kann ich es mir auch schenken, nur noch in der Bibliothek auf die Seite zu gehen. Denn, um das Passwort zu knacken, muss man nicht in meine Rechner eingehackt sein.

Wegen der Leichtigkeit, mit der ein Facebook-Passwort zu knacken ist, erübrigt es sich auch, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Denn die werden mir sagen, was ich schon weiß: Jeder kann das machen, wenn er es nur will. Und der einzige sichere Schutz davor ist, keinen Facebook-Account zu haben. Ich bin also machtlos und das will mir die andere Seite zeigen: dass sie mich kontrollieren kann und ich ihrer Willkür ausgeliefert bin.

Spucken
Was einer wie ich so macht, wenn er seine Machtlosigkeit gezeigt kriegt. Nach der Bibliothek gehe ich durch die Hauptstraße. Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn mir jetzt eine bestimmte Person begegnen würde, und ich spucke aus. Das habe ich mir nicht überlegt. Das ist ein Reflex und es ist die Antwort auf die Frage, was ich machen würde: ich würde vor der Person ausspucken, wenn sie mir jetzt entgegen käme. Die Person, vor der ich ausspucken würde, ist nicht die männliche Person. Ich wiederhole das Ausspucken, zwei-, dreimal, bis ich mir vorkomme wie ein zorniges Kind und mir denke, dass ich jetzt so reagiere, wie die männliche Person es haben will. Dass es dazu kommt, dass ich der weiblichen Person mit Verachtung begegne. Mit noch viel größerer Verachtung als ihm, denn von ihm habe ich nichts anderes erwartet. Er hat sich als der erwiesen, für den ich ihn von Anfang an gehalten habe. Aber sie … .

Donnerstag, 23. Juni 2011

Kontext

Am Mittag geläutet beim Künstler der Woche, nur um es noch mal versucht zu haben. Doch dann überraschend schlurfende Schritte hinter der Tür. Ja? - Ich sage ihm meinen Namen und dass ich ihn seit Tagen zu erreichen versuche.  – Kontext? fragt er barsch. – Ich sage mein Begehr und noch bevor ich fertig bin damit, geht die Tür auf, ich trete ein und folge ihm ins Innere seines .. . Cut und Ende. Weil der Künstler der Woche hat mir eine Mail geschrieben, in der er auflistet, über was alles ich nicht schreiben soll, zum Beispiel auch nicht über die Räume, in denen ich ihn angetroffen habe. Darauf habe ich ihm geantwortet: 
Die Einschränkungen, die Du mir vorgibst, versuche ich zu verstehen; ist aber eine völlig neue Situation für mich. Was soll ich damit anfangen? - Ich habe heute Nachmittag einen Textentwurf geschrieben darüber, wie ich Dich kennengelernt habe vor einigen Jahren und wie ich dann anfing mich für Dich und Deine Arbeit zu interessieren. Nehme an, das wird Dir nicht gefallen, weil es Dir zu persönlich ist. Fürchte, ich stehe gerade mit leeren Händen da. Kein Drama. Nur leere Hände. Weiß noch nicht, was ich machen werde. Könnte sein, nichts über Dich.
Würde gerne im Gespräch bleiben mit Dir. Aber wisse: Ich schreibe im Blog über mein Leben. Wenn Du in mein Leben kommst, bist Du im Blog. Wenn Du nicht im Blog sein willst, gucke ich an Dir vorbei.
Das werde ich nachher posten, statt des Textes vom Nachmittag. Der andere Text hätte mehr erzählt von Dir. Das willst Du nicht. Akzeptiert.

Nach meinem Besuch beim Künstler der Woche habe ich zufällig die Galeristin getroffen. Sie hat erzählt von den Erfahrungen, die sie mit ihm gemacht hat, mich aber gebeten, sie bloß nicht zu zitieren. Das hätte ich ohnehin nicht getan, weil ich mir vorgenommen hatte, ganz andere Erfahrungen mit ihm zu machen. - Im Posting vom Donnerstag hatte ich ihren Namen Liljana Mulin-Hinrichs geschrieben. Sie hat mir darauf gemailt: Bei meinem Nachnamen haben Sie einen kleinen Fehler ... ich bin eben  Vulin-Hinrichs. -  Ich hatte das V auf ihrer Visitenkarte als M gelesen. Ich brauche.eine stärkere Lesebrille.. - Das hat Liljana an ihren Mann erinnert. Der hat gemerkt, dass er eine stärkere Brille braucht, als er ihr zu ihrem letzten Geburtstag ein Herrenparfum gekauft hat. Danach haben wir noch über ihren Urlaub gesprochen, den sie mit ihrem Sohn (8) und ihrer Tochter (13) auf Ibiza verbringen wird. In diesem Zusammenhang hat Liljana den schönen Satz gesagt: Kinder sind die beste Gesellschaft, die man haben kann.

Das Gespräch mit dem Künstler der Woche, das trotz der leeren Hände ein gutes Gespräch gewesen ist. Der schöne Satz der Galeristin. Und dann noch der Lacher von heute Morgen. Der Perlentaucher weist auf einen Artikel in der Jüdischen Allgemeinen und diese Anekdote hin: Berlin. Reichstag. Riesenandrang vor dem Besuchereingang zur Glaskuppel des Reichtagsgebäudes und es geht einfach nicht voran. Junge Frau, russischstämmige Jüdin, zu ihrer Begleiterin: Mein Opa ist 1945 hier schneller reingekommen. 

Mittwoch, 22. Juni 2011

Reif

Die LPG Markendorf war eine der größten Obstanbau-Genossenschaften in der DDR. Der Gartenbauingenieur Thomas Bröcker war in der LPG in leitender Funktion tätig und hat sich nach der Wende selbständig gemacht. Caty Schernus ist also nicht auf einem Bauernhof aufgewachsen, wie ich zuerst gedacht hatte. Caty war bereits 14, als ihre Mutter, die Bibliothekarin Claudia Schernus, sich nicht nur menschlich, sondern auch geschäftlich mit Thomas Bröcker zusammengetan und mit ihm 1990 das Unternehmen Obsthof  Schernus & Bröcker gegründet hat. - Der für uns relevante Teil der Unternehmensgeschichte beginnt damit, dass Caty Schernus, nachdem sie Kulturwissenschaften studiert hatte, nach Berlin gezogen ist, hier zwei Jahre lang bei einer PR-Agentur arbeitete, und als sie danach arbeitslos war, auf einen leerstehenden Laden in der Goltzstraße 3 aufmerksam wurde. Sie hätte sich auch als PR-Beraterin selbständig machen können, sagt sie. Aber warum für andere Unternehmen arbeiten? Warum nicht mit all dem, was sie gelernt hatte, in das Familienunternehmen ihrer Mutter einsteigen, es PR-technisch betreuen - und das Direktvertriebsnetz des Obsthofes Schernus & Bröcker nach Berlin ausweiten?

Der im Herbst 2007 eröffnete Laden mit dem Namen Apfelgalerie ist mir sofort aufgefallen. Woran zu erkennen ist, wie gut der Name funktioniert. Einerseits. Zugleich habe ich mich gefragt, was ist das denn für ein putziger Versuch? Die Boutiquisierung von Äpfeln? Denn in dem Laden gab es anscheinend nur Äpfel, allerdings in einer ungewöhnlichen Sortenvielfalt. Ob das angenommen wird, ob ein Laden damit überleben kann? habe ich mich gefragt und wegen der Sortenvielfalt nahm ich mir vor, mich bei Gelegenheit im Laden zu erkundigen, ob sie Goldparmänen haben, meine Lieblingsäpfel aus meiner Kindheit, die seit Jahrzehnten aus dem Obstangebot verschwunden sind. Da ich es nicht gleich gemacht habe, habe ich es vergessen. Der Laden geriet aus meinem Blick. Verschwand von meinem inneren Stadtplan, da ich fest davon überzeugt war, dass eine Apfel-Boutique keine Überlebenschance hat. Bis ich vorletzte Woche bemerkt habe, dass es den Laden immer noch gibt, und auch gleich die Erklärung dafür bekam, als ich sah, dass in der Apfelgalerie nicht nur Äpfel verkauft werden, sondern auch Kartoffeln, Spargel, Erdbeeren, Kirschen, Tomaten, Gurken. Was gerade wächst in der Mark Brandenburg. Also keine Pfirsiche aus Südafrika im Januar und keine Birnen aus Argentinien im Mai. Birnen gibt es im Herbst. Pfirsiche demnächst. Und das werden reife Pfirsiche sein, betont Caty Schernus und muss mir gar nicht erklären, was das bedeutet: Keine Supermarktware aus Spanien, Frankreich oder Italien, die sicher noch intensiver, noch pfirsiger schmecken würden als die Pfirsiche aus Markendorf – wenn sie nicht wegen Transport- und Lagerlogistik unreif geerntet würden, um dann mit einer Härte, die sie schlagwaffentauglich macht, in Berliner Supermärkten angeboten zu werden. Die müssen Sie nur ein paar Tage lang liegen lassen, dann sind sie reif und schmecken, sagt die Supermarkt-Verkäuferin und es sei ihr verziehen. Sie ist nämlich noch so jung, dass sie gar nicht wissen kann, wie ein natürlich gereifter Pfirsich schmeckt. Seit sie Pfirsiche isst, sind die Logistiker im Obsthandel an der Macht und haben die Probleme mit der Verderblichkeit der Ware auf die Kunden abgewälzt, indem sie ihnen Früchte verkaufen, die zwar irgendwann weich werden, wenn man sie lange genug liegen lässt, aber niemals das Aroma einer am Baum gereiften Frucht entfalten. – Mein Unverständnis für die Kunden, die das mit sich machen lassen. Mein aufgestauter Ärger. Meine Worte. Caty Schernus würde das bestimmt anders formulieren. Würde sicher auch da meine Eindrücke korrigieren, wie sie es mehrfach - ach was! -, andauernd gemacht hat bei unserem ersten und bei unserem zweiten Gespräch. Nein, wir haben uns nicht gut verstanden. Vielleicht, weil wir auf verschiedenen Umlaufbahnen unterwegs sind. Oder auch nur deshalb, weil ich ihr so dumm gekommen bin, als ich das erste Gespräch eröffnet habe mit der Bemerkung, wie erstaunt ich bin, dass es ihren Laden immer noch gibt, nachdem sie zu Anfang nur Äpfel im Angebot hatte. Und schon ging es los mit den Korrekturen meiner Eindrücke. Äpfel seien zwar von Anfang an das Kerngeschäft gewesen (30 Sorten!), und da sie ausschließlich Obst und Gemüse der Saison verkaufen, gab es eben, als sie im September vor 4 Jahren eröffnet haben, vor allem Äpfel, aber es gab da auch schon Birnen und Kartoffel. – Da habe ich gesagt, dass sicher auch der Name irreführend für mich war: Äpfel-Galerie. – Worauf sie mich gleich wieder korrigiert hat: Apfel-, nicht Äpfelgalerie. – So. Immer weiter. Und selbst, wenn ich mal etwas sage, an dem es nichts auszusetzen gibt, wie heute, läuft es nicht rund. Ich: Die Erdbeeren, die ich am Montag bei Ihnen gekauft habe, waren sehr gut. Sie: Wir haben aber auch noch andere Sorten, nicht nur die eine. – Uff! – Trotzdem hat sie mich als Kunden gewonnen. Wegen der Erdbeeren, wegen der Kirschen, wegen der Tomaten, wegen der Pfirsiche, wegen der Aprikosen, wegen der Birnen, wegen der Goldparmänen. Ja, sie werden Goldparmänen haben im Herbst. Im Winter dann nicht mehr, denn Goldparmänen lassen sich nicht so gut lagern, und das ist auch der Grund, warum sie nicht ins Massenwarenangebot der Supermärkte passen, hat Caty mir erklärt, wenn sie es auch nicht so polemisch formuliert hat mit dem Seitenhieb auf die Massenware. Das ist nicht ihre Art. Sie ist nur kritisch. Sehr kritisch. Will nicht wissen, was bei diesem Text alles an Korrekturen auf mich zukommen wird.

Apfelgalerie Schöneberg 
Caty Schernus 
Goltzstraße 3 
10781 Berlin 
Telefon: 030 - 44 70 56 30 
E-Mail: info@apfelgalerie.de 
Öffnungszeiten:
Montag - Freitag 11-19 Uhr
Samstag 11-15 Uhr

Dienstag, 21. Juni 2011

Gefällig

Kurz bei Gülcan im Tabakwarenladen reingeschaut. Wie es mir geht? – Keine guten Tage. - Warum denn nicht? – Weiß noch nicht. Was macht der Lotto-Lehrgang? –  Ist vorbei. – Prüfung bestanden? – Mit null Fehlern. – Glückwunsch, sage ich nicht. Wäre übertrieben. Jetzt bist du Lotto-Fachfrau, sage ich stattdessen anerkennend. Was auch blöd ist.

Monika kommt bei Südwind raus und fragt mich nicht, wie es mir geht. Dafür kriegt sie es voll ab.
Na? sage ich.
Na? sagt sie. Lebste noch?
Was ist´n das für´ne Frage? entgegne ich.
Ich geh da lang, sagt sie und deutet nach geradeaus.
Ich da, sage ich und wende mich ab. 

Nach links in die Belziger, Nummer 25, in die Galerie subjectobject. Um die Suche nach dem Künstler mit dem Künstlernamen fortzusetzen, der irgendwo im Hinterhaus seine Wohnung hat und sein Atelier. Die Galeristin weiß sofort, wen ich meine. Er hat bei ihr ausgestellt vor zwei Jahren. Sie fragt, was ich von ihm will. – Seine Arbeit anschauen, um eventuell über ihn zu schreiben. – Kennen Sie ihn? – Einmal mit ihm gesprochen vor längerem. Wir sehen uns ab und zu auf der Straße, grüßen uns aber nicht. Eine gemeinsame Bekannte war sehr beeindruckt von seinen Bildern. Was ich nicht erzähle: dass mir ein Malerkollege abgeraten hat, mit ihm Kontakt aufzunehmen, und seine Arbeit nicht so beeindruckend findet. Er sei schwierig, ein Außenseiter, sagte der Kollege und meinte das nachteilig. Dann möchte ich mir seine Arbeit erst recht anschauen und ihn näher kennenlernen, habe ich mir darauf gedacht. Die Galeristin deutet auf das Hinterhaus, da in der zweiten Etage, da hat er sein Atelier. Morgen gehe ich hin. Und jetzt schaue ich mir die Ausstellung in der Galerie an: Sabine Kasan. Alltagsruhm. 


Die Galeristin erzählt, es sei – wegen der großen Nachfrage – bereits die zweite Ausstellung der Künstlerin innerhalb von eineinhalb Jahren. – Sehr gefällig, sage ich mich umblickend. Variation des Themas Essen und Trinken. Gläser, Teller, Besteck auf weißem Tischtuch. Spargel, Zitronen, Löwenzahn. Ein rosa Schweinchen. Auf einem Teller eine Bratwurst, daneben ein Senfklecks. Stillleben. Nicht blöd. Aber: Ist es nicht erstaunlich, wie konventionell viele gegenwärtige Künstler malen, sage ich zur Galeristin. – Eine Ausstellungsbesucherin in meinem Alter hat zugehört und kann mir da nur zustimmen. Versteht das nun aber völlig anders als ich. Sie erzählt von einem Bild, das sie neulich gesehen hat, das sei gewesen, als habe der Künstler sein Zahnputzglas auf der Leinwand ausgekippt, und da sei sie sich als Betrachterin verarscht vorgekommen, sagt sie sinngemäß mit der Wortwahl einer Frau, die ein Zahnputzglas benutzt. Ich benutze keines. Ich ziehe mich zurück und schaue in den Nebenraum, wo eine frühere Phase der Malerei Sabine Kasans zu sehen ist: Frauenkleidung. Plisseerock. Rote Pumps. Dessous. Gröber, härter diese Bilder. Gefällig sicher nicht. Ausstellung noch geöffnet bis Donnerstag, und weil danach die Sommerpause beginnt, hängen die Bilder bestimmt noch ein paar Tage länger, sagte die Galeristin: Liljana Vulin-Hinrichs. 
Kommunikation Gestaltung Ausstellung
Belziger Straße 25
10823 Berlin
Telefon 78 00 60 01

                           
Bilder: © Sabine Kasan

Montag, 20. Juni 2011

Verschlossen

Heute fällt mir nichts ein. Die Stille nach dem Schluss? Unwahrscheinlich. Schreibe ich als Statusmeldung auf der Facebook-Seite von Biest zu Biest, wo ich jeden Morgen das Link zum Text des Vortags poste. Das interessiert so gut wie niemanden. Zwei Besucher täglich hat die Seite im Durchschnitt. Das kann sich auch mal ändern. Aber nicht, wenn die Seite nicht publiziert ist. Immer mal wieder kriege ich von Facebook die Meldung: Your page has not been published. Ob ich das jetzt machen will, werde ich gefragt. Gerade gestern wieder. Na, klar will ich das. Taste drücken und ab! Wie oft eigentlich noch? Was ist da los? An Facebook liegt es bestimmt nicht. Facebook funktioniert so einfach wie zickenfrei. Funkt mir da jemand von außen dazwischen? Ich habe kein Interesse an dieser Erklärung. Ich will nicht, dass mir so etwas passiert. Ich will mit Leuten, die so etwas machen, nichts zu tun haben. Ich kann mir meine Welt erschaffen, indem ich mir sorgsam aussuche, wen und was ich in meinen Kopf lasse. Und mit wem oder was ich mich schreiberisch beschäftige sowieso. Heute soll das die Apfel-Galerie in der Goltzstraße sein.  Da bin ich am Samstag schon gewesen. Aber da war so viel los im Laden, da wollte ich nicht stören mit meinen neugierigen Fragen. Heute passt es bestimmt besser. Doch bevor ich da hingehe, will ich erst noch in die Bibliothek, um dort an einem Internet-PC das Passwort für die Facebook-Seite von Biest zu Biest zu ändern. Warum mache ich das dort und was habe ich davon? Das lasse ich jetzt mal weg. Wenn es mir selbst schon wie Paranoia-Stoff vorkommt, was sollen dann erst andere denken? Der Nachbar oder seine zauberhafte Freundin zum Beispiel. Wenn ich hier den Eindruck erwecke, er würde, eingehackt wie er ist bei mir, meine Facebook-Seite manipulieren (so dass sie im Netz nicht gefunden werden kann, weil sie auf nicht publizieren eingestellt ist). Als hätte er nichts Besseres zu tun, als solche Bubenstücke auszuhecken. Da nimmt der mich doch als Gegner nicht mehr ernst, wenn ich damit ankomme. Was allerdings voraussetzen würde, dass er meinen Blog liest, und das würde er mit Sicherheit weit von sich weisen. Ihren Blog lese ich alleine schon deshalb nicht, weil ich Ihnen meinen Klick für Ihre Blogstatistik nicht gönne. Das würde ich an seiner Stelle sagen. Aber so ist er nicht. Er steht da drüber. Blog? Sie schreiben einen Blog? – Und in dem Blog, da schreibe ich schon wieder über den Nachbarn? Ja, weil kaum hatte ich das Haus verlassen, wer kommt mir entgegen? Ein älterer Herr, der mich nach dem Weg zum Schöneberger Rathaus fragt. Und als ich weitergehe und mich noch freue darüber, dass ich behilflich sein konnte (er hätte schließlich auch nach was fragen können, was ich nicht weiß), kommt ein großer Mann mir entgegen, riesiger Kerl mit einer Flasche Orangensaft in der Hand, die er sich gerade gekauft hat, und als er an mir vorbei geht, denke ich: Hey, ist das nicht der Nachbar? Gar nicht gleich erkannt, vielleicht wegen der kürzeren Haare, frisch geschnitten. Spätestens in dem Moment muss er mich auch erkannt haben, denn er guckt von der Höhe seiner 2 Meter, die er bestimmt misst, auf mich herab – mit einem Ausdruck, den ich beschreiben könnte als geringschätzig oder verächtlich. Aber das kann auch eine Projektion sein. Zweifelsfrei ist: er guckt - bedingt durch den Höhenunterschied – auf mich herab, wie man nicht jemanden anguckt, der einem unbekannt ist. Das kann nur heißen, dass er sich daran erinnert hat, dass ich neulich in seinem Wohnzimmer zu Gast war und an unser Gespräch hat er sich vielleicht auch noch erinnert. Aber gegrüßt hat er mich deswegen nicht und nicht einmal den Ansatz eines Lächelns gezeigt hat er. So wie ich es getan habe, als ich ihn erkannte, ihn dann aber auch nicht gegrüßt habe, wegen des Blicks von oben herab und der Verschlossenheit seiner Miene. – Was bist du aber auch stur! habe ich mich hinterher gescholten. Wenn er so verschlossen ist, muss ich da mitmachen? Vielleicht wäre er ja gerne erlöst worden von mir aus seiner Verschlossenheit. Vielleicht würde er gerne mit mir reden. Vielleicht will er mir was sagen oder einfach nur unseren Umgang entspannen. - So wie der geguckt hat? - Die Wahrheit ist: Was war das denn? habe ich gedacht nach dieser unheimlichen Begegnung und innerlich Pfff habe ich gemacht. Dann bin ich in die Bibliothek, habe das Passwort meines Facebook-Accounts geändert und anschließend bin ich zur Apfel-Galerie gegangen in die Goltzstraße und im Gespräch mit der Besitzerin habe ich schnell gemerkt, dass der Laden noch viel interessanter ist als ich erwartet hatte. Dass ich mich gescholten habe wegen meiner Sturheit und mir dann überlegt, dass der Nachbar vielleicht gerne erlöst werden würde aus seiner Verschlossenheit, das ist alles erst jetzt passiert beim Schreiben. Dazu ist das Schreiben da, dass etwas passiert, was sonst nicht passieren würde. Aber was mache ich nun damit? – Die richtige Antwort lautet: Ihn anrufen. - Mache ich jetzt. - Anrufbeantworter. Er ist nicht da oder er geht nicht ans Telefon. 17.53 Uhr. Sicher nicht da. - Was hätte ich gesagt, wenn er ans Telefon gegangen wäre? - Hat es an mir gelegen, dass wir uns nicht gegrüßt haben, weil ich Sie nicht sofort erkannt habe? Das ist mir mit Ihrer Freundin übrigens auch einige Male passiert, dass ich sie in meiner verträumten Art zu spät erkannt habe, und als mir dann klar wurde, hey, das war sie eben, da war es schon zu spät. Sie hat es mir allerdings auch nicht leicht gemacht, weil sie mich immer angeguckt hat, als hätte sie mit der Situation nichts zu tun. Wenn ich es mir recht überlege, hat sie genauso verschlossen geguckt wie Sie heute Mittag. Keine Miene verzogen, kein Lächeln. Tatsächlich! Identische Körpersprache haben die beiden. Wie ein altes Ehepaar. Ich schweife ab. - Von seiner Verschlossenheit ihn erlösen. 21.05 Uhr. Nächster Anrufversuch. Wieder Anrufbeantworter. Nicht da? Verreist? Vielleicht hat er sich den Orangensaft für die Reise gekauft. Inzwischen beschäftige ich mehr mit ihm als mit ihr. Vielleicht ist das seine Absicht. Menschlicher Schutzschild. Schlau.

Ohne Bezug zum Text: Foto, von dem ich nicht genug kriegen konnte, nachdem ich es heute Früh entdeckt hatte in dieser Fotogalerie, Und hier nochmal das Foto einzelnOn the set of Fritz Lang’s Metropolis — the actress inside the Maria robot taking a breather.

Sonntag, 19. Juni 2011

Spiritualität

The Tree of Life. Der neue Film von Terence Malick ist im Odeon angelaufen. Erinnerung an die Berichterstattung aus Cannes, wo er den größeren Teil des Fachpublikums umgehauen, den anderen Teil wütend gemach hat. Die Filmkritik von Diedrich Diederichsen in der taz. Ich bemerke amüsiert und gerührt, dass der verehrte Pop-Professor offenbar auch ein prägendes Kindheitserlebnis mit dem Bildband Die Welt in der wir leben hatte. Und sonst habe ich mir das schon so gedacht: Spirituelle Hochstimmung. Kinokathedrale. Eindeutigkeit eines Gottesdienstes. Schön ist die Formulierung: bestdirigierte Mahler-Symphonien im Zusammenhang Soundtrack von The Tree of Life. Beim Nachlesen stelle ich fest, dass DD geschrieben hat: wohldirigierte Mahler-Symphonien. Ich bleibe bei bestdirigierte. Gehe heute Nachmittag nicht ins Kino. Schaue mir den Film ein andermal oder auf DVD an, was bei der zu erwartenden Bilderpracht ein Frevel ist. Spiritualität im Kino finde ich albern. Fehl am Platz. Dafür gibt es Tempel, Synagogen, Moscheen, Kirchen, Waldlichtungen, Berggipfel, Seeufer, LSD und Lyrik. Ich versuche es mit einem Doppelklavierkonzert von Rachmaninov mit Martha Argerich in einer der beiden Hauptrollen. Klappt nicht. Heute nicht. Ich suche in der Beltzigerstraße 25 die Wohnung des Künstlers dieser Woche - wenn er es sein wird. Denn erst mal muss ich den Kontakt zu ihm herstellen und an der Haustür finde ich nicht seinen Namen. Weil der offenbar ein Künstlername ist und seinen Klarnamen kenne ich nicht. Ich gehe zu Videoworld und leihe mir einen Film aus, der garantiert spiritualitätsfrei ist. Wenn auch nicht frei von Philosophie. La philosophie dans le boudoir. Da ist sie gut aufgehoben, die Philosophie, im Schlafzimmer. Aber im Kino hat sie nichts verloren. Bergman, lächerlich (ausgenommen Das siebente Siegel und Fanny und Alexander). Tarkowski, öde (ausgenommen Andrej Rubljow). Das mit der Ernüchterung (Posting Feedback von heute Mittag), soll ich das erklären? Alles ist gesagt, nur das noch nicht. Unterwegs fange ich schon an Sätze zu formulieren darüber, was es mir erzählt hat von ihr, als ich ihn kennengelernt habe. Ich schlage mir das aus dem Kopf. Ich freue mich wie jedes Mal, in der Back-Factory die dunkelhaarige junge Frau mit dem dezenten Nasenpiercing zu sehen, ich vermeide es wie jedes Mal mit ihr zu flirten. Ich mache Sinan ein zwiespältiges Kompliment, als ich sage, mit seinen frischgeschnittenen Haaren sieht er wie ein kleiner Junge aus. Dabei erfahre ich, dass er nicht erst 30 ist, sondern im September 36 wird. Ich überlege, ob ich in der Wohnung gegenüber anrufen soll, heute nicht in der Erwartung, dass sie drangeht, das macht sie ja doch nicht (muss man sich mal vorstellen, sie geht nicht ans Telefon), sondern ich würde erwarten, dass er drangeht, ihr Freund. Ich könnte ihn fragen, ob er sich noch an unser Gespräch erinnert über seine Freundin, in dem er sagte, dass es sie nicht gibt, und wenn er sich noch daran erinnert, könnte ich ihm erzählen, dass ich sie letzten Donnerstag auf seinem Balkon habe sitzen sehen und sogar hergeguckt zu mir rüber hat sie. Natürlich würde er wieder irgendetwas grotesk Ausweichendes antworten. Aber was, das würde mich schon interessieren. Doch ich schlage mir das aus dem Kopf. Weil es macht mir keinen Spaß mit ihm zu tun haben. Auf jeden Fall so lange nicht, wie ihm nichts anderes einfällt, als mich zum Deppen machen zu wollen. Dazu brauche ich ihn nicht. Das kann ich besser. Und schon bin ich wieder bei dem, was es mir erzählt, dass sie mit ihm zusammen lebt, dass das ein Teil ihres Lebens ist, wie er ist, und ich weiß jetzt, wie er ist. Ich schlage sie mir aus dem Kopf.  

Samstag, 18. Juni 2011

Feigling

Menschenscheu war gestern. Selbst, wenn ich so weiter machen wollte, heute würde es mir nicht gelingen. Denn heute sind alle so kommunikativ. Und die hässlichen Menschen sind alle zu Hause geblieben, sitzen hinter ihren zugezogenen weißen Vorhängen und grämen sich. Insiderwitz.

Im Hallenbad am Heidelberger Platz wurden vor drei Wochen bei einer Routinekontrolle Legionellen in der Männerdusche entdeckt. Seither sind nur noch vier Warmduschen in Betrieb, mit Duschköpfen versehen, die mit Ultrafiltermembranen ausgestattet sind. Inzwischen sind auch die Kaltduschen abgestellt, was bei den sich um die Warmduschen drängenden Badegästen heute Morgen Verwunderung ausgelöst hat, denn Legionellen gedeihen nur bei Wärme. Ist doch so, oder? – Natürlich ist das so. - An den vorhergehenden Tagen war das Bad geschlossen. Desinfektionsmaßnahmen, nachdem bei einer  Prüfung vor vier Tagen wieder Legionellen gefunden worden waren, - Ich muss es anders erzählen. Samstags öffnet das Bad erst um 7 Uhr. Kurz nach 7 treffe ich ein und es kommt mir ein alter Herr entgegen, der das Gebäude eilig verlässt.  – Badehose vergessen zu Hause? Oder ist ihm übel geworden? Oder ist er schon durch? Öffnen Sie jetzt Samstags früher? frage ich den Mann an der Kasse. – Tun sie nicht. Aufklärung beim Ausziehen in der Umkleide, wo ich ein Gespräch belausche, das einen Kabinengang weiter geführt wird. Es geht um den Legionellenbefall, der nach neuesten Erkenntnissen immer noch besteht. Und als der Augustin (Name erfunden) das gehört hat, da hat er sich sofort wieder angezogen und ist geflüchtet.  - Jetzt ist das auch geklärt, denke ich zufrieden. Dann denke ich noch, Feigling (Witz), und als ich die Halle betrete, freue ich mich, dass es noch mehr Feiglinge zu geben scheint. Denn heute war es im Becken so wie es immer sein sollte. Platz genug für alle. Und das waren nicht so viele.

Gleichmut
Dabei hätte ich allen Grund, mich auch zu fürchten, da ich mich seit letzter Woche unerklärlich schlapp fühle. Körperlich träge, geistig matt. Kein Antrieb. Kein Mumm. Ich kann alles machen, was ich will, aber mir fehlt der Schub, sage ich zu einem anderen Mann, den ich treffe, als ich zwei Tüten schleppend vom Einkaufen zurück komme. Er sagt, dass es ihm genauso geht. Auch seit ungefähr vierzehn Tagen. In dem Moment kommt eine gern gesehene Frau hinzu (Anonymisierung der Leute, die bei mir im Haus wohnen). Ich begrüße sie und erkläre, dass vor ihr zwei schlaffe Männer stehen. Darauf sie: Ihr Mann fühlt sich auch schwach, und das weitere Gespräch ergibt, auch ungefähr seit vierzehn Tagen. – Das ist gut zu hören, dass nicht nur ich angeschlagen bin. Andererseits ist es rätselhaft und Rätsel mag ich nicht. Bis jetzt hatte ich nämlich geglaubt, ich müsste einfach nur meinen Zigarettenverbrauch einschränken und heute wollte ich damit beginnen. Aber die beiden anderen Männer sind Nichtraucher. Und da mitten im Juni von Frühjahrsmüdigkeit keine Rede mehr sein kann, kommt als laienhafte Erklärung für unsere Schwäche nur in Frage: Irgendein Virus. Oder EHEC?! Inzwischen sogar nachgewiesen in einem hessischen Gewässer (Bach). Kein Virus, ein Bakterium. Das durchseucht jetzt gerade sukzessive die gesamte Population und wir drei Männer sind in der glücklichen Lage, dass die Infektion bei uns nur einen milden Verlauf nimmt und sich nicht äußert in einer Darmproblematik, sondern nur mit unerklärlicher Schlappheit und bei mir dazu noch mit einem für mich untypischen Gleichmut, der dazu führt, dass ich mir weiter keine Gedanken mache, sondern nur laienhaft rumspinne und diesen langweiligen Text schreibe. Denn wie gesagt, ich kann alles machen, was ich will, es fehlt mir nur der Schub.  

Kinderreichtum
Als ich mich dem Kaiser-Kiosk nähere, überlege ich, was ich auf Hilas Frage, wie es mir geht, antworten werde. Da das körperliche Befinden schon besprochen ist, will ich mich zum Allgemeinzustand äußern und sage: Gar nicht so schlecht. Betone dabei das so und füge hinzu: Aber es fehlt etwas. – Zigaretten? fragt sie verschmitzt. Obwohl ich ihren kleinen Humor mag, lache ich nicht und sage, was fehlt: Begeisterung. Freude auf etwas. Was sonst noch fehlt, verschweige ich; denn dazu kennen wir uns nicht gut genug. – Sie versteht auch so, was ich meine, und ich frage sie nun, wie es ihr geht. - Mir tut heute alles weh, antwortet sie und in dem Moment ist ihr das auch anzusehen. Dieser Eindruck verliert sich allerdings schnell, als wir auf ihre Familie zu sprechen kommen, nachdem ich sie gefragt habe, ob sie am Abend wieder mit ihren Schwester ausgehen wird (nein, sie wird den Neffen besuchen, der heute Geburtstag hat) und mich neugierig erkundige, wie viele Schwestern sie hat. – Mit ihr zusammen sind sie sechs Schwestern und dann gibt es noch einen Bruder. Der ist das jüngste der sieben Kinder. 12 Jahre alt. - Gehätschelt und verwöhnt von den Schwestern wahrscheinlich. – Er ist der Prinz, wird es auch immer sein, und er wird immer frecher, sagt Hila stolz. – Das wievielte Kind ist sie? – Die zweitjüngste Tochter. – Ohne dass ich sie danach gefragt habe, erklärt sie mir nun, wie es zu dem Kinderreichtum ihrer Familie gekommen ist. In türkischen Familien, sagt sie, gilt es als Makel, wenn ein Paar es nicht schafft, einen Sohn zu bekommen. - Verstehe. Da haben Ihre Eltern so lange weiter gemacht mit dem Kinderkriegen, bis endlich der gewünschte Sohn kam. - Die arme Mutter. Die hatte nämlich, wie Hila erzählt, nicht mehr als zwei Kinder haben wollen. Und dann kamen die Töchter. Als vorletzte Hila. Gut, dass es so lange gedauert hat mit dem Sohn.

Freitag, 17. Juni 2011

Sexobjekt

Heute mal ohne Dialog. Heute nur Beobachtungen. Wenn ich welche mache. Denke das und sehe, wie die alte Sinti- oder Roma-Frau mir ihre leeren Hände zeigt. Ich bewundere die Anmut der Bewegung, mit der sie ihre Arme hebt und ihre Hände öffnet und gebe ihr nichts. Ich denke gar nicht daran. Warum eigentlich? Wegen der Professionalisierung des Bettelns bei ihresgleichen? Aber doch gerade dann müsste man etwas geben. Sie leben davon. Und ist es nicht ein Beruf wie jeder andere? So wie zum Beispiel auch Vater sein und den Säugling herum fahren, weil die Mutter hat Besseres zu tun, heißt: sie hat den einträglicheren Job oder überhaupt einen. Und weil das vernünftig ist, wird dieser Lebensentwurf subventioniert mit Staatsgeld. Das der Kontext bei der nächsten Beobachtung. Ein afrikanischer Mann mit Kinderwagen im Getriebe an der Bushaltestelle auf der Hauptstraße gegenüber der Kaiser-Wilhelm-Passage. Der Mann eineinhalb Köpfe größer als ich, Bild von einem Mann. Vielleicht vom Stamm der Nuba? Und schon komme ich vom Lebensentwurf des Paares, das er bildet mit einer Frau, die einen besseren Job hat als er oder überhaupt einen, auf Leni Riefenstahl. Die hat, als sie schon eine alte Frau war, aber noch lange nicht tot, einmal eine Photoarbeit über die Nuba gemacht. Aber ich will nicht an Leni Riefenstahl denken und ich will nicht mal erklären, warum. Ich sehe einen großen Zeh in einem Flip Flop, ungewöhnlich langer, schlanker großer Zeh. Die Frau, die ihn hat, steht mit einer anderen jungen Frau vor mir in der Warteschlange vor der Kasse in der Back-Factory und ich bemerke, dass die andere Frau, die hübscher ist als die mit dem großen Zeh, unförmige dicke Waden hat. Worauf ich denke, was ich in so einem Moment immer denke: dass es an Rassismus grenzt, solche Wahrnehmungen zu machen. Warum sollen ihre kräftigen unharmonisch geformten Waden schlechter sein als die schlanken harmonisch geformten Waden, die ihre Freundin vielleicht hat. Vielleicht, weil sie Hosen trägt und ihre Beine heute Nachmittag nicht zeigt. Nur ihre Zehen in ihren Flip Flops sind sichtbar, und wenn ihre Beine so sind wie ihre großen Zehen … - und wenn ich keine anderen Beobachtungen mache als diese, dann sollte ich es lieber lassen und jemanden finden, der mit mir zu reden bereit ist. Doch dazu ist es zu spät. Denn ich habe mich in eine Schweigsamkeit zurück gezogen, aus der ich nicht mehr rauskomme, und alles ist jetzt nur noch ein Fall von schön oder hässlich. Vor den Kassen bei Reichelt, wo ich mittlerweile eingekauft habe, gehe ich unschlüssig hin und her, bevor ich mich für eine Kasse entscheide, weil die Kassiererinnen mir alle nicht passen wegen ihrer Hässlichkeit und am wenigsten passt mir eine dicke hässliche Kassiererin, die mir vor kurzem begegnet ist mit einer Derbheit, dass ich mich hinterher wie angespuckt gefühlt habe. Ich stelle mich an bei der rothaarigen Kassiererin mit dem sächsischen Akzent, die mir eine der liebsten Reichelt-Kassiererinnen ist und die ich erst zuletzt bemerkt habe. Vor mir dran ist eine Frau, die ich nicht wahrgenommen hätte, wenn nicht zu ihren Einkäufen auch zählen würden die aktuellen Ausgaben von Die Zeit und der deutschen Vogue. Auf der Titelseite der Zeit ist ein rotbemalter Frauenmund und ein tiefes Dekolleté abgebildet und es wird die Frage gestellt: Wann wird die Frau zum Sexobjekt? - Den Blick abwendend betrachte ich die Käuferin dieser Zeit-Ausgabe, die vor mir stehende Frau, und denke, das kann ihr nicht so leicht passieren, zum Sexobjekt zu werden. Und: Was verspricht sie sich vom Kauf der Vogue, so wie sie aussieht? – Ich missbillige sofort, dass ich das gedacht habe, und betrachte die Frau genauer; ich versuche etwas an ihr zu entdecken, das mich beschämt wegen meines unsäglichen Gedankenreflexes von eben. Die Frau ist etwa so groß wie ich (180 cm) und Mitte 40, schlank, ihr Gesicht ist hager, verhärmt, auf eine ungesunde Art bräunlich, ihre aschblonden Haare hat sie zu einem dünnen Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie trägt ein blauweiß geringeltes weites Top, Jeans und dazu beige Ballerinas aus Wildleder. Als sie weggeht, bemerke ich, dass sie sehr dünn ist – runtergehungert oder krank. Bevor sie weggegangen ist, hat sie bemerkt, dass ich sie beobachte, und hat zu mir hergeschaut. Ich bin ihrem Blick ausgewichen und habe so getan als wäre nichts. Noch während dessen ist mir klar geworden, dass ich darüber schreiben werde: über meine unkorrekten Gedanken und was dann daraus wurde. Nichts. Aber das darf nicht sein. Ich nehme mir vor, nur über die Frau zu schreiben, wenn es mir gelingt, sie auf irgendeine Art gut wegkommen zu lassen dabei. Es ist mir nicht gelungen. Danach ist mir nur noch eingefallen zu ihr, dass sie bestimmt nicht krank, sondern so weit runtergehungert ist, dass sie krank aussieht, und dass das ihre Art ist, sich attraktiv fühlen, und so teilzunehmen an der Attraktion von Weiblichkeit in der Vogue und der Empörung der Iris Radisch in der Zeit über die voyeuristische Ausbeutung von Frauenkörpern in der Öffentlichkeit unter der Überschrift: Wann wird die Frau zum Sexobjekt?  - Als ich noch ferngesehen habe und es noch Das Literarische Quartett gab, habe ich die Sendung oft nur deshalb bis zum Ende angeschaut, weil ich Iris Radisch sexy fand. Vor allem ihre Hände und wie sie sie bewegt hat beim Reden, das meist ein sehr leidenschaftliches Reden war, wie unter großem Druck hervorgebracht. So weit das im Fernsehen zu erkennen war, hat Iris Radisch stämmige Beine – Beine, die ich als dick und als unansehnlich beschreiben würde, wenn ich ihr hinterher schauen würde, was aber beim Ansehen des Literarischen Quartetts nicht möglich war und was eigentlich auch verboten gehört, denn es ist nicht korrekt eine Frau so anzuschauen, und deshalb wird es bestimmt auch irgendwann verboten  sein. Aber dann bin ich schon tot.

Donnerstag, 16. Juni 2011

Ausstellung


                          Mohnfeld - 150x180 cm (Gemälde)                                                                                                                 
Zurück in der Welt, in der auch mal was klappt. Anruf bei Hermann. Hermann Spörel. Er weiß zwar nicht, wer ich bin, ich kann es ihm noch so lange erklären, aber ihn besuchen in seinem Atelier, klar. Wann? Heute? 14 Uhr? - Beltzigerstraße 25. Eingang neben dem Blumenladen, durch den ersten Hof in den zweiten, dort ist links eine Stahltür. – Stahltür links? Das ist eine Gittertür, würde ich sagen. Egal, da ist es. Kleiner Hinterhof, links eine offenstehende Tür. Hier geht es in das Atelier von Hermann. Der sitzt an einem Tisch mitten im Raum und telefoniert wegen einer Versicherungssache (Haftpflicht, Hausrat) und bespricht das dann mit der anwesenden Sigrid. Vorher hat er mich erkannt: Jetzt! hat er gesagt, als er mich begrüßt hat, jetzt weiß er, wer ich bin. Ich schaue mich neugierig um. Großformatiges fertiges Bild hinter Hermann an der Wand lehnend. Auf dem Boden liegt eine Zeichnung, auch fertig. Im Stil, der mir vertraut ist von den Arbeiten auf seiner Website. Farberuptionen. Berstend expressiv. Und er ist ein sehr fleißiger Maler, habe ich gedacht, als ich die  umfangreiche Werkschau auf seiner Website gesehen hatte. Über den Raum verteilt Kästen mit Feinste weiche Künstler-Pastellfarben von Schmincke. Im Kasten vor mir gelbe, grüne Stifte. Nur zwei, drei Stifte noch unbenutzt, die anderen zum Teil runtergemalt bis auf Stummel-Länge. Da im Nebenraum, ist da dein Magazin? – Lager. Mach dir Licht! – Da ist schon Licht. – Volles Lager wäre nicht gut. Das würde bedeuten, dass er nichts verkauft. Das Lager ist nicht vollgestopft. Hermann ist im Geschäft, das weiß ich. Und wie gut? Das zum Beispiel möchte ich ihn fragen. Und wie er arbeitet. Wie kommt er auf die vielen Bildeinfälle, die er braucht, um fleißig sein zu können? Was löst einen Bildeinfall aus? Zum Beispiel für das Frauenbild, das da auf dem Boden liegt und mich an Gauguin erinnert. Ich sehe deine Bilder gerne, sage ich. – Danke, sagt er. Und ich füge einschränkend hinzu: Ich habe in meinem Leben viel Kunst gesehen, aber über Malerei habe ich kein so fundiertes Urteil wie über Film. Und noch bevor ich sagen kann: oder über Literatur, sagt er: Filme habe ich auch gemacht. – Ach! – Ja, ja, auf Festivals gewesen ist er mit seinen Filmen, Preise hat er gekriegt, mal eine Sondervorführung im Arsenal gehabt, das Kino war voll bis auf den letzten Notsitz, über 300 Leute, und nach 2 ½ Stunden waren nur noch drei übrig. – So muss es sein, sage ich begeistert. Wann war das? – Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre. – Was waren das für Filme? – Dokumentarfilme. Experimentell. Mit harten, schnellen Schnitten. - Videoclip-Ästhetik?  - Aber zehn Jahre, bevor sie auf MTV Standard geworden ist. - Lebensgefühl von  Punk und New Wave? – Einer meiner Filme war über die Dead Kennedys. - Aber davon steht nichts in deiner Biographie auf der Website. – Nein. Die Filme sind auch nirgendwo zu sehen, liegen im Keller, müssten mal digital kopiert werden, muss er sich mal bei Gelegenheit drum kümmern. – Warum hat er aufgehört damit und ist dann zurückgekehrt zu einer Malerei, wie sie seit mehr als fünfhundert Jahren betrieben wird? Der Künstler in seinem Atelier: Leinwand, Farbe, Pinsel, Tradition, Inspiration, Vision. Das keineswegs abfällig gemeint. Versteht er auch nicht so. Können wir drüber reden. Nur nicht jetzt. Dieses Gespräch kann nur ein Vorgespräch sein, denn am Montag fährt er in Urlaub. – Wohin? – Nach Kreta. – Mit deiner Frau? – Mit meiner Freundin! – Elisabeth? – Ja. – Und sie ist deine Freundin, nicht deine Frau und auf diesen Unterschied legst du wert? – Ja! – Aha. Blöd nur, dass ich dann kein Bild habe diese Woche für meinen Blog. Da will ich nämlich jetzt die ständige Ausstellung machen mit Werken mir bekannter Künstler und solchen, die ich noch kennenlernen werde, zum Beispiel durch Empfehlung der mir bekannten Künstler. Und mit dir, Hermann, wollte ich anfangen. – Hast du deinen Stick dabei? – Nein. Aber ich könnte mir was von deiner Website kopieren. Obwohl ich lieber eine aktuelle Arbeit von dir hätte. – Hast du eine Kamera dabei? – Nein. – Sonst hättest du das hier haben können. Er deutet auf die auf dem Boden liegende Zeichnung, die, je länger ich sie ansehe, immer weniger nach Gauguin und immer mehr nach Spörel aussieht. Die würde ich sehr gerne haben und das großformatige Bild, das hinter ihm an der Wand lehnt, gleich noch dazu. Vielleicht hat er die beiden Arbeiten fotografiert, wenn wir uns das nächste Mal treffen. Und bis dahin alles Gute, schöne Ferien und einen Gruß an die Frau Gemahlin. – Er schaut mich empört an. – Huch! Das hatte ich ganz vergessen, wie empfindlich er da ist. Ich sage diesen Satz einfach so gerne. Ich verzichte darauf, ihm das zu erklären. Stattdessen setze ich ein freches Grinsen auf und tue so, als hätte ich ihn aufziehen wollen mit dem Gruß an die Frau Gemahlin. Er geht darauf ein, indem er mit gespielter Strenge sagt, dass er sich das noch mal überlegen muss mit dem Treffen mit mir. Na ja, wird schon klappen. Und dann werde ich ihn gleich als erstes mal fragen: Warum ist dir das so wichtig, Hermann? Freundin. Nicht Frau!

Friedrichstraße, Galerie Lafayette - 60x80 cm (Siebdruck) 

Lovemails 11 - 19x12 cm (Aquarell/Tusche)
Bilder: © Hermann Spörel

Mittwoch, 15. Juni 2011

Verhängnis

Nachmittag des braven Mannes. Der war gestern. Heute Vormittag schreibe ich dazu einen Text, den ich beginne mit der Frage: Ist von meiner flammenden Leidenschaft für die Frau von gegenüber nur noch ein vor sich hin kokelnder Rest übrig? – Beweis: Mein Rückzieher von einem weiteren Versuch, dem Nachbarn auf die Schliche zu kommen. Versuch herauszukriegen, ob seine Freundin, von der er behauptet hat, dass es sie nicht gibt, in der Wohnung gegenüber polizeilich gemeldet ist und unter welchem Namen. – Gegenbeweis: Heute Nachmittag überlege ich mir, ob ich einen Rückzieher vom Rückzieher machen soll, nachdem ein Freund mich ermutigt hat, den Versuch doch zu machen, und meine Bedenken zerstreut hat, deretwegen ich ihn gestern abgesagt habe.

Damit ist der Text von heute Vormittag überholt, da ich, um den Erfolg der Aktion nicht zu gefährden, lieber für mich behalte, was das für ein Versuch ist. Daneben gibt es noch zwei andere Ansätze, die ich verfolge. Der eine sehr einfach, zu einfach; der andere sehr episch. Mein Favorit. Es ist jetzt schon abzusehen, dass nichts dabei herauskommen wird, aber was für ein Plot! Mehr, wenn es ein Ergebnis gibt. Das kann sehr schnell gehen. Es kann sich aber auch ewig lange hinziehen wie alles in der Geschichte vom Nachbarn und seiner Freundin, die es nicht gibt. Ich wünschte, ich wäre ihr nie begegnet und könnte dem Nachbarn glauben, dass es sie nicht gibt. Ich wünschte, ich hätte nie mit ihm gesprochen und würde ihn nur manchmal auf dem Dach über seiner Wohnung sitzen sehen, ihn immer noch für einen Flugkapitän halten und mir allenfalls überlegen, für welche Airline er fliegt, und mich wundern, dass ich ihn noch nie in seiner Pilotenuniform gesehen habe.

Ich wünschte, ich hätte diese Geschichte endlich vom Hals. Ich hasse Geheimnisse. Von allen dramaturgischen Kunstgriffen ist mir der mit dem Geheimnis immer als der billigste und nervigste vorgekommen. Schon mal bemerkt? Das gelüftete Geheimnis ist fast immer eine Enttäuschung. Was wegen der Erleichterung darüber, dass das Generve ein Ende hat, allerdings oft übersehen wird. Aber da ich das nun weiß, warum überlasse ich dann das Geheimnis der Frau von gegenüber nicht sich selbst? – Antwort: Weil ich nicht loskomme von der Überzeugung, dass das Lüften ihres Geheimnisses keine Enttäuschung sein wird. Und das ist das Verhängnis. Ein Verhängnis ist es und kein gutes Leben.

Dienstag, 14. Juni 2011

Melderegister

Bevor die Gespensterjagd beginnt, muss zweifelsfrei festgestellt werden, ob die Frauensperson auf der anderen Straßenseite auch wirklich ein Gespenst ist und der Nachbar nicht vielleicht doch gelogen hat. Deshalb bin ich am Freitagmorgen um 8 Uhr im Bürgeramt auf dem Schöneberger Rathaus, habe die Nummer 31 gezogen, und folge nach 25 Minuten Warten dem Aufruf, mich zum Platz 1 zu begeben. Dort begrüßt mich eine Frau Mitte 30. Ich brauche eine Information aus dem Melderegister, sage ich. Sie bittet mich um meinen Personalausweis und fragt mich nach dem Namen der Person, über die ich eine Information haben will. Während ich meinen Ausweis aus meiner Brieftasche nehme und ihn ihr vorlege, sage ich, dass ich den Namen der Person nicht kenne. Ich kenne nur Adresse, Wohnung, zwei Namen von Personen, die in der Wohnung leben, und ich möchte wissen, ob noch eine dritte Person in der Wohnung gemeldet ist – und wenn ja, wie diese Person heißt. Das führt dazu, dass die Sachbearbeiterin auf Platz 1 meinen Ausweis, den sie schon in die Hand genommen hatte, wieder auf den Tisch zurücklegt, ohne ihn angesehen zu haben. Drei Angaben zur Person, sagt sie und wird es mehrfach wiederholen. Wenn ich von einer Person den Namen kenne und ihren früheren Wohnsitz, dann kann sie für mich den neuen Wohnsitz der Person feststellen. Alles weitere fällt unter Datenschutz. – Und wenn ich jetzt das Glück gehabt hätte, an einen Kollegen oder eine Kollegin an Platz 7 oder Platz 17 zu geraten oder wenn Sie besser geschlafen hätten vergangene Nacht?  frage ich verbiestert. - Dann hätten Sie auch keine andere Auskunft gekriegt, erwidert sie unbeeindruckt von meinem aggressiven Unterton. Für den bitte ich dann auch gleich um Entschuldigung, indem ich erkläre, ich sei jetzt eben frustriert. Sie winkt ab. Schon in Ordnung. Versteht sie. Ist aber nicht zu ändern wegen Gesetzesgrundlage. Nehmen Sie es als Fortbildungsmaßnahme, tröstet sie mich. Gute Idee, denke ich, und da wir schon mal dabei sind, frage ich: Und wenn ich mich an die Polizei wende? - Die Polizei kann nur aktiv werden, wenn Verdacht auf eine Straftat besteht. – Zum Beispiel, wenn ich Anzeige erstatte? – Dann ermittelt die Polizei. Und wenn nötig, schließt das Nachforschungen im Melderegister ein. - Freundlicher Abschied von der Sachbearbeiterin auf Platz 1. Während ich den John-F.-Kennedy-Platz überquere, stelle ich mir vor, dass ich, um endlich den Namen der Frau von gegenüber herauszufinden, Anzeige gegen sie erstatte. Anzeige könnte ich erstatten wegen Eindringens in meine Privatsphäre. Weil sie mich in sich verliebt gemacht hat und dann hat hängen lassen? Das wird nicht gehen. Also wegen ihres Eingehacktseins bei mir. Das kann ich zwar letztlich nicht beweisen. Aber die Anschuldigung dürfte ausreichen, um Ermittlungen in Gang zu setzen. Dabei stellt sich womöglich heraus, dass sie da drüben gar nicht gemeldet ist. Dann ist sie dran wegen Verstoßes gegen das Meldegesetz und der Nachbar gleich mit. Das geschieht ihm recht. Das hat er nun von seiner Lügerei, mit der er mich so weit gebracht hat. Aber um sie tut es mir natürlich leid; das wollte ich nicht. Ich wollte sie nur aufscheuchen, in der Annahme, dass sie sich rausreden kann wegen ihres Eingehacktseins bei mir. Das würde ihr auch gelingen, raffiniert genug ist sie. Aber nun würde sie mich hassen, weil ich ihr den Ärger mit dem Verstoß gegen das Meldegesetz eingebrockt habe. Oder sie ist gemeldet. Dann ist es ganz einfach. Dann bekomme ich es amtlich bestätigt, dass sie da wohnt. Und mit ein bisschen Glück erfahre ich sogar ihren Namen. Dann steht zwar fortan zwischen uns, dass ich sie angezeigt habe, aber da steht mittlerweile schon so viel, da kommt es auf so eine lächerliche Anzeige wegen Verletzung meiner Privatsphäre auch nicht mehr an. Also gehe ich zur Polizei? Nein. Wirklich nicht? Nein! Warum nicht? Aufhören! Schluss! – Inzwischen stehe ich vor dem Geldautomaten der Sparkassenfiliale in der Martin-Luther-Straße und frage mich, wie es gewesen wäre, wenn ich einen gefalteten Hunderteuroschein unter meinen Personalausweis gelegt hätte? – Antwort: An einem anderen Platz hätte mir das vielleicht die ersehnte Auskunft verschafft, am Platz 1 nicht. Die Frau dort ist bestimmt nicht bestechlich und überhaupt sind das alles Überlegungen am Rande des Tagtraums, denn einen gefalteten Hunderteuroschein unter meinen Ausweis zu legen, kann ich mir nicht leisten. Wieder scheitert es am Geldmangel. Wieder ein Versuch, der zu nichts geführt hat. Aber umsonst war die Aktion auf dem Rathaus nicht. Es ist, wie die Sachbearbeiterin sagte: Fortbildung. Jetzt weiß ich, wie es nicht geht, und bald darauf fällt mir ein, wie es gehen könnte. – Zweiter Teil: Der Nachmittag des braven Mannes.

Montag, 13. Juni 2011

Entspannt

Du bist ein schöner Mensch, du siehst deutlich jünger aus als du bist, aber du hast kein Geld und keine Frau. So fasse ich nach 15 Minuten unser Gespräch zusammen und er widerspricht mir nicht. Eine Frau hat er nicht, weil er immer nach viel zu jungen Frauen guckt, sagt sein Kumpel, der neben ihm steht und mir beim Abschied formvollendet schöne Pfingsten wünschen wird, obwohl das Feiertagselend doch fast schon ausgestanden ist. Nur noch den Text über den schönen Mann auf der Carl-Zuckmayer-Brücke schreiben, Abendessen, den Text überarbeiten, früh schlafen gehen und dann ist gut bis Weihnachten. Der schöne Mann heißt Armin. Aus der Nähe sieht er noch viel besser aus als im Vorbeifahren. Er hat dunkle Haare, einen gepflegten grauen Dreitagebart und ein paar Falten in den Augenwinkeln. Doch auch die lassen nicht erahnen, dass er schon 62 ist. Das wäre mal ein Thema für eines unserer nächsten Gespräche: Wie er es geschafft hat, noch so gut dazustehen in diesem Alter. Wahrscheinlich günstige Gene, keine Zigaretten, wenig oder gar kein Alkohol und immer entspannt gewesen. Armin ist sehr entspannt. Nicht zufrieden ist er, aber entspannt. Selbst in dem Moment, als der Typ mit dem Motorroller über die Brücke fährt, die für motorisierte Verkehrsteilnehmer gesperrt ist, bleibt er ganz ruhig, murmelt nur, da ist ja schon wieder so eine Sau, greift zum Notizbuch, das neben ihm auf der Brüstung liegt, und geht ohne Hast die paar Schritte zur Brückenmitte, um das Nummernschild des Motorrollers erkennen zu können. 15.15 Uhr notiert er hinter dem Kennzeichen des Motorrollers. Und bei der Durchsicht der vorhergehenden Eintragungen stellt er fest.: das Arschloch ist gestern schon mal hier durchgefahren. – Da wäre ich gerne dabei, wenn er in den nächsten Tagen der Polizei seine Notizen übergibt. Was sagen die ihm dann? Dass er in jedem einzelnen Fall Strafanzeige erstatten muss? Oder wimmeln sie ihn ab? Spätestens dann, wenn er davon spricht, dass die Arschlöcher uns vergasen auf der Brücke? Weil sie ihn dann für einen Sonderling und für durchgeknallt halten werden? Wie ich zuerst auch und schon dachte, da hast du sie, die Enttäuschung, mit der du gerechnet hast, und deshalb so lange gezögert, ihn anzusprechen, und es heute nur getan aus Verzweiflung, um nicht über dich schreiben zu müssen. – Sonderling ist er, aber durchgeknallt ist er nicht. Hartz IV-Empfänger mit der 58er Regelung. Kennste? fragt er mich, fragt er häufiger beim Erzählen: Kennste? Und sagt man nein, erklärt er es. 58er Regelung ist, dass sie einem nichts mehr vermitteln wollen, oder anders gesagt, einen in Ruhe lassen bis zu Rente, wenn man 58 Jahre alt ist. – Da würden sie mich auch in Ruhe lassen, schießt es mir durch den Kopf und dann denke ich: Bloß nie von denen in Ruhe gelassen werden, bloß nie so ein Amt von innen sehen, denn den Gleichmut, die Gelassenheit, mit der Armin das lebt, die hätte ich nicht. Da auf der Brücke zu stehen mit seiner großen Schweppes Tonic Water-Flasche  neben sich, aus der er immer mal wieder einen Schluck nimmt, um sich die Zunge zu befeuchten beim vielen Reden; aber Tonic Water ist da nicht drin, wenn ich das richtig sehe, dann ist das Leitungswasser, was er zu Hause in die Flasche gefüllt hat, bevor er losgegangen ist zur Brücke, wo er sein Gesellschaftsleben hat. – Was hast du gemacht vor Hartz IV? Beruflich, meine ich. – Ich habe Psychologie studiert, antwortet er. – Wie sich das anhört: 49 Semester Psychologie studiert und nach der Zwangsexmatrikulation arbeitslos gemeldet? – Bist Du Diplom-Psychologe? frage ich und dann tut es mir auch schon leid, dass ich ihn da reingetrieben habe mit meiner Frage, die er mit ja beantwortet, aber danach geht er schnell über zur Aufzählung von Jobs, die er gemacht hat: Arbeit mit verhaltensgestörten Kindern vorwiegend. Bei verschiedenen sozialen Einrichtungen. Bis kein Geld mehr da war, um Leute wie ihn zu bezahlen in ABM-Maßnahmen. Doch Diplom-Psychologie? – Jetzt arbeitet er – sicher unentgeltlich – bei einer Zeitung mit, die herausgegeben wird von einer sozialen Einrichtung für psychisch Kranke in Charlottenburg: Platane 19 heißt die Einrichtung und die Zeitung heißt Platanen-Blätter. Da macht er die grafische Gestaltung und das Layout (siehe Impressum). Letztes Heft war über Erfolg, nächste Nummer ist über Dummheit. Und danach wissen sie nicht, wie es weiter gehen soll. Denn ihnen gehen die Schreiberlinge aus und neue kommen nicht nach. - Schreibt er auch? - Nee, nee, ich bin Handwerker, sagt er. – Wieso ist er jetzt plötzlich Handwerker? frage ich mich. Weil er lieber Grafik und Layout macht, antworte ich mir und muss jetzt los, kriege schöne - oder waren es frohe? - Pfingsten gewünscht von Armins Kumpel und denke auf dem Nachhauseweg: Ach, das ist alles nicht lustig. Ich wünschte, Armin hätte ein besseres Leben. Mehr Geld und eine schöne Frau, die zu ihm passt. Oder eine schöne Frau mit Geld oder eine Frau ohne Geld und Geld ist ihr gleichgültig. Eine Frau, die ihn entdeckt und mitnimmt, damit er nicht mehr auf dieser Brücke stehen muss jeden Sonn- und Feiertag, wenn schönes Wetter ist.

Sonntag, 12. Juni 2011

Illusionen

Zwei Männer, beide untersetzt, Anfang, Mitte 40, schon etwas füllig, beide tragen dunkelblaue T-Shirts und dunkelblaue Hosen, haben adrette Kurzhaarschnitte wie Versicherungsvertreter oder Anlageberater, der eine schon am grau werden; der legt zärtlich den Arm um die Schultern des anderen und sie sind nicht beim Karneval der Kulturen in Kreuzberg und trotzdem nicht allein. Sie gehen die Beltzigerstraße lang Richtung Eisenacher. Ich überhole sie mit dem Fahrrad und bin auf dem Weg zur Back-Factory und zum Kaiser-Kiosk. Gülcan wird gerade von Serhat abgelöst. Er meint, ich soll den Tag genießen. – Kann ich nicht, antworte ich. Nicht mal das kann ich. Mit mir ist heute nichts los. – Dann genieße es doch einfach mal, nichts zu machen. – Kann ich nicht. Dann werde ich unglücklich. – Was mache ich jetzt? Was über die Google-Werbung? Oder rufe ich beim Nachbarn an in der Hoffnung, dass nicht der Nachbar drangeht, sondern das Gespenst? Denn das Fenster des Gespensterzimmers (aka Contessa-Zimmer) steht offen; da tut sich schon seit Tagen was, das etwas zu bedeuten haben könnte. Doch so wie es jetzt um 16. 10 Uhr aussieht, bedeutet es nichts, auf jeden Fall nicht, dass das Gespenst auf meinen Anruf gewartet hat und schon beim zweiten Läuten drangeht. Nach dem fünften Läuten springt der Anrufbeantworter an. Die schon vertraute Stimme des Nachbarn. Er meldet sich mit seinem Namen und dem Namen der Frau, die er als meine Frau bezeichnet, die in London lebt und arbeitet, die, wie es scheint, über das lange Wochenende nach Berlin gekommen ist und mit der ich ihn gestern Vormittag auf dem Dach sitzen sah. Wenn es nicht eine andere Frau war; das Gespenst war es jedenfalls nicht.

Heute macht mich die Gespensterjagd ganz kribbelig, aber nicht vor freudiger Erwartung, ich habe nichts zu erwarten. Ich will nur, dass es endlich mal weiter geht oder vorbei ist. Keine guten Aussichten dafür, wenn das Gespenst nicht ans Telefon geht und auch sonst nicht erscheint. Dann bleibt mir nur der Nachbar mit seiner Unnachgiebigkeit und seinem Auftritt, der sicher angenehmer war bei meinem Besuch als ich erwartet habe, aber so richtig angenehm ist er mir nicht. Mich heute Früh mal gefragt, ob ich auch so auf Leute wirke wie der. Wie? Einnehmendes Wesen, aber so dass man es lieber nicht wissen will, hinter dem Entgegenkommen abweisend und hochmütig, hochmütig, hochmütig. Ich weiß es. Weiß er es auch? Hilft alles nicht. So lange das Gespenst nicht erscheint, ist der Nachbar mein Gesprächspartner.

Den schönen Mann auf der Carl-Zuckmayer-Brücke wieder nicht angesprochen, weil er sich unterhalten hat mit einem anderen Mann. Ausrede. Ich hatte keine Lust, wie ich letztes Wochenende schon keine Lust dazu hatte. Verspreche mir nichts davon, mit ihm zu reden, will nur wissen, wer er ist und warum er da steht jeden Sonntag bei schönem Wetter. Das reicht. Und dazu ein Foto von ihm, angelehnt an das Brückengeländer, im Hintergrund der Goldene Hirsch. Müsste jemand anders fotografieren. Ich fotografiere nicht. Fange ich erst gar nicht an. Aber Fotos soll es ab jetzt häufiger geben hier im Blog. Und die Google-Werbung schalte ich wahrscheinlich ab. Noch keinen Cent habe ich damit verdient. Dazu reicht es nämlich nicht, dass die Leser die Anzeigen sehen, dazu müssen sie die Anzeigen anklicken, damit sich auf meinem AdSense-Konto was tut. Aber wer klickt solche Anzeigen an: Singles in Berlin, Hebräisch lernen online, Kostengünstige Zahnimplantate? Da müsste ich schon eineinhalb Millionen Leser haben, damit sich darunter welche finden, denen es gerade so langweilig ist, dass sie nach dem Lesen meines Blogs noch auf diesen Anzeigen rumklicken. Verstehe auch nicht ganz das Prinzip: warum es nicht genügen soll, dass die Leser die Anzeigen sehen. Erklärbar nur so: ich (Google) platziere meine Anzeigen in deinem Blog für lau und dafür bekommst du von mir die Illusion, dass du damit Geld verdienen kannst – könntest, wenn deine Leser die Anzeigen anklicken würden. Machen sie es nicht, ist das deine Sache. Such dir andere Leser. Oder mach dich frei von der Illusion und kümmere dich selbst um das Anzeigengeschäft. Mach dich am besten frei von allen Illusionen, die du noch hast. So viele sind es doch gar nicht mehr. Google-Anzeigen abschalten und die Gespensterjagd beenden. Ganz einfach.